Geschätzt hunderte KilometerTrampelpfade ziehen sich durch das Kölner Grün
Köln – Man könnte links um die Wiese herum gehen, um zum Spielplatz Niehler Straße zu gelangen. Man könnte die Wiese auch rechts umrunden. Stattdessen zieht sich diagonal über die Grünfläche ein breiter Trampelpfad. Geschaffen von tausenden Spielplatzbesuchern, Spaziergängern, Hundebesitzern und eiligen Passanten. So wie hier im Inneren Grüngürtel sieht es in vielen Parks und öffentlichen Grünflächen aus.
Neben hunderten Kilometern an ausgebauten Wegen existiert ein Netz an Trampelpfaden, mit Kreuzungen, Kreisverkehren, Überholspuren und Rechts- und Linksabbiegern. In den Wiesen am Rhein ist dieses Netz stellenweise so dicht, dass man Köln für die Hauptstadt der Trampelpfade halten könnte.
Pfade als Vorläufer für richtige Wege
Dort, wo die Kölner mit Vorliebe trampeln, wächst kein Halm mehr. Der Boden ist verdichtet, Wasser und Sauerstoff sind aus den Poren des Erdreichs gedrückt. „Da lebt nichts mehr“, sagt Joachim Bauer, stellvertretender Leiter des Grünflächenamtes. Schlimm findet Bauer die Trampelpfade dennoch nicht. Eher spannend zu beobachten, wo sie entstehen und wo sie wieder verschwinden. Und zuweilen auch ziemlich schlau, wie im Fall des Spielplatzes Niehler Straße, wo der wilde Weg die Folge einer Fehlplanung sei. „Es fehlt schlicht eine Verbindung. Da bessern wir demnächst nach und bauen den Pfad zum Weg aus.“ Schwarmwissen als Anleitung für Verwaltungshandeln.
Doch was veranlasst Menschen, die angelegten Wege zu verschmähen und lieber querbeet zu laufen? Ist es schlicht Bequemlichkeit und Zeitnot? Oder steckt eine Art Freiheitsdrang dahinter, Entdeckergeist, Abenteurertum? Die Lust eben, nicht auf den vorgegebenen Wegen zu bleiben? Nicht umsonst werden Trampelpfade im Englischen auch desire paths genannt – Wunschpfade. Und welche Sorte von Mensch ist es, die als erstes neue Wege geht?
„Die Motive sind so vielfältig wie die Trampelpfade“, sagt Joachim Bauer, der sich seit langem mit dem Phänomen beschäftigt. Am einfachsten stelle sich die Sache im Fall starker Funktionsbeziehungen dar. „Wenn zwischen Uni-Hauptgebäude und Mensa eine Wiese liegt, ist klar: Der hungrige Student läuft in gerader Linie übers Grün“, so Bauer. Dasselbe gelte auch für andere starke Funktionen wie etwa die Verbindung zwischen Schule und Bahnhaltestelle.
Pfad in ein Abenteuer trotz Stadt-Anbindung
Der Züricher Physiker und Soziologe Dirk Helbing, der sich seit Jahrzehnten mit Fußgänger-Psychologie befasst, hat herausgefunden: Wenn Fußgänger durch die Nutzung 20 bis 30 Prozent Zeit sparen können, entsteht ziemlich sicher ein wilder Weg. Doch warum bilden Trampelpfaden, bevor sie auf einen Weg stoßen, häufig eine Rechts- und eine Linksabbiegerspur aus – dazwischen ein manchmal nur Familienpizza-großes Stück Wiese? Zeitersparnis: gleich null. Helbing glaubt, dass rechtwinkelige Kreuzungen der Natur des Menschen widersprechen und deshalb meist y-förmige Gabelungen entstehen.
Dass die Entstehung von Trampelpfaden vielfach psychologische Ursachen hat, glaubt auch Joachim Bauer vom Kölner Grünflächenamt. „Wenn ich in der Niehler Rheinaue spazieren gehe, befinde ich mich in einer anderen Welt. Ich bin entspannt, höre das Wasser und die Blätter rauschen. Da möchte ich nicht geleitet werden." In die Klagen so mancher Park-Verwalter, der Großstädter zerstöre damit genau das, was er sucht, nämlich die Natur, will er jedenfalls nicht einstimmen. Es müsse in einer Großstadt Bereiche geben, wo man Trampelpfade gehen dürfe. In Zeiten von Corona, wo alles reglementiert ist, gelte das um so mehr.
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Auch Stefan Türk von der Deutschen Sporthochschule, der sich als stellvertretender Leiter des Instituts für Outdoor-Sport und Umweltforschung mit der Wechselwirkung von Mensch und Natur beschäftigt, sagt: „Es ist halt ein großer Unterschied zwischen dem Kölner Stadtwald und dem Nationalpark Eifel. Bei siedlungsnahen Naturräumen muss ich mir bewusst sein, dass sich dort viele Leute aufhalten.“
Nur in Ausnahmefällen sperrt das Grünflächenamt wilde Wege ab, wie etwa im Beethovenpark oder in einem Bereich des Stadtwalds rund um den FC. Das habe dann aber andere Gründe: „Dort sind die Bäume aufgrund des Klimawandels so krank, dass die Wege nicht mehr verkehrssicher sind.“
So chaotisch, wie es auf den ersten Blick scheint, sind die Trampelpfade im übrigen mitunter gar nicht. Ein Luftbild des Niehler Reinufers offenbart vielmehr ein System von geraden Wegen, die sich in gleichmäßigem Abstand zum Ufer ziehen. „Das ist viel geregelter als in jeder Parkanlage“, sagt Bauer und vermutet: „Vielleicht entsprechen die Wege dem sozialen Abstand, den die Menschen instinktiv einhalten, wenn sie am Rheinstrand sonnenbaden.“ Ganz sicher aber befinde sich am Ende fast jeden Trampelpfads eine Grillstelle.