Sven Peters lebt seit einem Jahr in seinem selbstgebauten Fahrradanhänger. Und berichtet bei Youtube über das Leben auf der Straße.
Kölner Obdachloser auf YoutubeWie der „Radjeck“ auf sein Leben im Fahrradanhänger blickt
Die schönsten Momente erlebt man in seinem Fahrradanhänger, wenn die Natur ganz nah heranrückt, erzählt Sven Peters. „Wenn der Regen auf das Dach prasselt, während ich geschützt darunter liege und Musik höre: fantastisch.“ Sein Fahrradanhänger ist für Peters nicht irgendein Gefährt, mit dem er Bierkästen vom Supermarkt in die Wohnung transportiert. Es ist sein Zuhause.
Seit knapp einem Jahr lebt Peters, 52 Jahre alt, in seinem selbstgebauten Fahrradwohnwagen, irgendwo in Köln. Momentan steht er auf einem brachliegenden Privatgrundstück in der Innenstadt. Das Ordnungsamt kann ihn hier nicht verscheuchen. Und der Besitzer duldet Peters offenbar – oder interessiert sich zumindest nicht für ihn.
„Roomtour“ durch den Radanhänger auf Youtube
Auf Youtube berichtet er als „Radjeck“ über das Leben im Fahrradanhänger. Mittlerweile folgen ihm 500 Menschen. Seine Videos haben wenig von den mit Ringlicht ausgeleuchteten Hochglanzproduktionen, die auf Youtube-Deutschland Millionen Klicks einsammeln. Peters schaltet einfach seine Kamera an und redet drauflos, ohne Skript und ungeschönt. Seine Abonnenten mögen das, fragen nach Tipps für den eigenen Radanhänger oder wünschen ihm einfach nur Glück und fragen, ob sie etwas spenden können.
In seinen Videos gibt er beispielsweise eine „Roomtour“ durch seinen Anhänger. Er zeigt das „Schlafzimmer“ mit der schmalen Matratze, die „Küche“, eine kleine, abgetrennte Kabine mit Campingkocher und die „Garderobe“: Sechs Haken an der Wand für Jacken und Pullover. Alles verteilt auf 2,74 Meter Länge und 1,35 Meter Breite.
Wenn Peters vor seinem Wagen erzählt, hört man den Stolz in seiner Stimme. „Es gibt Leute, die geben für so ein Teil mehrere Tausend Euro aus“, sagt er dann. Auch er habe schon Angebote bekommen. „Aber der steht nicht zum Verkauf“, sagt Peters und lächelt.
In seinen Videos erzählt Peters aber auch von seinem oft tristen Alltag zwischen Pfandflaschensammeln, Ärger mit dem Arbeitsamt und Dieben, die seine „Wohnung“ schon mehrfach ausgeräumt hätten. Denn auch wenn der Fahrradwohnwagen Peters ganzer Stolz ist - faktisch ist er obdachlos. Die vier dünnen, mit Schaumstoff isolierten Wände sind die Grenze zwischen ihm und seinem Leben auf der Straße.
Kölner Radjeck: Von der Straße über die Radwerktstatt zum Zirkus
Das erste Mal obdachlos war Peters mit 18, nach Auseinanderzungen mit seiner Stieffamilie. Einige Zeit später schafft er es weg von der Straße. Er macht sein Hobby zum Beruf und arbeitet zehn Jahre lang in diversen Fahrrad-Werkstätten in Köln. Doch immer wieder kommt etwas dazwischen: Streit mit Chefs, kleine und große Ungerechtigkeiten, schlechte Bezahlung, auch der Alkohol.
Also zieht Peters weiter, kündigt oder wird entlassen. Die Obdachlosigkeit verfolgt ihn dabei auf Schritt und Tritt. Zwölfmal sei er in seinem Leben schon obdachlos gewesen, manchmal nur wenige Tage, manchmal drei Jahre am Stück. Die Gründe dafür, so sagt Peters, sind vielfältig und liegen irgendwo zwischen Überforderung, dem freidrehenden Kölner Wohnungsmarkt und prekären Arbeitsverhältnissen. „Ich war nie der Typ, der sich bei Schwierigkeiten an andere wendet und Hilfe sucht. Und wenn ich mich ungerecht behandelt gefühlt habe, wurde ich in der Vergangenheit schnell aggressiv“, fügt er noch hinzu. Prägungen aus seiner Kindheit, die er loswerden wolle – im Idealfall mit einer Therapie.
2012 probiert er etwas Neues, widmet sich seiner zweiten Leidenschaft neben dem Fahrrad und fängt beim Zirkus an, wo als Requisiteur arbeitet. Ein Knochenjob: elf Monate im Jahr ist er auf Tour, richtet unter Zeitdruck die Manege für die Artistinnen und Artisten während der Shows her.
Seine damalige Wohnung gibt er auf. Einfach, weil sich das nicht lohnt. Stattdessen wohnt er in einem vier Quadratmeter großen Abteil, das ihm der Zirkus bereitstellt. Trotzdem macht er den Job gerne. „Schon als Kind habe ich Laurel und Hardy, Buster Keaton und all diese Sachen geliebt.“ Irgendwann aber macht der Körper nicht mehr mit. Spätestens 2019, nach einem Meniskusriss, weiß er dann, dass er den Job nicht mehr lange machen kann.
Der Traum von der Garage in Köln
2022 ringt sich Peters zur Kündigung durch, nimmt seinen Resturlaub und begibt sich auf die Suche nach einer neuen Wohnung in Köln, um von dort aus einen neuen Job zu suchen. Doch auf dem erhitzten Wohnungsmarkt hat er keine Chance: „Zu dem Zeitpunkt hatte ich 7000 Euro auf dem Konto und einen Arbeitsvertrag. Aber trotzdem hagelte es eine Absage nach der anderen.“
Ein Leben außerhalb Kölns kann sich Peters nicht vorstellen: „Ich habe mein ganzes Leben in Köln verbracht, mein Herz hängt an der Stadt und das wird sich in diesem Leben nicht mehr ändern.“ Also macht er sich seine Fähigkeiten als Radmechaniker zu Nutze – und fängt an zu bauen.
Und jetzt, ein Jahr nach dem Einzug in den Wagen? An das Leben im Anhänger habe er sich mittlerweile gewöhnt. „Es gibt nur wenige Obdachlose, die es so gut haben wie ich“, sagt Peters. Und doch: „Mit mir und dem Wagen ist es definitiv eine Hassliebe.“ Die ständigen Einbrüche, der harte Winter und die schlechten hygienischen Bedingungen – „die kotzen mich schon an.“
Peters will weg von der Straße, diesmal für immer. Sein Ziel: endgültig vom Alkohol wegkommen, eine Therapie beginnen und irgendwo in Köln eine kleine Garage mieten. „Dort kann ich den Anhänger unterstellen und meine eigene Fahrradwerkstatt einrichten.“ Doch selbst eine geeignete Garage zu finden, die er sich leisten kann, ist in Köln schwierig. Und doch glaubt Peters, dass er es schafft und damit sein turbulentes Leben endgültig in ruhigere Bahnen lenken kann.