Kölner Anwältin bezweifelt NutzenBuschmann will Gewalt an Frauen härter bestrafen
Köln/Düsseldorf – Bundesjustizminister Marco Buschmann (FDP) will Gewalttaten gegen Frauen und queere Menschen stärker ahnden. Das Ausmaß frauenfeindlicher Gewalt sei „erschütternd“, sagte Buschmann und kündigt einen Gesetzesentwurf an, laut dem frauenfeindliche und queerfeindliche Motive bei der Strafzumessung besonders berücksichtigt werden. Der Kölner Lesben- und Schwulentag begrüßt den Vorstoß, eine Opferanwältin zweifelt dagegen an der Umsetzung dieser Gesetzesänderung im Gerichtssaal.
„Wir senden ein Signal an die Gesellschaft: Wer aus männlichem Besitzdenken Frauen angreift, handelt unserer Werteordnung in besonders eklatanten Weise zuwider“, sagte Buschmann gegenüber den Zeitungen der Funke-Mediengruppe. Gewalttaten von Männern an Frauen dürften nicht als Eifersuchtsdramen und private Tragödien bagatellisiert werden. „Geschlechtsspezifische Gewalt muss als solche benannt und mit der gebotenen Strenge bestraft werden.“
Motive fielen bisher unter „menschenverachtend“
Die Gesetzesänderung, die Buschmann anstrebt, bezieht sich auf den Paragrafen 46: Dieser dient als Grundlage der Strafzumessung, also der Härte der Strafe. Bislang wirken sich antisemitische, rassistische, fremdenfeindliche und sonstige menschenverachtende Motive strafverschärfend aus. Buschmann will diese Liste durch „geschlechtsspezifische“ und „gegen die sexuelle Orientierung gerichtete“ Beweggründe ergänzen.
Diese Ergänzung „setzt ein wichtiges rechtspolitisches Zeichen und soll dazu beitragen, dass Ermittlungsbehörden bei Hinweisen auf solche Motive ganz genau hinschauen“, kommentiert das nordrhein-westfälische Justizministerium auf Anfrage. Allerdings würden queerfeindliche und frauenfeindliche Motive auch heute schon in der Strafzumessung berücksichtigt: Sie fallen unter „menschenverachtend“.
Anwältin glaubt nicht, dass Gesetzesänderung Schutz verbessert
Viel mehr als eine symbolische Wirkung sieht die Kölner Rechtsanwältin Eva Kuhn in dem Vorstoß von Marco Buschmann deshalb nicht. „Wenn man mit dem Gesetz sorgfältig arbeitet, ist dort eigentlich schon alles geregelt“, sagt Kuhn, die auf Opferschutz spezialisiert ist. „Ich persönlich glaube nicht, dass wir hier neue Gesetze brauchen.“
Im Gerichtsalltag habe eine Änderung des Paragrafen deshalb nur wenige Auswirkungen. „Man kann mit dem jetzigen Paragraf 46 auch schon niedere Beweggründe wegen Frauenfeindlichkeit argumentieren", sagt Kuhn. „Ich glaube nicht, dass eine Konkretisierung oder Ergänzung des bestehenden Paragrafen den Schutz von Frauen und homosexuellen Menschen vor Gewalt verbessert.“
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Stattdessen fordert Kuhn Veränderungen bei Gericht: Diese, findet sie, würden deutlich mehr helfen. Die Gerichte seien überfüll, Verfahren dauerten zu lange, oft fehle es an technischer Ausstattung, moniert die Anwältin. Theoretisch dürfen Frauen, die nicht im Saal aussagen möchten, dies zum Beispiel im Nebenzimmer per Videoschalte machen. Praktisch sei dies nicht immer möglich. „Da haben wir oft viel zu wenig Kapazitäten und Ausrüstung“, sagt Kuhn.
Frauenhäuser und Opferschutz in NRW
Henning Severin, stellvertretender Pressesprecher des Ministerium für Kinder, Jugend, Familie, Gleichstellung, Flucht und Integration des Landes NRW macht außerdem deutlich, dass neben offiziellen Zahlen bei Gewalt gegen Frauen von einem nicht bezifferbaren Dunkelfeld ausgegangen werden müsse, da viele Fälle nicht zur Anzeige gelangen. „Mehr als jede zehnte von Gewalt betroffene Person nimmt Hilfe und Unterstützung nicht in Anspruch, weil ihr Unterstützungsangebote nicht bekannt sind", so Severin.
Dies ginge aus der Studie „Sicherheit und Gewalt in Nordrhein-Westfalen“ hervor, die die Landesregierung in der vergangenen Legislaturperiode in Auftrag gegeben hat. Der beste Schutz gegen Gewalt sei, sie im Entstehen zu verhindern und somit, die Präventionsarbeit auf allen Ebenen zu stärken. Nordrhein-Westfalen verfüge jetzt schon über ein Frauenhilfenetz an Frauenhäusern, allgemeinen Frauenberatungsstellen und Frauenfachberatungsstellen, in denen Frauen Schutz, Rat und Hilfe finden. Darüber hinaus biete das Opferschutzportal NRW Opfern von Gewalt, deren Angehörigen und Interessierten schnelle Hilfe. Zu den Angeboten gehören etwa Beratungsstellen, Zufluchtsorte, Telefonhotlines, Informationsmaterialien, Trauma-Ambulanzen und vieles mehr.
Immer mehr queerfeindliche Straftaten angezeigt
Der Kölner Lesben- und Schwulentag begrüßt den Vorstoß von Marco Buschmann. „Wir unterstützen jede Gesetzesänderung, die die Sicherheit von Frauen und Menschen aus der LGBTIQ-Community stärken“, sagt Sprecher Hugo Winkels. „Die Konsequenzen einer Änderung des Paragraf 46 sind ein besserer juristischer und strafrechtlicher Schutz.“ Er hofft, dass nun mehr alltägliche Diskriminierungen und Beleidigungen von der Justiz geahndet werden. Zudem setzt er auf einen Abschreckungseffekt: Der strafrechtliche Schutz von queeren Menschen könne Straftaten verhindern, bevor sie geschehen.
In Winkels Wahrnehmung nehmen Gewalttaten gegen queere Menschen zu. In den 90er Jahren sei er noch mit seinem Partner Hand in Hand über die Ringe gelaufen. „Das würde ich mir heute gut überlegen. Die Selbstverständlichkeit, die wir in den 90er Jahren auf den Ringen hatten, ist weg.“
Das nordrhein-westfälische Innenministerium bestätigt auf Anfrage einen Anstieg der angezeigten queerfeindlichen Straftaten. 2019 registrierten die Behörden noch 20 Straftaten gegenüber Menschen aufgrund ihrer sexuellen Orientierung oder Identität, 2020 waren es 46. 2021 stieg die Zahl der queerfeindlichen Straftaten auf 89, sieben davon waren Delikte wie Raub oder Körperverletzung. Den Anstieg der Vergehen begründet das Ministerium auch mit Straftaten im Zusammenhang mit dem Internationalen Tag gegen Queerfeindlichkeit: Im Mai und Juni wurden beispielsweise zahlreiche Anzeigen wegen entwendeter Regenbogenfahnen geschrieben, die Unternehmen, Institutionen und Kirchen gehisst hatten.