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Bundeswehr-SkandalWie General Kießling in Köln um seine Ehre kämpfte

Lesezeit 4 Minuten
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Günter Kießling (l.) und Verteidigungsminister Manfred Wörner (r.) beim Großen Zapfenstreich, mit dem Kießling am 26. März 1984 in der Ernst-Moritz-Arndt-Kaserne im hessischen Neustadt von der

Köln – Sein Name steht für einen der größten Skandale in der Geschichte der Bundesrepublik: General Günter Kießling (1925-2009). Als Homosexueller mit einschlägigen Kontakten in Köln diffamiert, wurde der ranghöchste Offizier der Bundeswehr und Vize-Nato-Oberbefehlshaber 1983 entlassen. Bis sich einige Wochen später herausstellte, dass es sich bei den Vorwürfen um Verleumdung handelte.

Der damals 59 Jahre alte Kießling war das Opfer einer politischen Schmierenkampagne geworden, bei der Verteidigungsminister Manfred Wörner (CDU), Bundeskanzler Helmut Kohl (CDU) und der Militärische Abschirmdienst (MAD) kaltschnäuzig einen Mann seiner Ehre beraubt hatten.

Es dauerte einige Wochen, bis das auf der Bonner Hardthöhe und in der Kölner MAD-Zentrale konstruierte Lügengebilde einstürzte und die Ehre des Generals wiederhergestellt wurde.

Dünne „Beweislage“

Begonnen hatte alles mit Hinweisen des MAD an das Verteidigungsministerium von Manfred Wörner, dass der ledige Vier-Sterne-General regelmäßig in der Kölner Schwulenszene verkehre – und damit mit Blick auf seine mögliche Erpressbarkeit ein Sicherheitsrisiko sein könnte.

Nach den Richtlinien der Bundeswehr wurde Homosexualität noch „als abnormes Verhalten auf sexuellem Gebiet“ in der Truppe eingestuft. Kripobeamte, von einem MAD-Oberst und mit Segen von Wörner auf dem kleinen Dienstweg um Amtshilfe gebeten, hatten in den Kölner Schwulenkneipen „Tom“ und „Café Wüsten“ Gästen Fotos von Kießling vorgelegt – mit dem Ergebnis, dass einige ihn als „Günter oder Jürgen von der Bundeswehr – irgendwas mit ü“ identifiziert hatten.

Eine mehr als dünne „Beweislage“. Doch auf die Idee, nachzuhaken, kam die Polizei nicht. Für sie war der General als Homosexueller „überführt“. Eine Schlamperei ohnegleichen.

Kießling selbst wurde erstmals im September 1983 mit den Vorwürfen konfrontiert, als er ins Verteidigungsministerium zitiert wurde. Seine Versicherung und sein Ehrenwort, dass die Vorwürfe erstunken und erlogen seien, nutzten ihm nichts. Man einigte sich schließlich, dass sich der General mit sofortiger Wirkung krankmelden solle, um dann klammheimlich aus der Bundeswehr entlassen zu werden – ohne großes Aufsehen und ohne Großen Zapfenstreich.

Presse brachte die Wende

Doch daraus wurde nichts. Als Anfang Januar 1984 die Presse Wind von der Sache bekam, entschloss sich Kießling zur Offensive und nahm sich den renommierten Bonner Rechtsanwalt Konrad Redeker als Rechtsbeistand. Im „Deutschlandfunk“ versicherte Kießling im Januar 1984: „Ich bin zu keinem Zeitpunkt erpressbar gewesen. Und ich bin vor allen Dingen auch nicht erpressbar gewesen, weil es bei mir niemals im Leben irgendwelche homosexuellen Neigungen oder gar Beziehungen gegeben hat.“

Die Wende kam, als Udo Röbel, damals stellvertretender Chefredakteur des „Express“, am 12. Januar bei Recherchen mit seinen Kollegen herausfand, dass es sich bei dem „Günter“ oder „Jürgen“ aus den Kölner Schwulentreffs nicht um den General, sondern um einen Doppelgänger handelte.

Als Röbel im „Tom Tom“ in der Hühnergasse ein Foto von Kießling zeigte, war die Reaktion eindeutig: „Ja klar kennen wir den. Das ist der Jürgen, der ist Wachmann bei der Bundeswehr! Nach dem hat doch auch schon die Polizei gefragt.“ Jetzt war klar: Die Ehre des Generals war gerettet.

Verbitterung bis zum Tod

„Noch am gleichen Abend gaben wir die Geschichte als Vorabmeldung an die Nachrichtenagenturen. Eine halbe Stunde später überschlugen sich die Ticker mit Eilmeldungen – und Ulrich Deppendorf von den Tagesthemen berichtete live aus dem »Tom Tom«“, erinnerte sich Röbel, der für die Aufdeckung des Skandals mit dem Wächterpreis der deutschen Tagespresse ausgezeichnet wurde, Jahre später. Und Kießling sagte: „Ohne den »Express« wäre mir wohl kaum Genugtuung verschafft worden.“

Manfred Wörner – und auch Kanzler Helmut Kohl – standen blamiert da und mussten sich peinliche Fragen gefallen lassen. Die Öffentlichkeit reagierte empört. Doch der Kanzler saß – wie immer bei unangenehmen Dingen – den Skandal einfach aus. Wörner, der noch eine Zeit lang versuchte, mit neuen, windigen Zeugen Kießling in den Dreck zu ziehen, durfte im Amt bleiben, obwohl er seinen Rücktritt angeboten hatte.

Später wurde er sogar noch auf den Posten des Nato-Generalsekretärs befördert. Allerdings musste der Verteidigungsminister gute Miene zu seinem bösen Spiel machen und mit einem Großen Zapfenstreich Günter Kießling in aller Form rehabilitieren und ehrenhaft in den Ruhestand verabschieden.Panzergeneral Kießling a.D. selbst blieb bis zu seinem Tod am 28. August 2009 im Alter von 83 Jahren in Rendsburg ein verbitterter Mann. „Wenn ich an Wörner denke, kommt mir noch heute der Kaffee hoch“, sagte er noch viele Jahre später.