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Wegen Verstößen vor zwei JahrenStadt Köln verschickt hunderte Corona-Knöllchen knapp vor der Verjährung

Lesezeit 4 Minuten
Drei Einsatzkräfte des Kölner Ordnungsamts auf Streife während der nächtlichen Ausgangssperre im Frühjahr 2021.

Das Kölner Ordnungsamt auf Streife während der nächtlichen Ausgangssperre im Frühjahr 2021.

Eine Kölnerin muss jetzt 278,50 Euro zahlen, weil sie vor zwei Jahren während der Ausgangssperre auf der Straße unterwegs war.

Das amtliche Schreiben, das Hannah Burkhardt (Name geändert) vorige Woche aus ihrem Briefkasten zog, versetzte die 18-jährige Kölnerin mit einem Schlag in eine andere Welt. Oder besser gesagt: zurück in eine andere Zeit, ins Frühjahr 2021.

Es war die Zeit, als Köln mit einer nächtlichen Ausgangssperre gegen die Verbreitung des Coronavirus‘ kämpfte. Die Geschäfte waren geschlossen. Vom 17. April bis zum 21. Mai durfte sich zwischen 21 und 5 Uhr niemand auf der Straße oder in Parks aufhalten – es sei denn, er oder sie hatte triftige Gründe. Einen Arztbesuch zum Beispiel, oder die Fahrt zum oder vom Job nach Hause. Auch zur Betreuung Sterbender oder für „unaufschiebbare Handlungen zur Versorgung von Tieren“ durfte man sein Haus oder seine Wohnung nach 21 Uhr noch verlassen. So regelte es eine Allgemeinverfügung der Stadt Köln. Und fast alle hielten sich daran, spätestens gegen 21.30 Uhr waren alle Straßen in der Stadt wie leer gefegt.

Köln: Schülerin kam verspätet von einem Spaziergang zurück

Hanna Burkhardt hatte keinen triftigen Grund dafür, dass sie an jenem Abend des 2. Mai 2021 um 21.35 Uhr noch draußen war. Sie kam vom Spazierengehen zurück, eines der wenigen Dinge, die seinerzeit auch in Begleitung von maximal einer weiteren Person erlaubt waren. Die damals 16-Jährige war also 35 Minuten über der Zeit, als sie in der Nähe der Wohnung ihrer Mutter einem Streifenteam des Ordnungsamtes begegnete. Die beiden Einsatzkräfte hielten die Schülerin in der Antwerpener Straße in der Innenstadt an, schrieben ihre Personalien auf und kündigten ein Bußgeld an wegen Verstoßes gegen die Allgemeinverfügung.

Auszug aus dem Bußgeldbescheid gegen die damals 16 Jahre Schülerin

Die damals 16-jährige Schülerin war 35 Minuten nach Beginn der Ausgangssperre noch auf der Straße im Belgischen Viertel unterwegs.

Und dieses Bußgeld ist jetzt erlassen worden, fast zwei Jahre später und genau sechs Tage vor Ablauf der gesetzlichen Verjährungsfrist, 278,50 Euro inklusive Gebühren – zum Ärger von Hannah Burkhardts Mutter. Dass die Stadtverwaltung formal im Recht ist, bestreitet die Kölnerin gar nicht, ihr geht es um den Zeitpunkt. „Wäre das Bußgeld nach einem halben Jahr gekommen, wäre das etwas anderes gewesen“, sagt sie. „Aber inzwischen wirkt das verstörend, wie aus der Zeit gefallen. Das Unrechtsbewusstsein hat sich doch total verändert, auch weil wir heute wissen, dass viele Maßnahmen von damals Unsinn waren, zum Beispiel dass man draußen nur eine einzige Person treffen durfte.“

Ihre Tochter und die ganze Familie hätten sich während der Pandemie dennoch an alle Auflagen gehalten, sagt die Mutter. „Ich habe meine Tochter damals richtig ausgeschimpft, weil sie um 21.35 Uhr noch draußen war. Das tut mir im Nachhinein total Leid. Gerade für die Jugendlichen in ihrem Alter war das eine richtig blöde Zeit damals, sie mussten auf so Vieles verzichten.“

Auszug aus dem Bußgeldbescheid gegen die damals 16 Jahre Schülerin

Das Bußgeld beträgt inklusive Gebühren und Auslagen 278,50 Euro.

Insgesamt knapp 16.000 Bescheide wegen Verstößen gegen die Corona-Vorschriften habe die Bußgeldstelle der Stadt Köln seit 2020 bis heute erlassen, teilt Stadtsprecherin Simone Winkelhog auf Anfrage mit – die meisten, nämlich knapp 4500, allein in diesem Jahr. Und man arbeite nach wie vor „mit Hochdruck“ an der Abarbeitung weiterer Anzeigen. Eine vierstellige Zahl sei noch offen. „Seit Beginn der Pandemie wurden die Bußgeldstellen mit Anzeigen überhäuft. Daraus resultiert, dass aktuell weiterhin Verfahren zur Entscheidung beziehungsweise Bearbeitung anstehen“, sagt Winkelhog.

Inzwischen wirkt das verstörend, wie aus der Zeit gefallen.
Mutter von Hannah Burkhardt (18)

Noch knapper an der Verjährungsfrist vorbei geschrammt ist die Stadt Köln bei Andrea Bahlmann (Name geändert). Die Kölnerin war am Vormittag des 14. April 2021 in Mülheim auf der Frankfurter Straße ohne Maske unterwegs – seinerzeit ein Verstoß gegen die Vorschriften. Bahlmanns Bußgeldbescheid datiert auf den 13. April 2023, es ist der letzte Tag vor der Verjährung. Die 67-Jährige legte Widerspruch ein, aber die Stadt blieb hart. Überweist Bahlmann den Betrag von 78,50 Euro nicht bis Mitte dieses Monats, übertrage man den Vorgang zur weiteren Entscheidung an die Staatsanwaltschaft, heißt es im Antwortschreiben auf Bahlmanns Widerspruch.

Dass die Stadt an der Ahndung von teils knapp zwei Jahre alten Verstöße aus den Corona-Lockdowns festhält, selbst wenn einige der damals geltenden Vorschriften mit heutigem Wissen zweifelhaft erscheinen mögen, hat einen Grund: Gleichbehandlung. „Eine unterschiedliche Ahndungspraxis wäre im höchsten Maße ungerecht“, sagt Winkelhog, „denn letztlich würde dies bedeuten, dass betroffene Personen, deren Verstöße zeitnah geahndet werden konnten Pech und die anderen Glück gehabt haben“.

Juristisch gegen das Knöllchen vorgehen möchte die Familie Burkhardt nicht. Damals, im Mai 2021, habe sie ihrer Tochter noch im Brustton der Überzeugung auferlegt, das Bußgeld selbst zu bezahlen, schließlich sei es ihr Fehler gewesen, erinnert sich Hannah Burkhardts Mutter. Inzwischen habe sich auch diese Sichtweise geändert. Man werde sich den Betrag irgendwie untereinander aufteilen, sagt sie.