101 Minuten am StückKöln ist Kulisse für einen Film ohne Schnitt
Innenstadt/Deutz – Die üblichen Strickmuster der Filmproduktion sind nicht seine Sache. Wenn Malte Wirtz Filme dreht, wissen Mitglieder der Crew vor und hinter der Kamera, dass sie sich auf ein Experiment einlassen. Für seine Projekte wählt der inzwischen in Berlin lebende Produzent, Regisseur und Drehbuchautor immer wieder gern seine langjährige Wahlheimat Köln als Drehort. Köln und die Experimentierfreude zeichnen auch „Lichter der Stadt“ aus. Das Besondere an diesem Film: Der 101 Minuten lange Streifen kommt ohne Schnitt aus. Er wurde von Anfang bis Ende mit nur einer Kamera fortlaufend gedreht. Das komplette Filmset bewegt sich vom Ausgangspunkt in der Altstadt bis an das Deutzer Ufer. Und weil es eine Produktion mit schmalem Budget war, bleibt die Kulisse authentisch mit realem Verkehr, Passanten und der Geräuschkulisse.
Keine winkenden Passanten im Bild zu sehen
Vor der Kulisse von Altstadt, Uferpromenade, Deutzer Brücke und Rhein spielt sich das innere Drama des einsamen Joscha, gespielt von Tim-Fabian Hoffmann, ab, den Zweifel am Dasein plagen. Er trifft auf alte und neue Bekanntschaften, die ihm bei seiner Sinnsuche mehr oder weniger hilfreich sind.
Zur Person
Malte Wirtz (42) wurde in Marburg geboren, wo er auch sein Abitur machte. Nach dem Studium der Theater- und Filmregie in Passau arbeitete er von 2013 bis 2015 in Köln als freier Regisseur. Unter anderem war er am Artheater tätig und drehte in Köln unter anderem den Kurzfilmthriller „Der Jackpot“ sowie mit der Liebeskomödie „Voll Paula!“ seinen ersten Langfilm.
Mit „Geschlechterkrise“ schuf er 2021 den ersten deutschen Stummfilm nach 90 Jahren. Zahlreiche Szenen wurden ebenfalls in Köln gedreht. (Rös)
Das Publikum lässt sich somit auf eine extrem kurze Momentaufnahme innerhalb eines jungen Lebens ein, gewinnt nach und nach Einblicke und wird – gefühlt – Teil der Geschichte, die durch die überraschende Begegnung mit der jungen Karlotta, gespielt von Oona von Maydell, eine Wendung erfährt. Vielleicht war es Kölns Rang als „Medienstadt“ zu danken, dass kein Passant auf die Idee kam, neugierig stehen zu bleiben oder gar in die Kamera zu winken.
Gedreht bei frostigen Temperaturen
Dafür könnten aber auch die äußeren Bedingungen beim Dreh ein Grund gewesen sein. Im Dezember 2019 herrschten frostige Temperaturen bis acht Grad minus. „Vor allem für den Kameramann Francisco de la Torre war das eine ziemliche Tortur“, erzählt Wirtz. Zwar blieb er ständig in Bewegung, folgte den Schauspielern auf ihrem Weg, wechselte die Perspektiven und umkreiste die Szenerie immer wieder, doch irgendwann wurden die bloßen Hände ziemlich klamm.
„Nach einer Stunde in der Kälte hab ich ihm dann einen meiner Handschuhe geliehen“, berichtet Wirtz ein bisschen verlegen.
Auftritte der Akteure per SMS gesteuert
Improvisation ist inzwischen eine Art Markenzeichen des Filmemachers geworden. Schon in früheren Filmen durften Schauspieler bisweilen ihre Unterhaltung vor der Kamera nur anhand von ein paar Stichworten führen, die Wirtz ihnen während des Drehs per SMS auf das Handy sandte. Per SMS wurden auch in „Lichter der Stadt“ die Auftritte der Akteure gesteuert. Das klappte nicht immer nach Wunsch. Einmal bewegte sich das Filmteam schneller als erwartet. Daher kamen zwei Schauspieler zu spät an den verabredeten Drehort, nachdem sie zuvor in einer warmen Gaststätte in der Nähe auf ihren Auftritt gewartet hatten. An einer anderen Stelle wartete eine Schauspielerin frierend auf offener Straße auf die Crew, die sich verspätet hatte. Wie oft der komplette Film gedreht wurde, will Wirtz nicht verraten. Mehrere Takes habe es aber schon gegeben.
Mit fast zweijähriger Verspätung fand im Filmhaus an der Maybachstraße die offizielle Kinopremiere statt. Das hatte mit der Pandemie zu tun. Eine digitale Uraufführung gab es bereits Ende 2020 beim Mainzer „Filmz“-Festival.
Wer „Lichter der Stadt“ im Kino derzeit nicht erwischt, kann ihn auch als Stream auf der Plattform Sooner anschauen, die sich als Gegenentwurf zu Netflix versteht.