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„Wat e Poppespill zick 222 Johr“Neuer Bildband zum Hänneschen-Theater zeigt Blick hinger d'r Britz

Lesezeit 4 Minuten
Auf der Schulter von Puppenspielerin Almuth Solzbacher liegt eine Puppe.

An der Schulter von Puppenspielerin Almuth Solzbacher nur noch kurz durchatmen, dann geht es hinaus ins Rampenlicht.

Vier Monate lang begleitete die Fotografin Larissa Neubauer die Holz-Puppen des Hänneschen-Theaters. Heraus kam dabei ein Bildband.

Das Hänneschen-Theater ist einzigartig. Seit 222 Jahren. Das Jubiläum wurde ein Jahr lang im Theater und in der Stadt gefeiert. Das Hänneschen ist nicht nur die jeckste, es ist auch die älteste Puppenbühne im deutschsprachigen Raum. Wie viel Kraft und Energie in ihm steckt, was die Faszination und Lebendigkeit ausmacht, zeigt das gerade erschienene Fotobuch „Wat e Poppespill zick 222 Johr“.

Es ist das Ergebnis einer außergewöhnlichen Foto-Dokumentation der Fotografin Larissa Neubauer. Für die Reportage begleitete die 43-Jährige vier Monate lang die Arbeit der Puppenspielerinnen und Puppenspieler vor und hinter der Bühne sowie außerhalb des Theaters. Das Projekt war Teil ihrer Diplomarbeit im Rahmen der Ausbildung an der Fotoakademie Köln.

Der Blick hinter die Bühne

Cat Ballou trifft Hänneschen-Ensemble: Gemeinsamer Auftritt bei der Matinee des Festkomitees Kölner Karneval in der Philharmonie.

Cat Ballou trifft Hänneschen-Ensemble: Gemeinsamer Auftritt bei der Matinee des Festkomitees Kölner Karneval in der Philharmonie.

Larissa Neubauer besuchte die Proben, die Werkstatt und die Vorstellungen. Sie war mit ihrer Kamera bei öffentlichen Auftritten der Theaterschaffenden beispielsweise in der Philharmonie, in der Agneskirche, im Gürzenich, im Sartory und im Rathaus dabei. „Mir war es wichtig, die vielen Facetten des Theaters und der Menschen, die dort arbeiten, darzustellen. Ich wollte zugleich die Rolle und die Bedeutung des Hänneschens für die Stadtgeschichte ergründen. Und die wechselseitige Beziehung zwischen der Stadt und der Bühne aufzeigen“, sagt die Fotografin, die in Bonn lebt.

Puppenspielerin Silke Essert erweckt durch ihren Text und ihre Stimme Skelett Skully (im Bildhintergrund) zum Leben.

Hinger d'r Britz: Puppenspielerin Silke Essert erweckt durch ihren Text und ihre Stimme Skelett Skully (im Bildhintergrund) zum Leben.

Bemerkenswerterweise habe man Larissa Neubauer während ihrer Arbeit im Umfeld des Theaters kaum bemerkt, berichten die Ensemblemitglieder. „Das war ein ganz wesentlicher Punkt. Die Abläufe während der Proben durften nicht gestört werden. Daher habe ich auch ohne Blitz fotografiert und mich möglichst im Hintergrund gehalten.“

Annähernd 130 Fotos sind bei dem Projekt entstanden. Hervorzuheben sind die Aufnahmen, die den Blick ins Herzstück des Theaters freilegen. Nur kurz wird für die Betrachter die üblicherweise verborgene Welt „hinger d’r Britz“ erlebbar. Beispielsweise wenn im Bildhintergrund schemenhaft das Skelett Skully zu erkennen ist, während Puppenspielerin Silke Essert im Bildvordergrund zu sehen ist, wie sie den dazu passenden Text spricht und Skully für das Publikum im Saal lebendig erscheinen lässt.

Oder wenn Almuth Solzbacher eine Puppe liebevoll an ihrer Schulter bettet. Ganz so als gewähre sie ihr und sich noch einen Moment des Ausruhens, bevor es für beide ins Rampenlicht geht. Die Momentaufnahmen transportieren starke Emotionen, die man bei den hölzernen Stockpuppen mit ihren starren Gesichtszügen zunächst nicht vermutet. So leidet man fast körperlich mit dem kleinen Kerl im selbstgestrickten Winterpulli, der irgendwo im Halbdunkel mit weit aufgerissenen Augen auf einem Köfferchen sitzt, mit. Denn er verströmt nur eins: Lampenfieber.

Eine Puppenfigur sitzt in der Ecke.

Lampenfieber ist offensichtlich etwas, was auch aus Lindenholz geschnitzte Akteure befällt.

Mit den Puppen in ganz Köln unterwegs

Die Reportage startet mit den Proben zum Weihnachtsmärchen „Die Himmelsfleut“, Anfang 2023, gefolgt von denen zur Puppensitzung „Wat e Thiater“ und endet mit den Aufnahmen am Rande des Rosenmontagszuges „Wat e Theater – Wat e Jeckespill“, beides Anfang 2024. Häufig stellt Larissa Neubauer einen Bezug zwischen aktuellen Szenen und historischen Dokumenten her. So korrespondiert ein Bühnenbild aus dem Stück „Die Himmelsfleut“ mit einer skizzierten Dorfansicht des Theatergründers Johann Christoph Winters. Der Autodidakt Winters legte ab 1802 mit seinen Zeichnungen und Entwürfen zum Bühnenaufbau, zur Beleuchtung und vor allem mit seinen Stücken und den Figuren den Grundstock für den Charakter und das Wesen des Hänneschen-Theaters. Die kölsche Mundart war ebenfalls von Beginn an gesetzt. Das Repertoire aus den Anfangsjahren ist ausführlich dokumentiert in etlichen handschriftlichen Heftchen aus Winters’ Besitz. Das Material ist Teil der Theaterwissenschaftlichen Sammlung (TWS) der Universität zu Köln.

Der Rosenmontagszug Köln mit der Gruppe vom Hänneschen-Theater.

Zum Jubiläum „222 Johr Kölsch Hännesche-Thiater“ hatte der damalige Zugleiter Holger Kirsch den Puppenspielen einen Platz im Rosenmontagszug reserviert. Angeführt wurde die Gruppe von den Großfiguren, die eigens fürs Jubiläum hergestellt worden sind.

Das Fotobuch bildet nicht nur die Innenwelt der Puppenspiele ab, sondern auch die besonderen Momente außerhalb des Hotspots Eisenmarkt. Dazu zählt unter anderem der Fastelovendsgottesdienst „Sing mich noh Hus!“ in St. Agnes im Februar 2024 mit einer Predigt von „Hänneschen“ Jacky von Guretzky-Cornitz. In dem Gottesdienst wurde an die jüdische Puppenspielerin Fanny Meyer erinnert. Seit einigen Wochen gibt es in Köln wieder ein sichtbares Zeichen für die von den Nationalsozialisten ermordete Künstlerin. Am 5. November 2024 verlegte der Künstler Gunter Demnig an der Oversbergstraße/Ecke Follerstraße zwei Stolpersteine für Fanny Meyer und ihren Ehemann Lothar Heineberg. Ihr ehemaliges Wohnhaus „Im Weichselhof 34“ existiert nicht mehr.

Der Fastelovendsgottesdienst in St. Agnes findet mit Kerzen und Puppen statt.

Im Fastelovendsgottesdienst in St. Agnes wurde an die ehemalige Puppenspielerin Fanny Meyer erinnert. Sie musste auf Druck der Nationalsozialisten 1935 das Hänneschen verlassen, weil sie Jüdin war.

Fanny Meyer war ab 1929 Teil des Ensembles der Puppenspiele der Stadt Köln. In den Akten der Kulturverwaltung der Stadt Köln befindet sich eine Notiz mit dem Eingangsdatum 29. März 1933. Es sind nur zwei Sätze. „Die Puppenspielerin Fanny Meyer ist Jüdin. Ausser ihr ist niemand Jude und auch nicht mit einem Juden verheiratet.“ Diese Auskunft der Stadtverwaltung stand in Zusammenhang mit der Vorbereitung des „Gesetzes zur Wiederherstellung des Berufsbeamtentums“. Es trat wenig später, am 7. April 1933, in Kraft. Es ermöglichte den Nazis, politische Gegner und Juden aus dem öffentlichen Dienst zu entfernen. Auch eine junge Frau aus dem Puppentheater. Sie musste 1935 das Theater verlassen. Seit 1926 war das Hänneschen städtisch.

Cover des Bildbandes „Wat e Poppespill zick 222 Johr“.

Cover des Bildbandes „Wat e Poppespill zick 222 Johr“.

Das Fotobuch „Wat e Poppespill zick 222 Johr“ von Larissa Neubauer, Querformat mit bedrucktem Leineneinband, kostet 39 Euro. Es wird unter anderem im Hänneschen-Theater angeboten. Bestellungen online unter: larissa@larissaneubauer.de.