Tod von Kurt BraunPsychisch kranker Täter wurde zuvor aus Klinik entlassen
- Der städtische Mitarbeiter Kurt Braun wurde im Dezember 2019 erstochen.
- Zu dem tragischen Tod des damals 47-Jährigen kommen immer mehr Details ans Licht.
- Clemens K., der Täter, ist ein kranker Mann, den niemand auf Dauer behandeln wollte. Vor dem Tod von Kurt Braun wurde er aus einer Klinik entlassen – trotz offensichtlicher psychischer Probleme.
Köln – In seiner Umgebung war Clemens K., der im Dezember 2019 den städtischen Mitarbeiter Kurt Braun erstach, schon sehr lange als unangenehmer Zeitgenosse bekannt. Er galt als rechthaberischer Querulant, der keinen Widerspruch duldete. Ein Einzelgänger, störrisch, impulsiv und aggressiv, aber auch ein psychisch kranker Mann, der seinen Nachbarn das Leben schwer machte und vor gewaltsamen Aktionen nicht zurück schreckte.
Das alles war kein Geheimnis: Denjenigen Mitarbeitern verschiedener Behörden, die mit Clemens K. zu tun hatten, waren die immer häufiger auftretenden und heftiger werdenden Verhaltensauffälligkeiten des unter Betreuung stehenden Mannes seit Jahrzehnten nur zu gut bekannt.Kaum ein Betreuer hatte es länger mit ihm ausgehalten.
Einer nach dem anderen warf seit 1998 das Handtuch, weil der psychisch gestörte Mann gegenüber den Sozialarbeitern regelmäßig zu einer persönlichen Bedrohung wurde. Mal warf er den Betreuern Steine hinterher oder schlug zu. Einem Betreuer donnerte er die Faust mitten ins Gesicht, nur weil dieser ihm zum Geburtstag gratulieren wollte. „Jeder Mensch hat doch das Recht, krank zu sein“, bemängelt seine Anwältin die damalige Vorgehensweise der Behörden, ihn unter staatliche Kontrolle zu stellen. Ihrer Einschätzung nach hätte es seinerzeit keiner gesetzlichen Betreuung bedurft.
Katastrophe im Dezember
Im Dezember 2019 kam es dann zur Katastrophe: Clemens K. hatte sich in seinem Wahn wieder einmal von der Außenwelt angegriffen gefühlt, als der städtische Bedienstete Kurt Braun bei ihm an der Haustür klingelte, um Außenstände einzutreiben. 387,50 Euro für einen zwangsweise angeordneten Krankentransport an Aschermittwoch desselben Jahres in die LVR-Klinik. Ohne Vorwarnung hatte Clemens K. auf Kurt Braun eingestochen.
Das Opfer war noch am Tatort verblutet. Seitdem sitzt K. in der Psychiatrie. Die Staatsanwaltschaft geht angesichts der psychischen Erkrankung des Täters von einer Schuldunfähigkeit aus und hat jetzt bei Gericht die Antragsschrift vorgelegt, mit der sie die dauerhafte Unterbringung in einer geschlossenen Einrichtung durchsetzen will. K. gilt als Gefahr für die Allgemeinheit.
Eine Einschätzung, die angesichts der Vorgeschichte des Mannes viel früher hätte getroffen werden – und damit Kurt Braun wohl das Leben retten können. Ein Termin für den Prozess steht noch nicht fest, es ist aber davon auszugehen, dass im Sommer verhandelt wird.
Betreuung vor Gericht beschlossen
Nachbarn hatten sich bereits in den 1990-er Jahren an die Stadt gewandt, weil sie sich von dem offensichtlich geistig verwirrten Mieter in dem Mehrparteienhaus in der Innenstadt terrorisiert fühlten. Er brachte sie mit lautem Geschrei nachts um den Schlaf, aus seiner vermüllten Wohnung drangen immer wieder üble Gerüche. Obwohl sich K. mit Händen und Füßen gegen eine gesetzliche Betreuung wehrte, wurde diese vom Gericht beschlossen. Seine Wohnung wurde zwangsgeräumt, er kam in einem Männerwohnheim unter.Zwei Jahre später zog K. erneut um, diesmal in eine Zweizimmerwohnung nach Höhenhaus, in ein soziales Brennpunkt-Milieu.
Die Miete zahlte die Stadt, K. bezog Arbeitslosengeld. Er weigerte sich nach wie vor, mit Betreuern und Ämtern zusammen zu arbeiten. Daran ändert sich auch nichts, als ihm die Stadt seine Bezüge um zehn Prozent kürzte. K. lebte isoliert, in seiner eigenen Welt, er hatte so gut wie keine Außenkontakte. Allerdings trieb er regelmäßig Sport und verfügte über eine außerordentliche Kondition. Er joggte über lange Distanzen, konnte aus dem Stegreif einen perfekten Kopfstand hinlegen.
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Es dauerte Jahre, bis Clemens K. erneut von einem Psychiater begutachtet werden konnte. Auf Vorladungen reagierte er nicht, wenn er polizeilich vorgeführt werden sollte, war er angeblich nicht zu Hause. Erst als seine Tür mit Hilfe des Schlüsseldienstes geöffnet wurde, konnte der Sachverständige zu ihm vordringen und den Versuch eines Gesprächs führen.
Darin fabulierte K. von seinen vermeintlichen Erfindungen, die in der Energiegewinnung dringend gebraucht würden. Die Rede war etwa von einem „Perpetuum mobile mit Räderantrieb“. In dem Gespräch, in dem K. zunehmend einen verwirrten Eindruck machte, offenbarte er eine rechtsradikale Gesinnung. Der Gutachter wiederholte die Diagnose „paranoide Psychose“. Inzwischen warf auch ein dritter Betreuer das Handtuch, weil K sämtliche Mitarbeit verweigerte und erneut gewalttätig wurde.
Nur noch schriftlicher Kontakt
Der nächste Betreuer wollte zu K. nur noch schriftlichen Kontakt halten – aus Angst um die eigene Gesundheit. 2015 unterhielt sich K. mit einem vierten Betreuer nur noch am geöffneten Fenster und verweigerte jegliche Mitarbeit. Auch die Nachbarn hatten Angst vor ihm, denn er schlich nachts durchs Treppenhaus, spielte Flöte und beschmierte Wohnungstüren mit Tomatensoße. Im März 2019 schließlich sah der Gutachter dringenden Handlungsbedarf und sprach sich wegen Fremdgefährdung für eine sechswöchige Unterbringung in der LVR-Klinik aus. Auch dort verweigerte K. jegliche Mitarbeit, sperrte sich gegen die Medikation, war krankheitsuneinsichtig und fiel durch Gewalttätigkeit auf. Er stach auf eine Krankenschwester mit einem Besteckmesser ein, weil er sich zu Unrecht auf der geschlossenen Station festgehalten fühlte.
Dennoch wurde er im April nach sechs Wochen entlassen. Obwohl K. in der Klinik durch Gewalttätigkeit auffiel und offensichtlich nach wie vor krankheitsuneinsichtig war, ließen ihn die Ärzte gehen. Sein Betreuer notierte im August 2019 einen weiteren aggressiven Vorfall in den Akten: Ein Polizei-Einsatz sei erforderlich gewesen, weil K. einen Arzt und eine städtische Mitarbeiterin mit einem Schraubenzieher angegriffen habe. Die Klinik erstattete Strafanzeige, die Ermittlungen liefen noch, als es im vergangenen Dezember dann zu dem tödlichen Geschehen kam.
Kein Schuldbewusstsein
Er habe aus Notwehr gehandelt und sich lediglich verteidigen wollen, gab K. – der nach der Tat wieder in eine geschlossene Klinik eingeliefert wurde – als Motiv an. Schuldbewusstsein ließ er nicht erkennen. Er sei weder gefährlich noch krank und daher nicht behandlungsbedürftig, so seine Meinung. Er hoffe, freigesprochen zu werden.
Dass die jahrzehntelange Vorgeschichte dem Kämmerei-Mitarbeiter Kurt Braun nicht bekannt war, als er völlig arglos bei Clemens K. klingelte, ist eigentlich unvorstellbar – aber es trifft zu. Erst seit Anfang dieser Woche verfügt die Stadt nämlich über eine interne Datenbank („Zemag“), in der die Verwaltungsmitarbeiter Auffälligkeiten und Gewalttätigkeiten über Kunden und Klienten vermerken können.
So können sich Außendienstmitarbeiter ab sofort vor einem Hausbesuch informieren, ob sie nicht vielleicht besser die Polizei mitnehmen. OB Henriette Reker hatte nach dem gewaltsamen Tod von Kurt Braun darauf gedrängt, ein solches Meldesystem schnell an den Start zu bringen. Köln ist nun die erste und einzige Stadt bundesweit, die eine solche Datenbank pflegt.