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Lange WartelisteWeltweites Interesse an Kölner Holzboxen für Obdachlose

Lesezeit 4 Minuten

Das chinesische Staatsfernsehen interviewte den Wohnbox-Bauer Sven Lüdecke.

Köln – Es begann Anfang November mit einem Holzhäuschen auf Rollen, das Sven Lüdecke an einen Obdachlosen verschenken wollte, aber nicht transportieren konnte: Erst brachen die Rollen, dann passte die Wohnbox nicht in einen Kleintransporter.

Als ein Abschleppunternehmen das Minihaus für viel Geld an den Breslauer Platz gebracht und eine Wohnungslose eingezogen war, opponierte die Stadt: Das Bauaufsichtsamt äußerte Sicherheitsbedenken.

Kleine Boxen seien „menschenunwürdig“

„Fürs Stadtbild unmöglich“, nannte eine Sprecherin die Rollhäuser. In Köln müsse niemand auf der Straße schlafen, in den kleinen Boxen zu übernachten, sei schlicht „menschenunwürdig“. Nicht wenige Obdachlose bezeichnen indes die Notschlafstellen als „menschenunwürdig“ und wollen unbedingt ein Minihaus für den Winter. „Wir haben im Moment eine Liste mit 575 Menschen aus ganz Deutschland, Österreich und der Schweiz, die gern eine Wohnbox von uns hätten“, sagt Lüdecke.

Die Obdachlosen bauen selbst mit.

Zweieinhalb Monate nach dem Start des Projekts hat Lüdecke acht Rollhäuschen verschenkt und mehr als 14000 Euro Spenden erhalten. Nach dem Bericht im „Kölner Stadt-Anzeiger“ haben 65 Zeitungen über sein Projekt „Little Home“ berichtet, dazu das chinesische Staatsfernsehen und viele andere TV-Formate, Radiosender, Journalisten aus der Schweiz, England und Frankreich.

Gespräche mit amerikanischen Künstler und Ideengeber

Der 39-Jährige kann sich vor Anfragen und Hilfsangeboten kaum retten. „Wir haben ein festes Team von Freiwilligen mit Verantwortlichen für Material, Presse, Transport und rechtliche Fragen.“ Nächste Woche spricht Lüdecke mit der Berliner Caritas-Direktorin und mit dem US-amerikanischen Künstler und Ideengeber Gregory Kloehn, der in den USA Hunderte Wohnhäuschen aus Müll gebaut und an Obdachlose verschenkt hat. Der Verein Little Home befindet sich noch in der Gründung, arbeitet aber wie ein kleines Unternehmen.

Ein Österreicher sagt für das Projekt 100.000 Euro zu

In Berlin realisiert Lüdecke sein Projekt mit einem Kreuzberger Unternehmerverein, das erste Häuschen hat er schon übergeben, auch in Hamburg möchte ein Verein die Idee mit dem Kölner Initiator umsetzen. „Mein Ziel ist es, im Winter 2018 die Rollhäuschen in Köln, Berlin, Hamburg, Frankfurt, München und Leipzig zu bauen“, sagt Lüdecke.

Ein Unternehmer aus Österreich gab ihm seine Visitenkarte und sagte ihm, er werde 100.000 Euro spenden, wenn er das Projekt nach Wien bringe – „ich weiß nicht, was dahinter steckt“, sagt Lüdecke, der immer ein bisschen wie ein großer Junge klingt, der nicht versteht, was da gerade passiert, „aber auch bei dem Mann, der uns 10.000 Euro zusagte, dachte ich zuerst, das könne nur ein Witz sein“. Die 10.000 Euro sind längst überwiesen.

Großes Angebot an Hilfsgütern

Sven Lüdecke hört sich an, als schwebe er auf einer Wolke, wenn er über seine Pläne redet. Völlig unrealistisch erscheinen seine Ziele nicht. Dank der immensen Verbreitung erhalten Lüdecke und seine Mitstreiter Hunderte Hilfsangebote, für Material, freiwillige Arbeit, Transport, Spenden. Ein Versicherungskonzern will mit 18 Mitarbeitern für einen Tag beim Bauen helfen, die Eduard-Mörike-Schule baut eine Box, ein Verein, der sich auf Veranstaltungen für Obdachlose organisiert, plant genauso eine große Spendenaktion wie eine Fitnessstudio-Kette.

„Der Artikel im »Stadt-Anzeiger« hat eine Lawine losgetreten, die ich nie erwartet hätte“, sagt Sven Lüdecke, der als Fotograf für eine Hotelkette arbeitet. Hin und wieder komme auch Lob aus dem rechtspopulistischen Lager: „Einige schreiben uns, dass es toll sei, dass wir uns nicht für Flüchtlinge, sondern für Deutsche einsetzen würden“, sagt Lüdecke. „Wir antworten dann, dass viele Obdachlose Ausländer sind und das überhaupt nicht unsere Intention ist.“

Nur ein Tropfen auf dem heißen Stein?

Unter den Sozialverbänden sind Vertreter uneins: Einige loben die Initiative und wollen mit dem Verein kooperieren, andere verweisen darauf, dass die Sicherheit der Menschen womöglich nicht gewährleistet sei und Lüdeckes Arbeit nicht mehr als den berühmten Tropfen auf den heißen Stein bedeute.

In puncto Sicherheit hat Lüdecke – auch nach Gesprächen mit dem Leiter der Kölner Bauaufsicht, Rainer Straub – inzwischen nachgerüstet. „Sämtliche Häuschen sind jetzt mit fünf Zentimeter dickem Schaumstoff isoliert. Es gibt einen Rauchmelder, einen Kohlendioxid-Melder, einen Feuerlöscher und ein Erste-Hilfe-Set.“

Obdachlose helfen, die Boxen zu bauen

Wichtig sei ihm, dass „Obdachlose mithelfen, die Boxen zu bauen – und über die Arbeit wieder Boden unter den Füßen bekommen“. Zu den Bauwochenenden kommen regelmäßig einige Wohnungslose, zwei von ihnen haben auch dank der Öffentlichkeit feste Jobs in Aussicht. „Fünf Obdachlose werden ab April mit Mindestlohn in Teilzeit für uns arbeiten“, sagt Lüdecke. „Finanziert wird das mit Fördermitteln vom Land, von der EU und vom Jobcenter, die Anträge haben wir schon gestellt.“ Lüdeckes Vermieterin lässt derweil eine Halle umbauen, um Wohnraum für fünf Obdachlose zu schaffen.

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