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Beste Böden für den BauboomKölner Bauern verlieren ihre Äcker

Lesezeit 7 Minuten

Landwirt Heinz Litz verliert immer mehr fruchtbare Ackerböden in Höhenhaus, weil die Stadt Köln sie als Ausgleichsmaßnahmen für ihre Bautätigkeit benötigt.

Köln – „Schauen Sie, Brombeeren, Birken, wilde Hirse. Ist das nachhaltig?“ – Nein, Heinz Litz ist nicht glücklich über das, was neben seinen Gersten- und Rapsfeldern aufschießt. Und ja, der Landwirt wäre glücklich, wenn all die Gehölz- und Blühstreifen, die Fettgraswiesen und was da wegbegleitend grünt, „nachhaltig“ wäre.

„Aber das stelle ich in Frage“, wettert der Landwirt, der sich in der Gewässerschutzkooperation „Drüber und drunter“ engagiert. „Was ist wichtiger? Lebensmittel oder Gestrüpp? Von Jahr zu Jahr muss ich immer mehr besten Ackerboden für Ausgleichsmaßnahmen abgeben.“

Landwirt in der fünften Generation

Die Familie Litz bewirtschaftet das städtische Hofgut Schönrath in Köln-Höhenhaus schon seit 1862, inzwischen in der fünften Generation. Früher, so erzählt Litz, habe es hier 20 Höfe gegeben, heute nur noch vier.

Die Vorfahren würden das Land, das im frühen 19. Jahrhundert dem in Stammheim ansässigen Grafen Fürstenberg gehörte und dann von der Stadt Köln gekauft und an die Familie Litz verpachtet wurde, wohl nicht mehr erkennen.

Ein Gutteil der Pachtäcker liegt zwischen der A3 und einer Bahntrasse, im Norden die gepflegten Greens des Golfclubs Leverkusen, daneben die ehemalige Kiesgrube „Am grünen Kuhweg“, ein seit 1991 vom NABU betreutes Naturschutzgebiet; im Westen Stammheim, im Osten Höhenhaus.

Zwischen den Äckern: ein 150 mal 40 Meter messender Gehölzstreifen. „Das ist eine Ausgleichsmaßnahme für die erweiterte Bahntrasse.“ Dann ein schmaler Grünstreifen. „Eine Ausgleichsmaßnahme für einen Sportplatz ich weiß nicht wo.“ Daneben ein Streifen als Ausgleich wohl für einen Kindergartenbau, ein weiterer Streifen als Ausgleich für gefällte Straßenbäume.

„In den vergangenen fünf Jahren habe ich so rund 20 Hektar exzellente Böden verloren“, klagt Litz. „Geht das so weiter, ist der Hof in absehbarer Zeit nicht mehr wirtschaftlich.“

Köln soll wachsen. Also werden durch neue Wohn- und Gewerbegebiete, Straßen- und Bahnstrecken immer mehr Böden versiegelt. Von Gesetzes wegen müssen private und öffentliche Bauherren für jeden Eingriff in die Natur einen ökologischen Ausgleich schaffen.

Die Stadt Köln tut dies auch durch die Umwandlung von verpachteten Ackerflächen zum Beispiel in Wiesen. Und so wird der Bauboom kurioserweise dazu führen, dass es um Gut Schönrath immer grüner wird. Denn der Hof liegt mitten im „Freiraumpool“ der Stadt, der nicht von ungefähr mehr oder weniger identisch ist mit der geplanten Erweiterung des Äußeren Grüngürtels.

Die Pächter haben das Nachsehen

Aus diesem Pool bedient sich die Kommune immer dann, wenn sie Ausgleichsflächen für innerstädtische Baumaßnahmen braucht. Da haben die Pächter dann das Nachsehen. „Ich bezweifle die Nachhaltigkeit der Kölner Strategie“, klagt Heinz Litz. „Wer soll denn zukünftig hier noch Lebensmittel produzieren, unsere Lebensmittel kommen dann zusehends aus dem Ausland“, Neue Flächen gäbe es nicht.

„Es ist ein massives Problem“, räumt Joachim Bauer ein, stellvertretender Leiter des Kölner Grünflächenamtes. Dabei kann sich Köln glücklich über so viele eigene Ackerflächen schätzen: Rund 2500 Hektar sind an rund 90 landwirtschaftliche Betriebe verpachtet. Die Verträge aber sind jederzeit kündbar.

Über einen solchen Flächenpool verfügt Straßen.NRW nicht. „Das ist ein Problem“, sagt auch Christoph Dröge, Abteilungsleiter beim Landesbetrieb. Allein von 2012 bis 2016 hat das Land 825 Hektar als Ausgleichsmaßnahme anlegen müssen, in der Summe insgesamt bislang 5831 Hektar.

„Wir machen uns für jede Baumaßnahme aufs Neue auf die Suche nach Ausgleichsflächen“, so Dröge. Bis vor 15 Jahren sei diese Flächennot für Landwirte durchaus komfortabel gewesen. Wer keinen Hofnachfolger hatte, machte seine Wiesen und Äcker als Ausgleichsflächen zu Geld.

Boden verspricht Wertsteigerungen

Heute suchten die Bauern selbst nach neuen Flächen und viele könnten bei den steigenden Preisen kaum mithalten. 2015 lag der durchschnittliche Kaufwert je Hektar Acker oder Wiese in NRW noch bei 38 720 Euro. Heute liegt er bei 44 531 Euro. Eine Preissteigerung von 16,2 Prozent, so IT NRW. Boden verspricht enorme Wertsteigerungen.

Steigende Preise hätten verstärkt seit 2007 eingesetzt, beobachtet Andreas Tietz vom Braunschweiger Thünen-Institut für Ländliche Räume. Besonders betroffen seien die Böden der Kölner Börde, deren Hektarpreis heute bei rund 60 000 Euro und höher lägen.

„Die Nachfrage ist so groß, weil die Böden zu den fruchtbarsten in Deutschland gehören. Dazu kommt der Siedlungsdruck der Städte, der die Nachfrage nach Bau- und Ausgleichsflächen anheizt.“

Wegen der Finanzkrise und der Null-Zins-Politik wird Landwirtschaftsfläche von vielen auch als wertstabile Geldanlage geschätzt. Gerüchte, dass internationale Finanzanleger in Deutschland vermehrt Böden suchen und die Preise treiben, kann Tietz jedoch nicht bestätigen.

„Große Finanzinvestoren oder Fondsgesellschaften sind auf dem deutschen Bodenmarkt nicht zu finden. Das handelbare Flächenpotenzial und die relativ kleinteiligen Grundstücksstrukturen sind für solche Investoren wenig attraktiv, und das Preisniveau ist für deren Renditeerwartungen zu hoch.“

In Deutschland, so Tietz, hätten die Bauern vielmehr selbst gehörigen Anteil an den steigenden Bodenpreisen. Vor allem die Förderung von Energiepflanzen wie Mais für Biogasanlagen habe die Zahlungsbereitschaft vieler Landwirte deutlich erhöht.

Hinzu komme: Wenn ein Landwirt ein Stück hochpreisiges Bauland verkaufe, müsse er seinen Gewinn nicht versteuern, wenn er dieses Geld innerhalb von vier Jahren wieder in landwirtschaftliche Flächen investiere. „Die haben dann relativ viel Geld in der Tasche und wollen es reinvestieren, bevor der Staat zugreift. Auch das fördert die Preisspirale.“

Land verschwindet unter Beton

Täglich verliert NRW schätzungsweise 15 Hektar größtenteils fruchtbare Böden für Siedlungs- und Verkehrszwecke. In den vergangenen 20 Jahren verschwanden über 118.000 Hektar Land unter Beton und Asphalt, etwa die zehnfache Fläche des Nationalparks Eifel.

Die alte rot-grüne Landesregierung hatte sich zum Ziel gesetzt, dass im Jahre 2020 täglich nur noch fünf Hektar an Fläche verbaut werden darf. Langfristig war sogar von einem „Netto-Null-Verbrauch“, die Rede. Um das zu erreichen, müssten statt Ackerböden viel mehr Brachflächen neu bebaut oder als Ausgleichsflächen renaturiert werden.

Möglich jedenfalls wäre das. Den achtspurigen Ausbau der A3 zwischen Dellbrück und Mühlheim beispielsweise glich der Landesbetrieb Straßen.NRW in der Wahner Heide aus: durch den Abriss von Kasernen, die Entsiegelung von Böden, die Begrasung durch Schafe. Auch 20 Hektar renaturierte Siegaue gehen auf das A3-Konto. Brachflächen gibt es insbesondere auf alten Industriegebieten genug.

Für Heinz Litz, der den Preis für den Kölner Bauboom zahlen muss, machen solche Renaturierungen Sinn, nicht aber Brombeeren und Gras statt Getreide für Brot. „Nachhaltig ist das nicht.“

Immer weniger Bauern rund um Köln

Herr Patzlaff, die Stadt Köln will wachsen und braucht immer mehr Bauland und entsprechende Ausgleichsflächen. Was bedeutet das für die Bauern?

Alle Landwirte müssen davon ausgehen, dass sie von der Kommune immer weniger Land pachten können. Dabei sollten wir viel mehr Industrie- und Gewerbegebietsbrachen als Ausgleichsflächen in Betracht ziehen. Dort sollte begrünt werden. Es macht doch mehr Sinn, vorhandene Altlastflächen ökologisch zu sanieren, als die immer weiter schwindenden Ackerflächen umzuwidmen. Wir sollten jede Inanspruchnahme fruchtbarer Ackerflächen auf ihre zwingende Notwendigkeit überprüfen. Das gilt sowohl für Bau- als auch für Ausgleichsmaßnahmen.

Muss der Gesetzgeber mehr Druck ausüben, mehr Altlasten zu renaturieren?

Wünschenswert wäre ein verstärkter Anreiz, Kompensationsmaßnahmen innerstädtisch bevorzugt auf ökologisch schwierigen Standorten wie Altlastenflächen umzusetzen. Man könnte für die Sanierung von Altlastenflächen ein Vielfaches der Ökopunkte vergeben als derzeit für die Umwandlung von Acker zu extensiven Grünland. Ich persönlich bin davon überzeugt, dass wir es uns in Anbetracht der wachsenden Weltbevölkerung eigentlich nicht leisten können, die in der Region vorhandenen Ackerböden, die zu den besten und fruchtbarsten in Deutschland gehören, wie auch immer umzuwandeln und der Produktion von Nahrungsmitteln zu entziehen.

Bauern können auch an Ausgleichsmaßnahmen beteiligt werden. Wie gut funktioniert das?

Ausgleichsmaßnahmen müssen regelmäßig gepflegt werden, um das Aufkommen von Problemunkräutern, wie z. B. Distel zu verhindern. Landwirte verfügen über das dafür nötige Know-how und den Maschinenbestand. Wenn sie also vor der Wahl stehen, ihre Flächen dauerhaft zu verlieren oder den damit verbundenen Einkommensverlust zumindest ansatzweise durch die eingeschränkte Nutzung und Pflege aufzufangen ist die Antwort eigentlich schon vorgegeben. Aber es gibt auch Projekte etwa zur Förderung der Insektenvielfalt, bei denen sich Bauern wirklich gerne engagieren – etwa das Projekt der Stiftung Rheinische Kulturlandschaft „Summendes Rheinland“.

Wie viele Bauern haben wegen des Baubooms, der Verteuerung der Böden und des Mangels an preisgünstig zu erwerbendem Flächen gravierende Probleme?

Jeder Landwirt, mit dem ich spreche, hat mit dem zunehmenden Druck zu kämpfen. Das Ergebnis spiegelt sich auch im Rückgang der aktiven Betriebe im hiesigen Verbandsgebiet. So ist die Zahl der aktiven Bewirtschafter gegenüber dem Stand von vor zehn Jahren um rund zehn Prozent gesunken.

Wolfgang Patzlaff ist Geschäftsführer der Kreisbauernschaft Köln/Rhein-Erft-Kreis