50 Meter KölnDer Glanz des grauen Probsteigässchens

Architektenbüro und Theater in der Probsteigasse.
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Innenstadt – Die Probsteigasse ist eigentlich ein ödes Sträßchen. Graue Lochfassaden, lieblos hochgezogen, dunkel bekannt höchstens durch den Anschlag der rechtsextremen Terrorzelle NSU auf das Lebensmittelgeschäft von Deutsch-Iranern im Jahr 2001. Der erste Eindruck täuscht.
Im Ersten Kölner Wohnzimmertheater machen Komödianten wie Johann König, die man später irgendwann im Fernsehen sieht, ihre ersten Witze. Das Haus von Georg Schnitzler und Marek Pawleta mit seinem angeklebten Eingangsschild und dem kitschigen Schaufenster ist ein Stern der Subkultur. Nachbarn der Theaterleute sind Architekten und Ingenieure, die hier die Zukunft der Städte entwerfen. Auch in dem Haus, wo vor dem Anschlag der kleine Einkaufsladen war, sitzen jetzt Ingenieure.
Er wisse nicht, warum die Gasse bei seiner Zunft so beliebt sei, sagt Wilhelm Schulte. Den 60-Jährigen hat es vor acht Jahren mit seinem Architektenbüro in die 15-19 verschlagen. „Wir hatten etwas nah am Zentrum gesucht, nicht auf den Ringen bei den Anwaltskanzleien und Versicherungen. Und hell sollte es sein.“ Seine Büroräume sind anders als die engen, kleinbürgerlichen Nachkriegswohnungen in der Gasse. Die lange Front als Schaufenster, hinter dem die Architekten sitzen, drinnen ein Atrium mit Blick in die erste Etage; die Sicht reicht von dort ins ebenfalls kernsanierte und vollverglaste Büro auf der anderen Straßenseite. An den Wänden hängt ein gigantisches Köln-Aquarell vom verhinderten Maler Schulte, überall Holzmodelle von neuen Wohnvierteln, Designerstühle, eine Metallskulptur. Eng ist hier nichts. „Wir schaffen mit unserer Arbeit Kommunikationsräume“, sagt der Hausherr. „Da muss man in unseren Räumen natürlich auch kommunizieren können.“
Ein Raum zum Reden, klar. Das fensterlose Wohnzimmertheater „bietet dafür einen intimen Rahmen“, sagt Georg Schnitzler. Anke Engelke habe hier Fernsehsketche für ihre Sendung Ladykracher einstudiert, Wigald Boning vor gar nicht langer Zeit Ideen für neue Formate ausprobiert. „Vor 75 Leuten kann man sich was trauen.“ Aber Subkultur? Der künstlerische Leiter des Wohnzimmertheaters zieht die Augenbraue hoch. „Der ganze Comedybereich ist mit dem Fernsehen ja immer mainstreamiger geworden, ich sehe uns da nicht mehr so.“ „Na ja, doch, schon“, sagt sein Kompagnon Marek Pawleta. Das Theater sieht zumindest nach Underground aus: die künstlichen Hirschköpfe an den Wänden und die Theke mit rosa Sparschwein, Clown, Marienbildchen, vergilbten Fotos.
Seit bald 20 Jahren sind Pawleta und Schnitzler mit ihrem Theater hier. Das ist Margot Scheins zu verdanken, die mit Rollator zur Theke trippelt und Pawleta bittet: „Schätzchen, machst du mir mal die Schuhe zu?“ „Sofort, Margot.“ Margot Scheins lebt seit 55 Jahren in der Probsteigasse 21, 30 Jahre hat sie hier im Keller als Tanzlehrerin in der Schule vom Schwiegervater gearbeitet. Als Schnitzler und sein damaliger Freund Pawleta 1995 die frühere Tanzschule, die für einige Jahre als Tanzlokal für Alleinstehende („Ava-Club“) diente, mieten wollten, „da hatte ich schon Bedenken“, sagt Scheins. „Tanzschule und Theater, da liegen ja Welten zwischen. Ich habe meine Tanzpartner immer gesiezt. Die haben sich alle geduzt.“
Erstklassiger Talententdecker
Wenn sie jetzt von gemeinsamen Grillabenden erzählt, wie Markus-Maria Profitlich sie bei einer Party zu fortgeschrittener Stunde hochgeworfen und wieder aufgefangen habe, will sie das nicht als nostalgische Verklärung verstanden wissen. „Ich wusste lange nicht, ob das mit den beiden hier gut geht“, sagt sie, die 15 Jahre „ehrenamtlich“ hinter der Theke stand. „Aber seit ein paar Monaten kommt die Miete pünktlich.“ „Seit ein paar Jahren“, korrigiert Schnitzler. „Aber es stimmt: Ohne Margot wären wir lange nicht mehr hier. Sie hat uns Ordnung beigebracht und war immer gnädig zu uns.“
Schnitzler und Pawleta halten sich über Wasser, weil ihr Theater in ganz Deutschland einen guten Ruf genießt – Schnitzler gilt als erstklassiger Talententdecker – und, weil sie mehrspurig fahren. Bei Schnitzler sind das neben der Wohnzimmerbühne eigene Regiearbeiten, eine Senioren-Theatergruppe, Schreibprojekte, Solo-Auftritte. Ab April wird der 53-Jährige Kunst studieren. Das hat er schon einmal getan. Seine Mutter war Malerin, er studierte an der Freien Kunstschule Wiesbaden und brach ab, studierte Germanistik und brach ab („beste Voraussetzung, um im Theaterfach zu landen“), machte eine Floristen-Lehre, ging zu Walter Bockmeyer, war angefixt, ging mit Bockmeyer auf Deutschland-Tour, hatte irgendwann keinen Bock mehr, arbeitete als Damenstrumpf-Fachverkäufer und wollte „immer kreativ arbeiten. Die Kreativität sucht sich immer neue Wege“.
Wilhelm Schulte hat bei den Kölner Architektur-Koryphäen Gottfried Böhm und Erich Schneider-Wessling studiert und gearbeitet. Vor 15 Jahren hat er sich selbstständig gemacht. Heute hat Schultes Büro 17 Mitarbeiter. Man darf wohl von Schulte (und von Schnitzler eher nicht) sagen: Er ist ein wohlhabender Mann. Gemein ist Schulte und Schnitzler, dass sie von früh an ständig gezeichnet haben. Dass sie sagen, man müsse eine Sache schon ausdauernd betreiben, um sie einigermaßen zu beherrschen. Man sollte da keine Parallelen ziehen, die es nicht gibt. Schulte sagt, in seiner Branche gehe es mehr um Sein als Schein. „Durch eine Präsentation allein kann ich wenig erreichen.“ Bei der Befindlichkeitscomedy ist das anders.
Der Architekt, Vater von vier Kindern, hört sich sehr zufrieden an, wenn er in seinem Büro, das voll von eigenen Aquarellen und Skizzen ist, über seine Arbeit spricht. „Man entwickelt eine Idee und sieht dann sehr schnell Ergebnisse“, sagt Schulte. Längst sind die Ergebnisse so gut, dass sein Büro viele Zuschläge bekommt: Sein Team hat Wohneinheiten auf dem Gelände des Sülzer Kinderheims („Allegro“) entwickelt, den Bau von 127 Wohnungen südlich des Mülheimer Hafens, 60 Wohneinheiten am Vorgebirgstor, und das Vingstveedel mit 147 Wohnungen haben Schultes Architekten genauso realisiert wie das Altenheim St. Christophorus in Niehl, den Neubau der Kapelle am Eduardus-Krankenhaus und viele andere Gebäude in und außerhalb von Köln. „Dass wir durch unsere Arbeit das Stadtbild mitgestalten, ist natürlich schön“, sagt Schulte.
50 Meter Köln heißt eine Serie, in der die Redaktion die Vielfalt der Stadt ergründet. Nachbarn, die dem ersten Anschein nach Welten trennen, sprechen über ihren Alltag – jeden zweiten Samstag im Lokalteil. (uk)
Georg Schnitzler ist nicht so schnell, wenn es darum geht, die Vorzüge seines Künstlerdaseins zu beschreiben. Er ist eher der zweifelnde Typ. Wiederholt beklagt er, dass dem humoristischen Fach die Facetten verloren gegangen seien. „Das Fernsehen ist Fluch und Segen zugleich. Fluch, weil politisches Kabarett kaum noch eine Chance hat und eher seichte Unterhaltung gefragt ist; Segen, weil sich viele für diese Befindlichkeitscomedy interessieren, und unser Publikum immer jünger wird.“ Schnitzler sieht deutlich jünger aus als 53, aber er guckt stets ein bisschen säuerlich, wenn es um seine Branche geht. Die eigenen Texte sind weit weg von massentauglichen Flachwitzen.
Trotzdem will er noch viele Jahre mit seinem Theater in der grauen Probsteigasse bleiben. Genau wie Schulte mit seinem Architektenbüro hierbleiben will. Zur Entspannung war er übrigens schon öfter im Wohnzimmertheater. Kennengelernt haben sich der malende Architekt und der malende Theatermacher nie.