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KneipentourVeranstalter der „Tour Belgique“ über Kreativität und urbanes Leben

Lesezeit 7 Minuten

Philipp Treudt und Mirjam Wille veranstalten die „Tour Belgique“.

  1. „Tour Belgique“ findet am 16. April zum elften Mal im Belgischen Viertel statt.
  2. Nicht nur Szenegänger, sondern auch Familien mit Kindern ansprechen.
  3. Kultureller Mehrwert der teilnehmenden Bars und Boutiquen ist die oberste Prämisse.

InnenstadtDie „Tour Belgique“ findet am 16. April zum elften Mal im Belgischen Viertel statt. Was ist die Idee hinter der Veranstaltung?

Philipp Treudt: Das Belgische Viertel ist in Köln das Viertel, das für maximale Kreativität steht. Die wollen wir zweimal im Jahr auf jeweils einen Tag fokussieren. Die „Tour Belgique“ findet einmal im April und einmal im Oktober statt. Als wir vor fünfeinhalb Jahren angefangen haben, waren vor allem Bars und Kneipen dabei. Dann sind die Inhaber der Shops und Boutiquen auf uns zugekommen, ob sie nicht auch mitmachen können. Danach hat es sich so ausgeweitet, dass auch die kulturelle Komponente ein wichtiger Faktor wurde. Es ging darum, zum Beispiel auch Theater mit einzubeziehen. Jetzt sind das Theater im Bauturm und das Atelier Theater dabei, und in der Wohngemeinschaft findet ein Poetry Slam statt. Es geht darum, Kommerz, Kunst und Kultur auf eine gute Art miteinander zu verbinden.

Wer hatte die Idee dazu, und wie ist sie entstanden?

Treudt: Die ist entstanden, als wir vor fünfeinhalb Jahren „Das scheue Reh“ aufgemacht haben. Als Inhaber des Ladens fand ich es naheliegend, irgendetwas für das Belgische Viertel zu machen. Ein bisschen haben wir uns am Ehrenfeld-Hopping orientiert, das es schon seit neun Jahren gibt. Wir haben klein angefangen, am Anfang haben etwa 25 Läden mitgemacht. Jetzt machen rund 55 Geschäftsleute mit, und dabei geht es quer durch die Branchen.

„Eine Nacht, ein Veedel, eine Tour“ ist wie immer das Motto der „Tour Belgique“. Wen soll die Veranstaltung ansprechen?

Treudt: Wir sprechen mit der „Tour Belgique“ Kinder, Erwachsene und Senioren an. Im Belgischen gibt es ein paar Kinderläden, und wir wollen nicht nur die üblichen Szenegänger, sondern auch Familien mit Kindern einbeziehen. Es wird erstmals eine „Tour für Pänz“ geben, bei der es unter anderem Kinderschminken gibt. Dadurch, dass auch Galerien mitmachen, ist das Spektrum der Besucher noch einmal größer geworden. Bei den Leuten, die sich die Kunstroute angucken, sind die meisten zwischen 40 und 60.

Mirjam Wille: Mehr Vielfalt bei den Besuchern erreichen wir auch, indem die ganze Veranstaltung nicht mehr so sehr auf den Abend und aufs Feiern ausgerichtet ist. Es geht morgens um elf schon los mit Ausstellungen, und die Läden, die mitmachen, sind sehr unterschiedlich. Von einem sportlich und hip ausgelegten Klamottenladen über den Blumenhändler bis hin zu Deko-Artikeln ist alles dabei. Die „Tour Belgique“ kann morgens um elf losgehen und am Sonntagfrüh um sechs Uhr mit den „Breakfast Beats“ mit einem Frühstück im Club enden. Vorausgesetzt, man hält so lange durch.

Kultureller Mehrwert ist oberste Prämisse

Nach welchen Kriterien entscheiden Sie, wer bei der „Tour Belgique“ mit dabei ist?

mirjam Wille: Bei den Shops ist die oberste Prämisse, dass es einen kulturellen Mehrwert gibt. Es muss keine Ausstellung oder eine Performance stattfinden. Schön ist, wenn ein Klamottenladen zum Beispiel einen Film darüber zeigt, wo und wie die Blusen hergestellt werden, die verkauft werden. Wenn dann noch der Designer anwesend ist, der die Sachen entworfen hat, und man mit dem ins Gespräch kommen kann, ist das gut. Es reicht auf jeden Fall nicht, auf alles zehn Prozent Rabatt zu geben und gratis Sekt auszuschenken.

Zum Konzept gehört, dass in Boutiquen und Bars Musiker und Bands live auftreten. Lassen Sie große und bekannte Namen bewusst weg oder sind die schlicht nicht bezahlbar?

Treudt: Einerseits kann es sich keiner der teilnehmenden Läden leisten, einen großen Namen zu buchen. Andererseits geht es uns auch darum, dass die Besucher auf der „Tour Belgique“ neue und unbekannte Künstler entdecken. Ich habe vor kurzem einen Förderantrag beim Kulturamt der Stadt Köln eingereicht. Mit dem Ziel, dass die Läden ein Fixum dafür bekommen, um die Kosten für die Bands und die Technik zu decken. Wenn der Antrag durchgeht, machen sicher noch mehr Läden mit.

Die Akzeptanz der „Tour Belgique“ ist stetig gestiegen, das Viertel brummt, die Läden sind voll. Welches Feedback bekommen Sie von den Besuchern?

Treudt: Das Feedback ist extrem positiv. Die Besucher mögen das, was sie auch am Brüsseler Platz mögen: Sie schätzen das Zusammenkommen im öffentlichen Raum. Du hängst irgendwo rum, und es passiert was. Du hörst zehn Minuten irgendwo zu, ziehst weiter, holst dir was zu trinken, tingelst weiter durchs Viertel, und an einem anderen Platz passiert auch was. Du kannst auf den Zeitplan der Veranstaltung gucken und die „Tour Belgique“ ganz fokussiert wahrnehmen. Oder du gehst da beiläufig ran und sagst: „Ach, da ist noch eine Ausstellungseröffnung, die nehme ich noch mit“.

Wille: Viele Besucher geben uns die Rückmeldung, dass sie plötzlich in Läden oder Bars waren, in die sie sonst nicht reingehen. Weil sie durch ein Konzert reingezogen wurden, plötzlich an einer Kleiderstange standen und auf einmal Teil des Ganzen waren.

Wie gestaltet sich die Zusammenarbeit mit den Ämtern der Stadt Köln, wenn es um die Genehmigungen für die „Tour Belgique“ geht?

Treudt: Ich hatte gerade ein Treffen mit Herrn Rummel, dem Leiter des Ordnungsamtes der Stadt Köln. Bei einer solch großen Veranstaltung gilt natürlich, dass man keinen Nachbarn stören darf. Das ist das sogenannte Verteidigungsrecht eines jeden Anwohners.

Das klingt martialisch.

Treudt: Die Bewaffnung, um die es da geht, ist die Lautstärke. Darf eine Tür auf sein oder nicht? Ab wann tritt eine Störung ein? Und kann man eine Tür überhaupt noch schließen, wenn die Läden rappelvoll sind? Das sind die Fragen, um die es sich bei einem solchen Termin dreht. Am Anfang war die Zusammenarbeit mit den zuständigen Ämtern mühselig, mittlerweile ist die Kommunikation gut.

„Mehr los als vor Ostern und Weihnachten zusammen“

Was kann die Stadt Köln tun, um Veranstaltungen im öffentlichen Raum flexibler und allgemeinverträglicher zu gestalten?

Treudt: Das ist ein schmaler Grat, weil da zwei Interessenbereiche kollidieren. Auf der einen Seite stehen die Anwohner, die ihre Ruhe haben wollen. Auf der anderen steht der Aspekt der Lebensqualität, die eine Großstadt wie Köln mit einer solchen Veranstaltung auch bieten sollte. Und dann ist da noch „Köln Tourismus“. „Köln Tourismus“ hat ungefragt und ohne unser Wissen die „Tour Belgique“ als ein Highlight des urbanen Lebens in sein Programmheft gepackt und damit geworben. Ich würde mir von der Stadt Köln wünschen, dass man da mehr Hand in Hand geht.

An welchen besonderen „Tour Belgique“-Moment erinnern Sie sich spontan?

Treudt: Im letzten Jahr war es beeindruckend zu sehen, wie viele Leute im Viertel unterwegs sind. Der Brüsseler Platz war rappelvoll. Beinahe jeder Shopinhaber hat dich angestrahlt, weil in den Läden mehr los war als vor Ostern und vor Weihnachten zusammen.

Wille: Mein Moment war der, als eine befreundete Band spielte. „Waking Up In Stereo“ hatten bei ihrem Auftritt im Hallmackenreuther ihr wahrscheinlich bisher größtes Publikum. Es gab an dem Abend drei Gewinner: die Band, das Hallmackenreuther, die Zuschauer.

Der Brüsseler Platz ist das Markenzeichen des Belgischen Viertels - aber während der Tour Belgique ist nicht nur dort viel los.

Angenommen, es gäbe einen Wunschzettel für das Kölner Kulturleben: Welchen Wunsch würden Sie an die erste Stelle setzen?

Treudt: Da muss ich nicht lange überlegen. Ich wünsche mir von der Stadt Köln eine Open-Air-Location, die junge Veranstalter zuverlässig und ohne Probleme bespielen können. Wie wäre es mit einer Restrukturierung des Ebertplatzes? Macht doch mal einen Platz schön in Köln.

Gut – Plätze, die man in Köln schön machen könnte, gibt es ja reichlich.

Treudt: Nur einen, einer würde mir reichen!

Wille: Für mich bedeutet urbanes Leben, dass man draußen sein darf. Köln ist eine Stadt, in der viele Leute wohnen, die das gut können: draußen sein. Sobald gutes Wetter ist, wollen alle raus. Ich würde mir wünschen, dass die Stadt Köln den öffentlichen Raum nicht so stark reglementiert.

Zu den Personen

Philipp Treudt, 37, ist ausgebildeter Fachwirt für Eventmanagement und Vorstandsmitglied der Klubkomm e.V. Er ist Inhaber des Clubs „Zum scheuen Reh“ und der Kölschbar „Im Schnörres“. Mirjam Wille, 33, ist Regieassistentin und hat umfangreiche Gastro-Erfahrung.

Die Serie

„Kultur leben“ heißt unsere Serie, in der wir mit Kölnern sprechen, die mit Kompetenz, Leidenschaft und Engagement dafür sorgen, dass sich in dieser Stadt in Sachen Kultur etwas bewegt.