Der beliebte Lehrer erklärt, wie es gelingt, dass am Köln-Kolleg junge Erwachsene doch noch ihr Abi schaffen.
Kölner bekommt Deutschen LehrerpreisKarl-Timo Einheuser ist einer der Besten des Landes – Wie er das geschafft hat
Vielleicht muss man selbst einen nicht geraden Weg gegangen sein. „Ich glaube, es hilft mir, meine Studierenden zu verstehen“, sagt Karl-Timo Einheuser. Seinen Job als Lehrer am Köln-Kolleg bezeichnet der 44-Jährige als „Sechser im Lotto“.
In Zeiten, in denen das mit immer mehr Aufgaben betraute System Schule am Limit läuft und viel zu wenig Abiturienten Lehrer werden möchten, steht Einheuser für eine andere Botschaft: Lehrerin oder Lehrer ist ein Job, der Zukunft prägt, der Sinn stiftend ist und Spaß macht. Der Kölner Lehrer für Soziologie, Deutsch und Volkswirtschaftslehre ist Träger des Deutschen Lehrerpreises 2024 und damit einer der besten Lehrer des Landes. Diese Auszeichnung verdankt er nicht der Nominierung durch einen Vorgesetzten. Seine Schülerinnen und Schüler selbst haben ihn vorgeschlagen. Anhand ihrer Empfehlungen wählte eine Fachjury aus Wissenschaft, Politik und Zivilgesellschaft die Preisträger aus Einsendungen aus dem gesamten Bundesgebiet aus.
Warme Dusche von seinen Schülerinnen und Schülern
Das, was seine Schützlinge in einem dicken Umschlag an Feedback über ihn zusammengetragen haben, klingt wie eine warme Dusche: „Aus jeder seiner Unterrichtsstunden gehen wir mit ein bisschen mehr – sei es Wissen, Inspiration, Kraft“, steht da zum Beispiel. Oder: „Herr Einheuser ist mehr als ein Lehrer – er ist ein Mentor, der uns ermutigt, über den Lehrplan hinauszudenken und das Beste aus uns herauszuholen.“ Oder: „Sein Unterricht fühlt sich so frei und offen an, und doch fühlen wir uns immer sicher auf die Klausuren und das Abitur vorbereitet.“
Einheuser sind die Lobeshymnen ein bisschen unangenehm. Aber er hat sich riesig gefreut: Vor allem darüber, dass seine Schützlinge „selbst aktiv geworden sind. Sie haben mit der Auszeichnung die Erfahrung gemacht, dass ihr Engagement etwas bewirkt.“ Selbstwirksamkeit vermitteln, das stehe auf der Liste seiner pädagogischen Ziele ganz weit oben.
Mit über 30 noch mal zurück an die Uni
Der Preis zeige ihm, dass er einen guten Draht zu seinen Schülerinnen und Schülern hat. „Vielleicht bin ich auch selbst ein bisschen Vorbild.“ Denn Einheuser hat eigentlich Kommunikationswissenschaften studiert, ein Volontariat gemacht und in der PR-Branche gearbeitet. Aber irgendwie spürte er, dass das trotz fester Stelle nicht wirklich von innen heraus Freude machte.
Mit über 30 fing er nochmal neu an, ging noch mal an die Uni und studierte auf Lehramt. Viele hätten ihn damals für verrückt erklärt – zumal die Einstellungschancen damals noch nicht besonders gut waren. Aber er hatte Glück und bekam nach dem Referendariat die Stelle am Köln-Kolleg.
Vor Einheuser sitzen nämlich ausschließlich junge Menschen, die auch eine zweite Chance in ihrem Leben suchen. Am Köln-Kolleg können Menschen ab 18 Jahren auf dem zweiten Bildungsweg ihr Abitur nachholen: Da finden sich Menschen, die nach einer Ausbildung doch noch Abi machen und studieren wollen, aber noch viel mehr Menschen, die gar keine Ausbildung beendet haben und sich bisher mit Minijobs oder Bürgergeld durchschlagen. Schulabbrecher, die irgendwann wegen gesundheitlicher oder sehr oft wegen psychischer Probleme die Schule geschmissen haben.
Sehr viele haben mit dem System Schule schlechte Erfahrung gemacht und verbinden es mit Misserfolgen. Auch viele junge Geflüchtete, die in ihrem Heimatland ihre schulische oder berufliche Laufbahn abbrechen mussten, suchen hier einen Neustart. „Oft sitzen beim Erstgespräch zutiefst verunsicherte junge Menschen vor mir. Aber sie fassen den Mut, noch einmal neu anzufangen“, sagt Einheuser. Ein Satz, der etwas über seine Haltung sagt und damit darüber, warum es ihm gelingt, zu seinen Studierenden – wie sie hier genannt werden – eine Bindung aufzubauen, die Lernen ermöglicht: „Ich versuche Verständnis für jeden und seine Geschichte zu haben – und vorurteilsfrei an alle heranzutreten. Wo ich persönlich unterstützen kann, da tue ich das.“ Da gibt es den Schüler, der obdachlos ist. Die Schülerin, die ihre kranken Eltern pflegt. Die Schülerin, die täglich drei Stunden Fahrt mit Bus und Bahn auf sich nimmt, um aus der Eifel hierherzukommen.
Empathie und daraus resultierend eine Beziehung zu dem Lernenden, das ist für ihn ein Schlüssel zu diesem Preis. Einheuser fragt nach, wenn die Lernleistung merklich runtergeht. Er geht ins Gespräch, wenn er den Handykonsum bedenklich findet.
Neben der Beziehungsebene ist für ihn wichtig, die vorgegebenen Themen des Lehrplans lebensnah zu gestalten. „Die Studierenden müssen eine Ebene finden, die mit ihrem Leben zu tun hat. Sie wollen den Sinn dahinter erkennen. Dann ist das Interesse automatisch da.“ Die gestiegenen Lebenshaltungskosten sind für die meisten seiner Schülerinnen und Schüler ein sehr wichtiges Thema. Daran anknüpfend in Volkswirtschaft Inflation durchzunehmen und zu erklären, wie das zusammenhängt, und zum Reflektieren auch über Themen wie soziale Gerechtigkeit anzuleiten – das ist ihm wichtig. Auch bei den Lektüren versucht Einheuser an Lebenssituationen anzuknüpfen: Als Drama für den Deutschunterricht hat er Woyzeck von Georg Büchner ausgesucht. Das Thema soziale Ausgrenzung kennt jeder. „Da hatten wir wirklich tolle Diskussionen.“
Auch beginnt er seine Stunde mit den „aktuellen 5 Minuten“, wie er das nennt. Da kommt auf den Tisch, was seinen Schützlingen auf den Nägeln brennt. Sei es der Krieg in Gaza oder eine andere aktuelle politische Entwicklung. Ganz nebenbei vermittelt er dabei auch Quellenanalyse und Medienkompetenz. Kernkenntnisse, um sich wirklich ein differenziertes Bild von Themen zu machen.
Die große Kunst ist für ihn, dabei dennoch die Inhalte des eng getakteten Lehrplans zu vermitteln und das entsprechende Methodenwissen dazu. Schließlich gibt es ein Zentralabitur. „Da würde ich mir mehr Freiheiten für die Schulen wünschen.“ Was sich Einheuser noch wünschen würde, ist, dass der Preis dazu beiträgt, die Bedeutung des zweiten Bildungswegs hervorzuheben. Seine Schule, das Köln-Kolleg, kämpft mit zurückgehenden Schülerzahlen. Obwohl die Zahl der Schulabbrecher stetig steigt und damit die Zahl der jungen Menschen, die später in ihrem Leben eine zweite Chance suchen. Aber es sei zu wenig bekannt, dass es dieses Angebot in Köln gibt, bedauert Einheuser und wünscht sich von der Politik mehr Unterstützung. „Es muss gelingen, dass alle, die das wollen, die Bildung erreichen, die sie brauchen.“ Dafür müsse es Unterstützung geben – organisatorisch etwa durch die Berater bei der Arbeitsagentur, aber auch finanziell durch den leichteren Zugang zu Bafög.
Das Schönste sei für ihn jedes Jahr, wenn seine Abiturientinnen und Abiturienten vor den Sommerferien ihr Abizeugnis in Empfang nehmen. Aus den unsicheren jungen Menschen seien nach drei Jahren Menschen geworden, die wissen, was sie können und sich gegen alle Widerstände behauptet haben. „Das ist für mich immer wieder Belohnung und Motivation zugleich. Auch für den Start ins neue Schuljahr.“