Die Polizei ermittelt wegen Sachbeschädigung, aber handelt es sich überhaupt um eine Straftat?
Mit Linsen gegen SUVsUmweltaktivisten lassen an Geländewagen die Luft aus den Reifen – Auch Fälle in Köln
Mal war ein Reifen platt, mal prangten „Fuck SUV“-Aufkleber auf den Scheiben, mal schwarze Filzstift-Schmierereien auf der Motorhaube – der Besitzer eines roten Hummer-Geländewagens in Köln-Ehrenfeld konnte eine Zeitlang nie wissen, ob sein Auto morgens noch im selben Zustand war, in dem er es abends zuvor am Straßenrand abgestellt hatte. Das extrem auffällige, drei Tonnen schwere Sport Utility Vehicle (SUV) war für gewöhnlich an der Weinsbergstraße geparkt.
Für Gegner großer Geländefahrzeuge war der wuchtige Hummer offenbar die ideale Zielscheibe. Wer hinter den Aktionen steckt, ist unklar – möglicherweise auch Umweltaktivisten, die seit Monaten vermehrt in ganz Deutschland unterwegs sind. Sie kommen nicht mit Aufklebern und Filzschreibern, haben sich aber auf das Plätten von Autoreifen spezialisiert. Sie nennen sich „Tyre Extinguisher“, wörtlich übersetzt: Reifenlöscher, abgewandelt vom englischen „Fire Extinguisher“ für Feuerlöscher.
Köln: Aktivisten hinterlassen Flyer auf der Windschutzscheibe von SUVs
Die Aktivisten lassen die Luft aus den Reifen und klemmen den Fahrern einen Zettel unter die Scheibenwischer. Ihre Kernbotschaft: SUVs verursachen mehr Luftverschmutzung und mehr tödliche Unfälle als kleinere Autos, sie sind „unnötig und reine Eitelkeit“ und gehören raus aus den Städten. Eingeleitet wird das „Bekennerschreiben“ mit den Worten: „Wir haben bei einem oder mehreren Ihrer Reifen die Luft abgelassen. Sie werden wütend sein, aber nehmen Sie es nicht persönlich. Es liegt nicht an Ihnen, sondern an Ihrem Auto.“
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Schwerpunkt der Bewegung, die europaweit agiert, ist in Deutschland die Region um Potsdam mit der bundesweit höchsten Geländewagen-Dichte. Bei den Großstädten liegt München vorn, jedes achte Auto dort ist laut dem Forschungsinstitut Infas 360 ein SUV. In Köln ist es demnach jedes zehnte, aber auch hier waren die „Tyre Extinguisher“ schon mehrfach unterwegs. Platte Reifen an zehn Geländewagen gingen laut Polizei Köln im Jahr 2022 auf ihr Konto, im Vorjahr waren es 36 Fahrzeuge. In Bonn schlugen „Tyre Extinguisher“ zuletzt am Wochenende zu. In Köln seien dieses Jahr bislang noch keine Fälle bekannt geworden, berichtete eine Polizeisprecherin.
Potsdam hat bundesweit die höchste SUV-Dichte
Nach allem, was die Ermittler wissen, handelt es sich nicht um eine organisierte Bewegung, sondern um lose Zusammenschlüsse von Aktivisten und um Einzelpersonen, die unabhängig voneinander unterwegs sind, aber dieselbe Überzeugung teilen. Das „Bekennerschreiben“ für die Windschutzscheibe etwa bieten die „Tyre Extinguisher“ im Internet für jedermann zum Download an.
Weil angenommen wird, dass den Taten eine politische Motivation zugrunde liegt, führt in Köln die Abteilung Staatsschutz der Polizei die Ermittlungen wegen Sachbeschädigung. Wobei rechtlich durchaus umstritten ist, ob hier überhaupt eine Sache beschädigt wurde. Der Kölner Strafverteidiger Christian Mertens sagt: Nein. Denn die Umweltaktivisten beschädigen die Reifen in der Regel nicht, sie lassen einfach nur die Luft raus – oft, indem sie eine Linse ins Ventil klemmen.
SUVs im Visier: Bislang noch kein „Tyre Extinguisher“ erwischt
„Für eine Sachbeschädigung müsste der Gummireifen beschädigt, zerstört oder zumindest permanent in seiner Gebrauchsfähigkeit eingeschränkt werden“, sagt Mertens dem „Kölner Stadt-Anzeiger“. Zum Beispiel, indem man die Reifen zersteche oder das Ventil herausreiße. Das reine Luftablassen aber stellt für den Rechtsanwalt keine Sachbeschädigung dar. „Der Reifen an sich bleibt ja intakt. Wenn ich eine Flasche austrinke, ist das ja auch keine Sachbeschädigung, nur weil dann die Flasche leer ist.“
Ob diese Argumentation auch vor einem Gericht Bestand hätte, ist indes unklar – bislang wurde noch kein „Tyre Extinguisher“ erwischt, die Ermittlungsverfahren gegen unbekannt verliefen alle im Sande. Es gebe, sagt Mertens, allerdings ein altes Urteil aus den 60er Jahren, das zumindest einen Hinweis liefert. Seinerzeit ging es um das Luftablassen aus einem Fahrradreifen, die Richter werteten dies nicht als Sachbeschädigung, weil der Reifen ohne große Mühe wieder aufgepumpt werden konnte. Bei einem platten Autoreifen ist das gleichwohl umständlicher – und gegebenenfalls auch teurer, zum Beispiel wenn ein Pannendienst ausrücken müsste.
Der rote Hummer in Ehrenfeld ist seit einigen Wochen aus dem Straßenbild verschwunden. Vielleicht hat der Besitzer einen geschützten Tiefgaragenstellplatz gefunden. Vielleicht war er auch die hohen Reparaturkosten leid und hat den Wagen verkauft.