Ziehvater tötete MädchenDas lange Leiden der kleinen Lea-Sofie aus Köln
Köln – Das Verbrechen an der kleinen Lea-Sofie aus Chorweiler jährt in diesem Jahr zum zehnten Mal. Bis heute nehmen die Kölner großen Anteil am Schicksal des Mädchens aus Chorweiler, das von ihrem Ziehvater misshandelt wurde und dem die eigene Mutter nicht geholfen hat. Lea-Sofie starb ganz allein, nach einem grausamen Todeskampf. Die Rekonstruktion eines schwer erträglichen Kriminalfalles.
Schnell beginnt er Lea-Sofie zu schlagen
Im Spätsommer 2012 ziehen Manuel R. (damals 22) und Alexandra S. (damals 20, Namen geändert) zusammen. Die Lebensläufe der beiden ähneln sich stark. Schwere Kindheit mit gewalttätigen Eltern, Förderschulen, Arbeitslosigkeit. Und beide haben ein Kind. Sein Sohn ist gerade ein Jahr alt. Ihre Tochter anderthalb: Lea-Sofie.
Manuel R. will keine Verantwortung für Lea-Sofie übernehmen. Aber er will sie bestrafen und nennt das „Erziehung“. Alexandra S. gehe zu lasch mit ihrer Tochter um, Lea-Sofie klammere sich viel zu sehr an sie. Im November 2012 beginnt er Lea-Sofie zu schlagen. Manuel R. schlägt dem Kind mit der flachen Hand so heftig auf den Po, dass es Hämatome davonträgt. So mache man das, meint der 22-Jährige, nachdem Alexandra S. zuvor nicht fest genug zugeschlagen hatte. Lea-Sofie weint jedes Mal.
Mindestens sechs Faustschläge ins Gesicht und gegen den Kopf
Alexandra S. verlässt an jenem 17. Dezember 2012 gegen 11.30 Uhr die Wohnung. Wie üblich hatte sie Lea-Sofie zuvor zum Mittagsschlaf hingelegt, obwohl das Mädchen bis 10 Uhr geschlafen hatte. Nur widerwillig hatte sich Manuel R. bereit erklärt, unter dieser Voraussetzung auf Lea-Sofie aufzupassen, zumal er schon eine Flasche Wodka intus hatte. R. ist frustriert, da er bald eine Ersatzfreiheitsstrafe im Gefängnis antreten soll – er hatte eine Geldstrafe nicht bezahlt. Er hat Angst, seinen Sohn über Weihnachten nicht zu sehen.
Manuel R. liegt in der Badewanne, als er ein lautes Quengeln und Weinen aus dem Kinderzimmer vernimmt. Lea-Sofie ist aufgewacht. Er will das Kind mit einer Trinkflasche beruhigen, nimmt es auf den Arm, so wird er es später schildern. Lea-Sofie sperrt sich, wirft die Trinkflasche auf den Boden und steigert sich in einen Schreikrampf hinein. Bald schlägt die Stimmung vom Ziehvater um.
Um Lea-Sofie ruhigzustellen, versetzt Manuel R. dem zierlichen Mädchen mindestens sechs kräftige Faustschläge ins Gesicht und gegen den Kopf. Durch zwei dieser Schläge kracht Lea-Sofie im Kinderzimmer mit dem Gesicht auf den harten Laminat-Boden. An den Haaren reißt R. das Kind wieder hoch und schlägt weiter zu. Er skalpiert das Kind regelrecht, die Kopfschwarte löst sich vom Schädel. Als kein Mucks mehr von Lea-Sofie zu hören ist, verlässt Manuel R. das Zimmer.
Mutter schaut Fernsehen und schreibt Handy-Nachrichten
„Was ist passiert?“, fragt Alexandra S. ihren Freund, als sie in die Wohnung zurückkehrt. Der zuckt mit den Schultern. Viele Minuten vergehen, bis die junge Frau wieder nach ihrer Tochter schaut. Lea-Sofie ist wieder etwas ansprechbarer, vegetiert aber nur noch vor sich hin. Sie kann nicht Essen, Laufen oder Sitzen. Und sie muss starke Schmerzen verspüren. Ein Mediziner spricht später von „Vernichtungskopfschmerzen“. Einen Arzt ruft die Mutter nicht. Lea-Sofies Zustand verschlechtert sich immer weiter. Zwei Tage sind seit der Prügelattacke vergangen, als Manuel R. gegen Mittag des 19. Dezember die Wohnung verlässt. Er geht zu Freunden, isst Pizza und spielt mit den Kindern der Familie. Am Abend kehrt er zurück.
Alexandra S. beschäftigt sich in der Zwischenzeit mit ihrem Handy. Mal schreibt sie Ex-Freunden, dass mit Manuel R. bald Schluss sei, dann schickt sie ihm Liebesschwüre. Gegen 16 Uhr guckt sie noch einmal kurz ins Kinderzimmer. Lea-Sofie lässt sich nicht wecken. Die Mutter schaut weiter Fernsehen. Dann sieht niemand mehr nach dem Kind.
Lea-Sofie stirbt ganz allein im Kinderzimmer
In der Nacht zum 20. Dezember, einem Donnerstag, stirbt Lea-Sofie an einer massiven Hirnschwellung. Ganz allein. 19 Stunden hatte die Mutter das Kinderzimmer nicht betreten. Lea-Sofies toter Körper ist da bereits steif. Die Leiche könne nicht in der Wohnung bleiben, meint Manuel R., am nächsten Tag komme sein Sohn zu Besuch. Das Paar schafft die Leiche des kleinen Mädchens zum Fühlinger See. Sie überlegen, die tote Lea-Sofie ins Wasser zu werfen, sehen aber davon ab – weil man die Leiche zu schnell entdecken würde, wenn sie an der Oberfläche schwimmt.
Stattdessen entkleiden die Täter den toten Körper, packen ihn an Händen und Füßen und werfen ihn in ein abschüssiges Tannengebüsch. Die Leiche von Lea-Sofie verfängt sich in den Ästen. Ihre Kleider verteilen die Mutter und deren Freund auf dem Waldboden. Alles soll so aussehen, als wäre Lea-Sofie entführt worden und einem Sexualmörder zum Opfer gefallen.
Der Polizei erzählen sie am nächsten Tag, Lea-Sofie auf dem Spielplatz im Olof-Palme-Park aus den Augen verloren zu haben. Doch schnell hegen die Polizisten Zweifel, alles kommt raus. Die Polizei durchkämmt das Waldgebiet am Fühlinger See, die Beamten finden Lea-Sofies Leiche im Gebüsch. Manuel R. und Alexandra S. werden festgenommen.
Staatsanwältin spricht von „egoistischer Selbstsucht“
„Er hat Lea-Sofie aus egoistischer Selbstsucht getötet. Sie war ein Störfaktor, an dem er seinen Frust ausließ", sagte die Staatsanwältin beim Prozess vor dem Landgericht über Manuel R. Sie fordert eine lebenslängliche Haftstrafe wegen Mordes. Die Ermittlerin spricht von einer „mitleidlosen Gesinnung“ des Angeklagten, dessen Tat an Brutalität kaum zu überbieten sei.
„Sie hat zugelassen, dass ihre Tochter zugrunde geht“, äußert die Staatsanwältin über Alexandra R. „Wie Abfall“ sei die Leiche des Kindes weggeworfen worden. Laut Staatsanwältin wiegt die Tat besonders schwer, weil Lea-Sofie hätte gerettet werden können. Die Chancen standen bei 80 Prozent, so ein Gutachter im Prozess, dass Lea-Sofie die Schläge sogar ohne Folgen hätte überleben können.
Richterin: Wer ein Kind tötet, ist nicht automatisch ein Mörder
„Es tut mir leid, was ich gemacht habe“, sagt Manuel R. am vorletzten Prozesstag zur Richterin. Er werde dafür geradestehen. „Ich bereue, was passiert ist“, sagt Alexandra S. im sogenannten letzten Wort. Verteidiger Sebastian Schölzel nennt den Tod von Lea-Sofie in seinem Plädoyer „eine Katastrophe“. Aber sein Mandant sei nicht das Monster, das die Öffentlichkeit in ihm sehen wolle.
R. sei am Tattag völlig überfordert gewesen, nachdem Lea-Sofie immer weiter geschrien habe. Die Vorsitzende Richterin Ulrike Grave-Herkenrath spricht später in ihrer Urteilsbegründung von Totschlag und nicht von Mord.
Für zwölf Jahre muss Manuel R. ins Gefängnis, Alexandra S. wegen Totschlags durch Unterlassen für sieben Jahre. „Im Gesetz steht nun mal nicht: Wer ein kleines Kind tötet, ist automatisch ein Mörder“, so die Richterin. Das Gericht habe kein Mordmerkmal gesehen, keinen niederen Beweggrund. Manuel R. habe „das Kind nicht aus Freude am Quälen misshandelt." Die Situation sei eskaliert, der Täter habe die Nerven verloren. Mutter Alexandra S. wird für ihr Nichtstun bestraft. Dafür, dass sie ihr Kind so elendig hat sterben lassen.
Kölner Strafverteidiger: Das emotionalste Verfahren
Es sei das emotionalste Verfahren gewesen, an dem er als Strafverteidiger beteiligt gewesen sei, sagt Rechtsanwalt Sebastian Schölzel heute, „allein wegen des Alters des Kindes und den Umständen, wie es zu Tode gekommen ist.“ Wie kann man so jemanden wie Manuel R. verteidigen? Diese Frage musste Schölzel schon oft beantworten.
„Hinter einer solchen Tat steht auch immer ein Mensch, mit seinen Motiven, Ängsten und der persönlichen Schuld, mit der er zurechtkommen muss“, sagt Schölzel. Und jeder Mensch habe den Anspruch auf ein faires Verfahren.