Eine Zeitkapsel aus dem Kalten Krieg, unter der Gesamtschule Lindenthal: Bei einem Angriff auf Köln wären hier die Fäden gezogen worden.
Unter der Gesamtschule LindenthalHier wäre Köln bei einem Angriff im Kalten Krieg verwaltet worden
Die Schule wäre wohl ausgefallen, hätte sich der Kalte Krieg in einen heißen verwandelt. Im Keller der heutigen Gesamtschule Lindenthal an der Berrenrather Straße 488 wäre die Arbeit aber wohl erst losgegangen. Im Falle eines Angriffs auf Köln sollte die Verwaltungsspitze von hier aus die Katastrophe managen. Zusammen mit Vertretern der wichtigsten Ämter, Dezernate und Behörden hätte sich der Oberstadtdirektor in den Kölner Westen zurückgezogen und die Fäden im Untergrund gezogen. So der Plan jedenfalls.
Der Kalte Krieg in seiner ursprünglichen Form ist Geschichte. Die „Verwaltungsbefehlsstelle“, umhüllt von 60 Zentimeter dickem Stahlbeton und gesichert mit Stahltüren und Schleusen, besteht seit Ende der 1960er Jahre jedoch nahezu unverändert. Zwar existieren auch die drei untergeordneten Befehlsstellen in der Innenstadt, in Ossendorf und in Dellbrück noch. Und die im Verborgenen liegenden Schutzräume der U-Bahn-Station Kalk-Post, die als „Mehrzweckanlage“ im Ernstfall rund 2500 Zivilisten aufnehmen sollte, können sogar besichtigt werden.
Das „Amtliche Telex- und Teletexverzeichnis“ von 1985 ist noch erhalten
Aber nirgendwo ist das Inventar so vollständig erhalten wie im Lindenthaler Raumlabyrinth. Schreib- und Funktische, Stühle, Lochstreifen-Fernschreiber, Telefone mit Kurbeln und Wählscheiben – alles erhalten. In Schränken lagern Büroklammern, Locher und Schreibpapier. Im Führungsraum kann im „Amtlichen Telex- und Teletexverzeichnis“ von 1985 geblättert werden. Die Bürokratie sollte selbst dann funktionieren, wenn Köln mit atomaren, biologischen oder chemischen Kampfmitteln beschossen worden wäre.
Dass bisher niemand auf die Idee gekommen sei, die Räume umzunutzen, sei ein „Riesen-Glücksfall“, sagt Christoph Lubbe, der ein Buch über Bunker aus dem Kalten Krieg geschrieben hat. Immerhin liege die letzte offizielle Notfall-Übung schon 35 Jahre zurück. Nachdem auch die Feuerwehr den Wartungsdienst einstellte, fielen die Katakomben in einen Dornröschenschlaf.
„Dokumentationsstätte Kalter Krieg“ sorgt sich um Fortbestand der Kommandozentrale
Der Verein „Dokumentationsstätte Kalter Krieg“ (Dokk) kümmert sich um die 700 Quadratmeter große Zeitkapsel, befürchtet jedoch auch, dass sie eines Tages unter die Räder kommt. Die Stadtverwaltung prüft, ob die Gesamtschule Lindenthal mit ihren aktuell noch zwei Standorten am Alten Militärring zusammengefasst werden kann. Was dann mit dem Standort an der Berrenrather Straße geschehen soll, ist laut Stadt zwar noch nicht geklärt. Der Verein macht sich dennoch Sorgen um den Fortbestand der zeitgeschichtlich so wertvollen Kommandozentrale.
Um zu verhindern, dass sie bei einem Abbruch der Schule ebenfalls beseitigt wird, will Dokk sie unter Denkmalschutz stellen lassen und den Kölnern dauerhaft zugänglich machen. Ein erster Schritt ist für den „Tag des offenen Denkmals“ am 8. September geplant: Erstmals überhaupt sollen dann Führungen durch die Anlage angeboten werden. Da es sich (noch) nicht um ein eingetragenes Denkmal handelt, ist die Veranstaltung jedoch nicht im städtischen Programm aufgeführt.
„Wenn man sich technisch interessiert, kommt man hier auf jeden Fall auf seine Kosten“, sagt Christoph Lubbe bei einem Rundgang zusammen mit dem Dokk-Vorsitzenden Robert Schwienbacher. Lüftungsanlagen, die zur Not per Hand betrieben werden können, ein Brunnen, ein verwaltungseigenes Fernmeldenetz für den Notfall – die tageslichtlosen Büros sollten selbst dann funktionieren, wenn draußen nichts mehr funktioniert hätte. Noch spannender als die Technik seien jedoch die Aufgaben, die eine zivile Verwaltung im Kriegsfall hätte stemmen sollen, so der 46-Jährige: „Hier wird einem bewusst, was es in der Praxis bedeutet, wenn man Krieg hat.“
Ab den 1970-er Jahren fanden auch in Lindenthal die „wintex-cimex“-Übungen der Nato statt, mit denen militärische und zivile Behörden den Verteidigungsfall probten. Die Übung 1983 sah unter anderem einen Luftangriff auf Chorweiler vor, inklusive Hamsterkäufen und verschütteten Straßen. In diesem Fall hätte der Oberstadtdirektor Kontakt mit der Führungsstelle im Bunker unterhalb des historischen Rathauses aufgenommen, wo sich die Leitung des Katastrophenschutzes eingefunden hätte. Ein eigens gegründetes Ernährungsamt hätte die Ausgabe von Lebensmittelkarten organisiert. In der Regel habe das Szenario mit dem Einsatz von Kernwaffen geendet, sagt Experte Lubbe.
Ungereimtheiten im Sicherheitskonzept
Atombomben hätte die Befehlsstelle in Lindenthal freilich nicht standgehalten. Auch sonst gibt es einige Ungereimtheiten, die das Sicherheitskonzept infrage stellen. Der Weg zum Schacht, in dem kontaminierte Kleidungsstücke entsorgt werden sollten, führt etwa über einen Gang, den die Allgemeinheit nutzte – eher keine gute Idee. Und die 21 schmalen Betten reichten für die bis zu 101 Verwaltungsmitarbeiter selbst bei einem Schichtschlafbetrieb nicht aus. „Im Detail nicht durchdacht“, so das Fazit von Robert Schwienbacher.
Doch die Anlage war wichtig genug, um das geheimdienstliche Interesse der Russen zu wecken. 1974 errichteten sie ausgerechnet gegenüber der Schule ihre Handelsmission. Zufälligerweise hätten die Sowjets bevorzugt während der Wintex-Übungen in der Schulturnhalle Sport getrieben, sagt der 61-Jährige: „Ein Schelm, wer Böses dabei denkt.“
Kostenlose Führungen durch die „Verwaltungsbefehlsstelle“ an der Berrenrather Straße 488 bietet der Verein Dokk am Sonntag, 8. September, fortlaufend zwischen 10 und 18 Uhr an. Die Führungen inklusive Einführungsvortrag dauern etwa eine Stunde. Anmeldungen sind nicht erforderlich. (cht)