Das Team des Kölner Kältebus verteilt seit 10 Jahren Kleidung, Schlafsäcke und Essen an wohnungslose Menschen. Der Bedarf ist gestiegen.
Klamotten, Decken, EintopfÜber 10.000 Wohnungslose in Köln – Bedarf am Angebot des Kältebusses steigt
Die Temperatur liegt nur knapp über null Grad, als André auf dem Breslauer Platz auf eine Hose wartet. Er braucht sie dringend, also hat er sich in die Schlange vor dem Kältebus gestellt, aus dem Ehrenamtler in den Wintermonaten jeden Montag und Mittwoch Kleidung und Essen an wohnungslose Menschen verteilen.
André friert, er reibt sich die Arme gegen die Kälte. Doch er ist nicht nur für Kleidung gekommen, sondern auch, „um andere Leute zu treffen. Wir Wohnungslose fühlen uns oft allein und haben niemanden zum sprechen.“ Weil er seine Miete nicht mehr bezahlen konnte, lebt er gerade in einer städtischen Unterkunft. André will seinen echten Namen nicht verraten, aber er betont, dass er sich nicht schäme für das, was ihm passiert sei. Er sei einfach nur dankbar für alles, was ihm das Team vom Kältebus gebe.
Seit der Pandemie ist der Bedarf gestiegen
Die Ehrenamtler verteilen an diesem Abend neben Klamotten, Schlafsäcken und Decken auch Eintopf aus zwei großen Bottichen, außerdem Suppe, Brot, Obst, Süßigkeiten und heiße Getränke. All das hat der Verein „Freunde der Kölner Straßen und ihrer Bewohner“, der den Kältebus betreibt, gespendet bekommen oder mit Spendengeld gekauft.
Seit fast zehn Jahren versorgt das junge Team Menschen in Köln, die ihre Wohnung verloren haben. Die Vereinsmitglieder fanden sich über Facebook, sie einte der Wunsch, etwas gegen Wohnungslosigkeit zu tun. Und so begannen sie zunächst mit einem Bollerwagen durch die Stadt zu ziehen, später kaufte die Gruppe ihren ersten Bus.
Malte Petrikat vom Kältebus beobachtet, dass der Bedarf am Angebot seines Teams in den letzten Jahren gestiegen ist, vor allem seit der Pandemie. Laut dem Ministerium für Gesundheit und Soziales in NRW lebten 2023 10.315 wohnungslose Menschen in der Stadt Köln. Diese Zahl setzt sich zum überwiegenden Teil aus Wohnungslosen zusammen, die in städtischen Unterkünften oder bei freien Trägern untergebracht sind. Die anderen Wohnungslosen unterteilen sich in „verdeckt Obdachlose“, die bei Angehörigen und Bekannten Zuflucht finden, und Menschen, die ohne Obdach auf der Straße leben. Zu letzteren zählten Anfang 2023 laut der aktuellsten städtischen Umfrage 397 Personen. Die Dunkelziffer dieser Gruppe dürfte aber nach Aussage des NRW-Gesundheitsministeriums höher sein.
Viele Obdachlose bemängeln Zustände in Unterkünften
Laut Stadt wird jeder wohnungslosen Person in Köln eine Unterkunft zugewiesen, wenn sie das möchte. Doch auf die knapp 400 erwachsenen Obdachlosen kommen nur 74 zeitlich befristete Schlafplätze in städtischen Notschlafstellen. Auch im Rahmen der Winterhilfe stellt die Stadt maximal 100 weitere Schlafplätze zur Verfügung.
Es gibt zwar andere, unbefristete Unterbringungsmöglichkeiten, zum Beispiel die von der Stadt bezahlten Hotelzimmer, die sich mehrere Personen teilen. Aber das Team vom Kältebus bekommt von seinen Gästen oft zurückgemeldet, dass sich diese Zimmer in einem sehr schlechten Zustand befänden. Sie seien laut den Gästen verdreckt und teilweise verschimmelt, sagt Malte Petrikat vom Kältebus. Auch die mangelnde Privatsphäre in den Hotelzimmern beklagt eine obdachlose Frau in der Schlange vor der Kleiderausgabe. „Und wenn man lange auf der Straße war, fällt es nochmal schwerer, sich mit mehreren Personen ein Zimmer in einer Unterkunft zu teilen“, sagt Marie Reißaus vom Kältebus. Laut Reißaus empfinden Wohnungslose manche Unterkünfte außerdem als unsicher und haben Angst, dort beklaut zu werden.
Also bleiben viele auf der Straße – trotz eisigen Winternächten wie dieser. Der Kältebus ist darauf vorbereitet. Kurz vor dem Ende der Kleiderausgabe kommt eine Frau, die es sehr eilig zu haben scheint. „Findet bitte irgendwas für mich!“, fleht sie. Dann hat sie doch ein paar konkrete Wünsche: Socken – „je dicker, desto besser“, Winterschuhe, eine Jacke. Um die neuen Sachen einpacken zu können, legt sie ihren Schlafsack kurz auf den Boden. Als ein Mitarbeiter den Schlafsack für einen vom Kältebus hält und ihn wegräumen will, ruft die Frau panisch: „Das ist mein Schlafsack, den brauche ich!“ Dann stopft sie die gespendete Kleidung hastig in ihre Tüte und verschwindet Richtung U-Bahn.
Inzwischen ist es fast 21 Uhr, die zwei großen Bottiche Eintopf sind leer, das Obst ist verteilt. Es bleiben noch Tütensuppen, etwas Brot, Kaffee, Tee und ein paar Süßigkeiten. Damit steigen Marie Reißaus und ihre Kollegin Esra Peker in die Fahrerkabine, um sich zu Obdachlosen im Rest der Stadt aufzumachen. Diese Touren fährt das Team an den Tagen der Kleider- und Essensausgabe, wenn Stadtbewohner dem Kältebus Orte in Köln gemeldet haben, an denen sich Obdachlose aufhalten. Dafür gibt es das Kältebus-Telefon, das jeden Abend von 18 bis 23 Uhr besetzt ist. Bei Temperaturen unter null Grad fährt außerdem tagesunabhängig ein Bereitschaftsdienst durch die Stadt, um nach Obdachlosen zu sehen.
Der Kältebus will 70 Adressen anfahren, wo Obdachlose liegen
Diesen Winter hat sich das Team vom Kältebus vorgenommen, Obdachlose schon vor den ersten kalten Nächten mit dem Nötigsten auszustatten. Vor ein paar Wochen riefen die Ehrenamtler ihre Community über soziale Medien dazu auf, alle Orte in der Stadt zu melden, an denen Obdachlose gesichtet wurden. Damals kamen etwa 70 Adressen zusammen.
Ein paar der Adressen wollen sich Marie Reißaus und Esra Peker jetzt vornehmen. Aber kurz bevor die beiden Ehrenamtlerinnen aufbrechen, bekommt Peker vier neu gemeldete Adressen geschickt. Reißaus fügt sie den anderen gespeicherten Standorten auf ihrer „Kältekarte“ in Google Maps hinzu und fährt los. Alle Adressen werden sie heute nicht schaffen, aber für die nächsten zwei Stunden haben sie sich einige vorgenommen.
Beim ersten gemeldeten Standort ist niemand auffindbar. „Manchmal sind die Obdachlosen wieder weg, wenn wir ankommen“, sagt Reißaus. Doch bei den darauffolgenden Adressen haben sie und ihre Kollegin mehr Erfolg. Sie stoßen zum Beispiel auf einen Mann, der unter zwei dünnen Decken neben einem Gehsteig kauert. Um ihn herum liegen mehrere leere Weinflaschen. Reißaus spricht ihn an: „Hallo, wir sind vom Kältebus!“ Der Mann reagiert nicht. „Brauchst du einen Schlafsack?“ „Nein.“ „Eine heiße Suppe?“ Da richtet sich der Obdachlose auf und sagt langsam, aber deutlich: „Oh ja!“.
Reißaus und Peker bringen ihm Suppe, Brot und Süßigkeiten. „Wir haben hier auch noch eine Decke für dich“, sagt Reißaus. „Brauchst du sonst noch was?“ Der Mann schüttelt den Kopf. Peker notiert sich den Zustand des Obdachlosen, so wie sie das bei jeder Person macht. Sie schreibt unter anderem: „Hat sich sehr über warme Suppe gefreut.“ Peker wird die Info weiterleiten, damit das Team weiß, dass sich ein weiterer Besuch an diesem Ort lohnt, um Essen vorbeizubringen.
Auf den Touren kommt die Hilfe unerwartet – und wird dankend angenommen
An einem anderen gemeldeten Ort sitzen zwei Obdachlose an die Eingangstüren eines geschlossenen Geschäfts gelehnt. Von einem nahen Weihnachtsmarkt weht Musik herüber, Menschen stehen dort in dicken Winterjacken an Glühweinständen. Einer der Obdachlosen, der hier Bogdan heißen soll, hat nur eine Jogginghose an. Er habe versucht, in der U-Bahn-Station zu schlafen, aber sei von dort vertrieben worden. „Jetzt schlafe und laufe ich immer abwechselnd eine Stunde, um mich aufzuwärmen“, erzählt Bogdan in gebrochenem Deutsch. Aber weil ihm ein Bein weh tue, könne er nicht mehr so gut gehen.
„Möchtet ihr eine Suppe, Tee, einen Schlafsack?“, fragen Peker und Reißaus die beiden Männer. Die nehmen das Angebot sichtlich erfreut und dankend an. Bogdan zeigt auf die Ehrenamtlerinnen und sagt: „Angel!“ Seine Augen strahlen.
Als Reißaus und Peker wieder in den Kältebus steigen, haben auch sie ein Lächeln auf dem Gesicht. Auf den Touren, sagt Reißaus, rechneten die Menschen nicht mit Hilfe. „Da ist die Freude so pur“, findet Reißaus. „Solche persönlichen Begegnungen sind schön.“ Trotzdem hofft die Ehrenamtlerin, dass ihre Arbeit irgendwann nicht mehr gebraucht wird. Das, sagt sie, sei das Ziel des ganzen Teams.