Wie reagieren Menschen, was erzählen sie, wenn man sie auf der Straße anspricht und zum Kaffee einlädt? Darum geht es Susanne Hengesbach in ihrer Rubrik „Zwei Kaffee, bitte!“.
„Zwei Kaffee, bitte!“Kölner musste 3000 Euro für tödlichen Eingriff am Kater zahlen
Die folgende Geschichte verdanke ich im Grunde einem Australian Shepherd; einem Hund also, der uns beim Betreten des Café Moxa so freundlich begrüßt, dass wir am Tisch fast automatisch auf Haustiere zu sprechen kommen. Als Michael Kegel dann von seinem Tommi zu erzählen beginnt, ahne ich jedoch nicht, dass mit diesem Kater ein schier unglaublicher Vorgang verbunden ist.
Ich begegne dem 56-Jährigen auf dem Rudolfplatz, wo ich heute – vor bereits fertiger Weihnachtsmarktkulisse – nach einem Gesprächspartner Ausschau halte. Kegel ist Key-Account-Manager für ein bekanntes Großhandelsunternehmen und hat gerade die Filiale eines Kunden besucht, als sich unsere Wege kreuzen.
Das zugelaufene Tier war ein „Scheidungskind“
Als der bildschöne Cappuccino serviert ist, erzählt Kegel von seinem Umzug nach Kerpen und von dem schwarz-weißen Kater, der 2020 plötzlich in seinem Innenhof auftauchte und ihn vom dortigen Walnussbaum aus beobachtete. Es habe sechs bis acht Wochen gedauert, bis das Tier offenbar Vertrauen gefasst hatte, sich auf die Hinterbeine stellte, an die Terrassentür trommelte und damit klar zu verstehen gab: Ich will hier rein!
In der Zwischenzeit hatte sich Kegel längst in der Nachbarschaft umgehört und erfahren, dass es sich bei dem Kater offenbar um ein zurückgelassenes „Scheidungskind“ handelte. Die bisherigen Dosenöffner waren weggezogen, die neue Adresse unbekannt.
Nachts mit der Taschenlampe gesucht
Von dem Moment an, als Tommi seine Pfoten auf den Wohnzimmerboden gesetzt hatte, war die Sache klar. „Der war gekommen um zu bleiben“, meint Kegel lächelnd. Die beiden wurden rasch ziemlich beste Freunde. Tommi erfreute sich seines Freigänger-Daseins und kam stets zuverlässig wieder heim. Bis zum 23. September, da wartete Kegel vergebens.
Als Tommi spätabends noch immer nicht aufgetaucht war, machte Kegel sich auf die Suche. Bis nachts um drei sei er „mit der Taschenlampe auf fremden Grundstücken herumgetigert“. Keine Spur. Erst am nächsten Morgen gegen halb acht entdeckte er das Tier auf der Einfahrt des Nachbargrundstücks und stellte fest, dass Tommi humpelte.
Sechs Stunden in der Klinik gewartet
Blöderweise war es ein Sonntag. Also schaute Kegel nach, welche Klinik im Umfeld Notdienst hatte, schob Tommi in einen Transportkorb und fuhr zu der entsprechenden Adresse im Kölner Westen nahe der KVB-Zentrale. Dort verbrachte er den eigenen Angaben nach „sechs Stunden, bis die Untersuchung und die Injektion gegen Schmerzen erfolgt“ war.
Es herrschte wahrscheinlich Hochbetrieb, mutmaße ich. „Nein, da war außer uns – sowie ich sehen konnte – nur ein Hund mit einem Insektenstich am Auge.“ Es stellte sich heraus, dass Tommi eine Fraktur am linken Hinterlauf hatte und operiert werden musste. Kegel erteilte hierzu sofort sein schriftliches Einverständnis, musste jedoch „auch erstmal schlucken“, als die Kosten zur Sprache kamen: 3000 bis 4000 Euro.
Wegen Überlastung OP verschoben
„Hui!“, sage ich. „Das ist ja nicht gerade eine Kleinigkeit.“ - „Nein“, stimmt Kegel zu. Aber selbstverständlich stelle man sich da der Verantwortung, betont der 56-Jährige. Ihm sei aber auch bewusst gewesen: „Das ist für ganz viele Menschen nicht mehr bezahlbar.“
Kegel leistete per Kreditkarte eine Anzahlung in Höhe von 3000 Euro, und wartete den ganzen Montag auf eine Information aus der Tierklinik, dass der Eingriff gut verlaufen war. „Die haben da überall Hinweise, dass man von aktiver Kommunikation absehen solle.“ Also hielt er sich trotz wachsender Nervosität mit Anrufen zurück. Gegen 17 Uhr klingelte endlich sein Telefon, allerdings kam nicht die erhoffte Nachricht, sondern lediglich die Information, dass die OP wegen Überlastung auf den nächsten Tag verschoben worden sei. Also noch eine Nacht ohne Tommi.
Beim Einleiten der Narkose Herzstillstand erlitten
Am nächsten Tag passierte wieder nichts. Kegel litt fürchterlich. Um 14 Uhr schrieb er eine Mail. Keine Reaktion. Gegen 16 Uhr schließlich rief der junge Arzt an, mit dem Kegel zuvor bereits gesprochen hatte und teilte dem völlig entsetzten Tierhalter mit, dass Tommi beim Einleiten der Narkose einen Herzstillstand erlitten habe.
Ich schaue meinen Gesprächspartner an und registriere die Betroffenheit in seinem Gesicht. Er hätte es damals nicht übers Herz gebracht, Tommi noch einmal zu sehen, erklärt er, deshalb habe er eine Tierbestatterin beauftragt, sich um die sterblichen Überreste zu kümmern.
Gut zweieinhalbtausend Euro für einen tödlichen Eingriff?
Abends beim Heimkommen vermisse er Tommi noch immer. Worüber er jedoch bis heute fassungslos ist, sei das, was nachdem Tod des Tieres passierte: Man schickte ihm am 27. September eine Rechnung in Höhe von 2532,87 Euro für erbrachte Leistungen. „Wie bitte?“, frage ich. „Gut zweieinhalbtausend Euro für einen tödlichen Eingriff?“ Kegel zuckt die Achseln. Tommi sei zwar kein junger Kater gewesen, sondern laut unterschiedlichen Angaben aus der Nachbarschaft irgendwas zwischen zwölf und 15 Jahren. Dennoch. So viel Geld für eine Narkose?
Kegel hat der Klinik nach eigenen Worten eine Frist gesetzt, die Angelegenheit zu klären. Diese sei abgelaufen. Und die 467 Euro, die er ohnehin zu viel gezahlt habe, seien noch nicht wieder auf seinem Konto.