Ein Prüfbericht belastet das Kölner Ordnungsamt schwer. Nun kündigen die Ratsfraktionen Konsequenzen an.
„Klüngel-System“ im Ordnungsamt?Was aus den schweren Vorwürfen gegen die Stadt Köln folgen könnte
Am Dienstag fallen die Worte, die tags zuvor noch Geraune sind, die nur im Hintergrund zu hören sind. Von „Klüngel-System“ ist die Rede, von einem möglichen „Fall für die Staatsanwaltschaft“, von „Vorteilsnahme“.
Die Berichterstattung des „Kölner Stadt-Anzeiger“ über den nicht-öffentlichen Prüfbericht des städtischen Rechnungsprüfungsamts (RPA) zu den Sicherheitsleistungen am Straßenkarneval „schockt“ manches Mitglied im Stadtrat. Unter anderem sagte Volker Görzel, Sprecher der FDP-Fraktion für Rechnungsprüfung, am Dienstag: „Der Bericht ist Sprengstoff, ich bin entsetzt. Entweder handelt es sich um Vorsatz, dann ist es Fall für den Staatsanwalt. Oder es ist fahrlässig, dann ist es ein Fall für die Dienstaufsicht.“
Der 57-seitige Bericht der Prüfer kritisiert die Arbeit des Ordnungsamtes: Demnach bezahlte die Stadt unaufgefordert mehr Geld und hatte teils keine Ahnung, welche Firmen im hochsensiblen Karnevals-Hotspot Zülpicher Straße für sie arbeiten.
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Linke erwägt eigene städtische Sicherheitsfirma
Seit 2018 organisiert die private Veranstaltungsagentur den Straßenkarneval am 11.11. und zwischen Weiberfastnacht und Veilchendienstag — und zwar in der Altstadt, der Südstadt und vor allem dem Kwartier Latäng an der Zülpicher Straße. Es geht unter anderem um die Kontrolle des Glasverbots und die Einlasskontrolle in den abgesperrten Bereich. Im vorigen Jahr verlängerte die Stadt den Vertrag um ein Jahr, mit der Möglichkeit, dreimal für ein Jahr bis 2026 zu verlängern. Geplante Kosten: 6,3 Millionen Euro.
Die Agentur entwarf das Konzept für die Karnevalstage und setzte es um, laut Vertrag mit der Stadt waren dafür zusätzlich zwei Nachunternehmen vorgesehen. Tatsächlich waren es am 11.11.2021 insgesamt 27, beim Straßenkarneval im Jahr 2023 laut des Berichts sogar mindestens 48, viele davon kannte das Ordnungsamt laut RPA nicht. Jörg Detjen, Vorsitzender des Rechnungsprüfungsausschuss (Linke), sagte: „Private Sicherheitsfirmen beauftragen sich intransparent gegenseitig und schanzen sich Aufträge zu.“ Es brauche möglicherweise eine städtische Sicherheitsfirma.
Keine schriftliche Belege über Absprachen
Laut des RPA-Berichts zahlte die Stadt mehr Stundenlohn als vertraglich vereinbart – und das nur nach mündlichen Absprachen. Das fiel im Ordnungsamt offenbar über Jahre niemanden auf oder wurde geduldet. Die Prüfer urteilten: „Versäumnisse führten zu vermeidbaren finanziellen Mehrausgaben der Stadt Köln.“
Nach Informationen dieser Zeitung soll ein Mitarbeitender des Ordnungsamtes vorerst beurlaubt worden sein wegen eines möglichen Disziplinarverfahrens, im Amt selbst ist die Rede von einem „Bauernopfer“.
Die Veranstaltungsagentur ist unter anderem für die Sicherheitsmaßnahmen an Silvester am Dom zuständig. In einem Gespräch am Dienstag kündigte eine Mitarbeiterin eine mögliche Reaktion auf den Fragenkatalog des „Kölner Stadt-Anzeiger“ an — sie blieb aber bis zum frühen Dienstagabend aus.
Polizei würde sich Aufwand gerne ersparen
Zusätzlich setzte der Dienstleister im Corona-Jahr 2021 am 11.11. kurzfristig morgens 108 Mitarbeitende ein, von denen die Polizei 66 nicht überprüfen konnte. Der Leitende Polizeidirektor Martin Lotz sagte zu der händischen Überprüfung: „Diesen Aufwand würden wir uns gerne ersparen, indem man uns die zu prüfenden Personen möglichst frühzeitig mitteilt.“
Bis 2026 könnte der Vertrag laut RPA noch laufen. Es blieb am Dienstag unklar, wann die Stadt ein Kündigungsrecht hat. Doch in 68 Tagen ist der 11.11., noch dazu an einem Samstag. Es dürfte voll werden, schon dieses Jahr musste die Stadt die Zülpicher Straße wegen Überfüllung schließen.
Was ist für den 11.11. jetzt noch möglich?
Kann die Stadt in 68 Tagen dem Dienstleister kündigen und einen neuen finden, der hunderte Mitarbeitende stellt? Stadtdirektorin Andrea Blome hatte mitgeteilt, dass sie „umgehend reagiert und personelle sowie organisatorische Maßnahmen ergriffen habe.“ Sie würden am 11.11. umgesetzt. Was das heißt, blieb offen. Der Rechnungsprüfungsausschuss beschäftigte sich am Dienstagabend im nicht-öffentlichen Teil damit. Dem Vernehmen nach schließt die Verwaltung aber aus, dem Dienstleister für den 11.11. zu kündigen.
Doch etwa SPD-Fraktionschef Christian Joisten sagte: „Die Stadtverwaltung muss jetzt die Zusammenarbeit mit dem aktuellen Dienstleister unverzüglich beenden, denn solchen Akteuren darf nicht weiter die Sicherheit der Feiernden anvertraut werden.“ Joisten forderte bei Gesetzesverstößen personelle Konsequenzen. „Zukünftig braucht es bessere, transparentere und vor allem wirksamere Kontrollmechanismen, um diesem Klüngel-System Herr zu werden.“
Unregelmäßigkeiten auch über Karneval hinaus?
Zumal Karneval nur ein Anlass ist, an dem die Stadt sich Wachdienste einkauft. Insgesamt zahlte die Verwaltung laut RPA zuletzt jährlich rund 40 Millionen Euro für solche Dienste, etwa für Flüchtlingsunterkünfte. Waren die laut RPA „schweren Versäumnisse“ beim Karneval nur der Anfang? Hat die Stadt auch anderswo mehr Geld bezahlt – sogar unaufgefordert?
Wie berichtet, hatte der Dienstleister an Karneval vor drei Jahren zwei Euro je Arbeitsstunde mehr gefordert, tatsächlich aber drei Euro erhalten, laut RPA ist das „nicht nachvollziehbar“. Der Gesamt-Prüfbericht folgt später, er dürfte mit Spannung erwartet werden und möglicherweise den Verdacht erhärten, ob die Stadt ein Problem hat, das weiter reicht als bisher.
Bündnis hält sich zurück
Das Mehrheitsbündnis aus Grünen, CDU und Volt hielt sich am Dienstag mit Kritik zurück. „Die Erkenntnisse des Rechnungsprüfungsamtes werfen eine ganze Reihe von Fragen auf“, sagte Hans Schwanitz, sicherheitspolitischer Sprecher der Grünen. CDU-Fraktionschef Bernd Petelkau forderte „umgehend schnelle Aufklärung“, lobte Blome für die ersten Maßnahmen. Jennifer Glashagen (Volt) bezeichnete die Berichterstattung als „alarmierend“.
Bei Wirtinnen und Wirten an der Zülpicher Straße löst der Bericht gemischte Gefühle aus. Maureen Wolf von „Oma Kleinmann“ sagte: „Einerseits denke ich: Wir haben die ganze Zeit gewusst, dass es hier nicht gut läuft.“ Die Kneipe öffnet wegen der Absperrung des Quartiers nicht mehr an Karneval. „Andererseits zeigt der Bericht, wie hoch der Druck auf dem Thema und auf der Sicherheitsbranche ist. Das darf nicht dazu führen, dass Dinge unrechtmäßig hingebogen werden. Aber wir wissen aus eigener Erfahrung, wie schwierig es ist, überhaupt noch Security Personal zu bekommen.“
Markus Vogt vom „Kwartier“ sieht sich in seinen Annahmen über das Ordnungsamt bestätigt. „Ich habe seit Jahren Fälle von Vorteilsnahme rund um das Sicherheitskonzept vermutet“, sagt er. „Für diesen 11.11. wird die Stadt es wieder mit dem gleichen Betreiber machen müssen.“ Für die Zeit danach fordert er eine andere Firma.