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Nach Unfall in HürthErmittlungen wegen fahrlässiger Tötung von 17-jährigem Radfahrer

Lesezeit 5 Minuten

Zeichen von Trauer und Solidarität: Knapp 1000 Radsportler gedachten dem Verunglückten im Jahr 2017 an der Unfallstelle.

Köln/Hürth – Drei Tage nach dem Tod ihres Freundes sitzen vier Mitschüler vor Kerzen und Blumen an der Unfallstelle. Sie reden über Philip, seinen Humor, seine Radsportbegeisterung, seine Art zu sprechen und zu leben. Sie weinen und lachen. Ein Autofahrer, der an der roten Ampel wartet, ruft durchs Fenster: „Mein Beileid!“ Ein anderer hält, zündet eine Kerze an, bekreuzigt sich und fährt weiter. Viele wissen, was am Dienstag vergangener Woche hier, an der Ecke Bonnstraße/Nussallee in Hürth, passiert ist.

Der Fahrer war viel zu schnell unterwegs

Der 17-jährige Philip, Schüler der Gesamtschule Rodenkirchen, der jeden Tag mit seinem Rennrad die Region durchmaß, um vielleicht eines Tages bei der Tour de France fahren zu dürfen, wurde von einem Auto erfasst und getötet. Der Fahrer – das scheint nach ersten Zeugenaussagen sicher – war viel zu schnell und fuhr an der Kreuzung über eine rote Ampel, bevor er das Rennrad des Jugendlichen traf, der aus der Nussallee nach rechts abbog. Mit einem Kumpel aus seinem Verein VCS Köln war er auf dem Heimweg Richtung Kölner Süden, sie hatten eine 120-Kilometer-Ausfahrt in die Eifel hinter sich.

Wichtiges Zeichen von Solidarität

In der Sprachlosigkeit der Katastrophe sind die Worte und Gesten der Vorbeikommenden vielleicht nur ein winziger Trost für die Hinterbliebenen. Und doch ein wichtiges Zeichen von Solidarität – und Mahnung. Die große Anteilnahme sei „überwältigend“, sagt Volker Lange, ein enger Freund von Philips Eltern. Sie helfe den Eltern bei der Trauerarbeit, sagt Lange, der auch Philip gut kannte.

Alles, was die Polizei in der ersten Woche ermittelt hat, deutet darauf hin, dass der Opel-Fahrer kurz vor dem tödlichen Unfall mehrfach Verkehrsregeln missachtet hat. Eine Zeugin soll beobachtet haben, dass der 33-Jährige vor dem Zusammenstoß noch eine zweite rote Ampel ignoriert haben soll. Angeblich hatte es der Mann eilig, weil er zu spät zur Arbeit kam. Die Staatsanwaltschaft ermittelt wegen fahrlässiger Tötung.

Am Freitag um 17 Uhr kommt Artur Tabat, Vorsitzender des RCS Köln, mit zehn Radsportlern des Vereins, um ein weißes Fahrrad mit Holzkreuz aufzustellen. Einer aus der Gruppe der Sportler ist auf halbem Weg umgedreht – ihm war übel vor Trauer und Entsetzen. Es gießt. In der Kurve vor der Bonnstraße steht das Wasser knöcheltief, die Polizei sperrt die Abbiegung. „Hätte es doch auch vergangene Woche so geregnet“, seufzt ein junger Radfahrer.

Maximilian Kromen war am Dienstagmorgen mit Philip und rund 20 anderen Sportlern in die Eifel aufgebrochen. Weil er einen Defekt hatte, verließ Kromen die Gruppe früher. „Es hätte jeden von uns treffen können“, sagt er, und erzählt von gefährlichen Situationen im Straßenverkehr, die er fast jeden Tag erlebe.

Aggressionen auf der Straße

Von Autofahrern, die an Radsportlergruppen vorbei fahren und die Scheibenwischanlage betätigen, Fahrern, die auf sie zufahren und im letzten Moment das Lenkrad rumreißen, von einem, der beim Überholen eine Glasflasche auf die Straße warf. „Aber es gibt natürlich auch Radfahrer, die rücksichtslos fahren, bei Rot rüberfahren und denken, die Straße gehört ihnen“, sagt Kromen. „Es ist inzwischen oft nur noch Kampf. Dabei kann man seine Aggressionen doch überall ausleben – aber nicht auf der Straße.“

Jeder der RCS-Fahrer könnte eine Geschichte über Unfälle, Beinahe-Unfälle, Aggressionen auf der Straße erzählen. Vielen ist es schwer gefallen, zur Unfallstelle zu kommen. Das ist auch am Sonntag so, als 1000 Radsportler aus der Region vom Hürther Rathaus zum Unfallort fahren und ein Zeichen setzen: für mehr Rücksichtnahme auf der Straße, für Philip, seine Freunde und Angehörigen.

Viele fordern Gefängnisstrafe

Doch wie bestraft man einen Autofahrer, der zu schnell fuhr, womöglich absichtlich rote Ampeln missachtete und in der Folge einen Menschen tötete? „Es ist doch klar, dass so jemand ins Gefängnis muss“, sagt Artur Tabat. Viele, auch der ehemalige Radprofi Marcel Wüst, fordern eine Gefängnisstrafe.

In Berlin wurde ein Teilnehmer eines illegalen Autorennens, das ein Todesopfer forderte, im Februar wegen Mordes verurteilt. Der Bundesgerichtshof hob kürzlich die Bewährungsstrafe auf, die das Kölner Landgericht gegen die beiden jungen Männer verhängt hatte, die bei einem Wettrennen eine Radfahrerin auf dem Auenweg in Deutz töteten.

Die Rechtslage ist kompliziert

Die Rechtslage ist kompliziert: Ein „bedingter Tötungsvorsatz“ läge vor, wenn der 33-Jährige durch seine Fahrweise den Tod eines Unbeteiligten bewusst billigend in Kauf genommen hätte, sich also vorher mit den Folgen abgefunden hätte.

Davon abzugrenzen ist die Fahrlässigkeit – wenn der Autofahrer also die möglichen Folgen zwar im Vorfeld erkannt, aber nicht gebilligt und darauf vertraut hätte, dass sie nicht eintreten. Vom zweiten Szenario geht die Staatsanwaltschaft derzeit aus. Der Fahrer könnte dann mit einer Bewährungsstrafe davonkommen.

Die Schulkameraden an der Unfallstelle halten sich im Arm. Eine Verurteilung wird ihnen Philip nicht zurückbringen. Aber in Gedanken vieler wird er bleiben. Er als Freund und Radsportkumpel. Sein Tod als Mahnung.

Beisetzung unter großer Anteilnahme

Hunderte Trauergäste werden zur Beisetzung des tödlich verunglückten Philip am kommenden Freitag auf dem Friedhof in Köln-Weiß erwartet – Angehörige, Freunde, Nachbarn, Mitschüler und viele Mitglieder der Radfahrer-Szene aus Köln und dem Umland. Die Trauerfeier beginnt um 10 Uhr in der Neuen Trauerhalle. Weil der Saal nur knapp hundert Plätze fasst, soll die Feier über Lautsprecher nach außen übertragen werden.