Die Fußgängerzone auf der Deutzer Freiheit wurde am Mittwoch für rechtswidrig erklärt. Das Urteil könnte weitreichende Folgen haben.
Zäsur für die Kölner VerkehrspolitikDiese Folgen hat die gescheiterte Fußgängerzone auf der Deutzer Freiheit
Die Reaktionen fielen so eindeutig aus, wie selten. Von einer „Bruchlandung“ sprach die SPD-Fraktion im Stadtrat, die CDU von einem „von Anfang an missglückten Projekt“. Bei der FDP heißt es trocken: „Die Verwaltung macht, was sie will.“ Grüne und Linke sind bemüht, dem gescheiterten Verkehrsversuch auf der Deutzer Freiheit, der am Mittwoch vom Verwaltungsgericht für rechtswidrig erklärt wurde, irgendetwas Positives abzugewinnen.
Eigentlich hatte die Stadt den Versuch bis November verlängert, eigentlich sollte die Straße bald von Künstlern bemalt werden, wie die Stadt noch am Dienstag angekündigt hatte. Am Mittwoch waren alle Planungen hinfällig. Aus Kreisen der Stadtspitze ist zu hören, dass die Deutzer Freiheit definitiv noch im August wieder befahrbar sein wird.
Stadt Köln trägt die Kosten des Verfahrens um die in Teilen autofreie Deutzer Freiheit
Doch das Urteil, das dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ in Gänze vorliegt, ist eindeutig. Die Stadt wird als Verliererin des Verfahrens benannt und trägt die Kosten. Weil es sich um eine Eilentscheidung handelt, gilt sie formell als vorläufig. Inhaltlich allerdings ist sie ziemlich endgültig, die Stadt hat den Abbruch des Versuchs umgehend beschlossen.
Und der Urteilstext könnte kaum eindeutiger sein: Die eingerichtete Fußgängerzone sei sogar „offensichtlich rechtswidrig“, heißt es darin. Für den Händlerzusammenschluss „Initiative Deutz“ mit Friseur Julian Neumann an der Spitze, der sich mit Rechtsanwalt Marcel Templin gegen die in Teilen autofreie Deutzer Freiheit gewehrt hatte, ist es ein Sieg auf ganzer Linie.
Köln-Deutz: Händlerinitiative schlägt Kompromiss vor
„Wir freuen uns über den Teilerfolg und hoffen, dass es bei neuen Versuchen mehr Beteiligung aller gibt“, teilte die „Initiative Deutz“ dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ mit. Die Stadt hatte angekündigt, der Politik einen Vorschlag für die Zukunft der Deutzer Freiheit zu machen. Die „Initiative Deutz“ hat hierfür einen Kompromiss parat: „Wir würden uns wünschen, dass die Deutzer Freiheit zur Fahrradstraße mit Zusatz ‚Auto frei‘ wird, damit niemand mehr in seiner Mobilität ausgegrenzt wird.“ Es ist ein Vorschlag, den das Verkehrsdezernat von Ascan Egerer nach all den Versprechen, die vor Ort Beteiligten mehr einzubeziehen, wird ernst nehmen müssen.
Templin hatte bereits der Autofreiheit auf der Berliner Friedrichstraße mit einer Klage ein Ende gesetzt. Das Urteil auf der Deutzer Freiheit erreichte den Juristen im Urlaub. Überrascht hat es ihn keineswegs. „Der Unterschied zur Berliner Entscheidung ist, dass in Deutz schon die Mindestanforderungen nicht erfüllt sind.“ Das juristische Kernproblem sind weder die Dauer des Versuchs noch die Umsatzeinbußen der Einzelhändler und Dienstleister vor Ort. Sondern die Tatsache, dass es der Stadt im Rahmen eines Verkehrsversuchs schlicht nicht erlaubt ist, eine Straße für Autos zu sperren – außer, wenn es darum geht, die Verkehrssicherheit zu erhöhen.
Das ist in Deutz laut Urteil nicht der Fall: „Eine derartige qualifizierte Gefahrenlage hat die Antragsgegnerin nicht ansatzweise dargelegt“, heißt es. Das politische Ziel, die Aufenthaltsqualität zu verbessern, ist wohl nicht einmal verfehlt worden: Einer Studie der Hochschule Bochum zufolge gaben 62 Prozent der befragten Passanten an, dass sich ihre Lebensqualität durch den Verkehrsversuch verbessert habe. Doch die rechtliche Grundlage für den Beschluss war von Anfang an schlicht nicht vorhanden. Templin hatte, so muss man konstatieren, leichtes Spiel. Er sagt: „Die Wahrscheinlichkeit ist hoch, dass der Stadt auch die anderen Verkehrsversuche um die Ohren fliegen.“ Gemeint ist die Tempo-20-Zone auf der Venloer Straße und die weitgehend autofreie Trankgasse direkt am Dom. In beiden Fällen werden, ähnlich wie in Deutz, immer wieder Beschwerden von Anliegern und Autofahrern laut. Wie im Fall einer Klage geurteilt wird, ist nicht absehbar.
Henriette Reker: „Wir müssen aus der Urteilsbegründung lernen“
Oberbürgermeisterin Henriette Reker (parteilos) blickt anders auf den Vorgang. Sie betonte am Donnerstag, dass es sich noch nicht um eine gesicherte Rechtssprechung handele und auch Berlin und Hamburg zuvor „auf die Nase gefallen“ seien. Reker sagte: „Es ist ein Versuch und wir müssen unsere Erfahrungen machen, was geht und was nicht geht. Wir müssen aus der Urteilsbegründung lernen, was wir besser machen können.“ Sie hat eine klare Meinung, was das für weitere Verkehrsversuche heißt: Reker hofft, dass etwa auf der Venloer Straße möglichst bald eine Einbahnstraßenregelung kommt.
Zur neuen Verkehrsführung an der Trankgasse am Dom sagte sie: „Da müssen wir jetzt schauen.“ Eine Stadtsprecherin präzisierte die Pläne auf der Venloer Straße auf Anfrage: Im Herbst 2023 soll es so weit sein. Erfahrungswerte und Rückmeldungen sollen bei der Umsetzung der Einbahnstraßenregelung berücksichtigt werden, die Stadt spricht von „entsprechenden Anpassungen.“ Offenbar will die Verwaltung alles dafür tun, nicht erneut vor Gericht zurückgeworfen zu werden. Schon jetzt kann bilanziert werden: Die Klage eines Friseurs hat die Verkehrspolitik der Millionenstadt Köln infrage gestellt.
Ein Streit, der sich durch Politik und Stadtspitze zieht
Und die Oberbürgermeisterin muss jetzt vermitteln: Zunächst innerhalb des Ratsbündnisses aus Grünen, CDU und Volt. Die CDU hält sich mit ihrer Kritik an Egerer keineswegs zurück, hat für Freitag sogar eine Pressekonferenz zum Thema angekündigt. Der Konflikt ist auch auf Ebene der Bezirksvertretung unverkennbarer denn je. „Das ist ein wirklich guter Tag für unser schönes Deutz! Das Urteil zeigt, dass man nicht alles mit der Brechstange durchdrücken und die Akteure vor Ort ignorieren kann. Wir freuen uns sehr, dass dieser Verkehrsversuch endlich ein Ende gefunden hat, wie wir das so viele Male gefordert haben“, heißt es von der dortigen CDU.
Und von den Grünen: „Nach wie vor sehen wir eine breite und stabile politische Mehrheit in der Bezirksvertretung für eine nachhaltige Umgestaltung der Deutzer Freiheit im Sinne der Verkehrswende. Hierbei sind Aufenthaltsqualität und Raum für den Fuß- und Radverkehr für uns wegweisende Aspekte.“ Die Grundlagen dafür prüfe man mit der Verwaltung. Der grüne Bezirksbürgermeister Andreas Hupke ergänzte: „Die finale Neugestaltung wird durch die Klage verteuert und das ist eigentlich überflüssig.“ Ob eine Fahrradstraße mit „Auto frei“-Zusatz eine Lösung sein könnte?
Der Weg zu einer Neugestaltung der knapp 500 Meter langen Einkaufsstraße ist durch das Urteil jedenfalls länger geworden, die Widerstände größer. Auch rechtlich. Sogar innerhalb der Verwaltungsspitze schwelt ein Konflikt, auch hier kommt Reker die undankbare Vermittlungsrolle zu. Wirtschaftsdezernent Andree Haack etwa hatte sich kritisch zum Verkehrsversuch seines Kollegen geäußert, die Situation gar als „akutes Problem“ benannt – schon vor dem Urteil. Nun scheint das Problem akuter denn je. Eine Lösung ist bislang nicht in Sicht.