Andre Szymkowiak leitet seit August 2019 das Gymnasium Thusneldastraße in Deutz mit rund 800 Schülern.
Die zunehmende kulturelle Heterogenität von Schülern stelle Schulen vor große Herausforderungen, sagt er.
Problematisch findet er auch, dass Kindern mit türkischen Wurzeln vermittelt werde, ihre Muttersprache sei weniger wert.
Ein Gespräch über realitätsfernen Unterricht, rechte Parolen in Klassenchats und Schuleschwänzen für Klimademos.
Köln-Deutz – An die Wände seines Büros hat er Fotos vom Kap der guten Hoffnung und eines Elefanten in Schwarz-Weiß gehängt, darunter stehen noch unaufgehängt Bilder von Nashörnern, Antilopen und Impalas – allesamt selbst fotografiert. André Szymkowiak war als Presseoffizier der Bundeswehr im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina, als Forscher in Indonesien und als stellvertretender Schulleiter einer deutschen Schule in Namibia. Seit August vergangenen Jahres leitet er nun das Gymnasium Thusneldastraße in Deutz mit rund 800 Schülern.
Herr Szymkowiak, Lehrern wirft man immer wieder vor, realitätsfremd zu sein, weil sie ihr ganzes Leben in der Schule verbringen würden. Sie dagegen haben die Welt gesehen. Macht Sie das zu einem besseren Pädagogen?
André Szymkowiak: Nein. Ich habe auch Dinge erlebt, die braucht man nicht, die wünsche ich keinem. Letztendlich haben sie mich aber auch geprägt. Ich würde aber auch diesem Vorwurf nicht zustimmen. Lehrerinnen und Lehrer sind das ja nicht 24 Stunden am Tag: Sie haben Hobbys, Familie, verreisen, engagieren sich ehrenamtlich. Und auch dieser Beruf ist extrem abwechslungsreich. Die wichtigsten Erfahrungen sind die mit Menschen, egal wo und mit wem.
In Ihrer Schulbroschüre haben Sie als frischgebackener Schulleiter geschrieben: „Aufgrund von neuen gesellschaftlichen und schulpolitischen Herausforderungen müssen sich Schulen immer weiterentwickeln und manchmal auch neu erfinden.“ Was meinen Sie damit?
Wir bilden Kinder aus, die wahrscheinlich schon das 22. Jahrhundert erleben werden – aber mit den Strukturen des 20. oder sogar 19. Jahrhunderts. Ich glaube, dass wir irgendwann einen Diskurs brauchen, in dem wir uns fragen, was der Begriff „Bildung“ im 21. Jahrhundert eigentlich bedeuten soll.
Im Vorgespräch haben Sie diese Frage damit beantwortet, dass Sie sich wünschen würden, dass man das Abitur auch dann bestehen können sollte, wenn man Deutsch nicht auf Muttersprachen-Niveau sprechen kann. Gleichzeitig beobachten Sie mit Sorge, dass die Deutschkenntnisse der Fünftklässler immer schlechter werden. Wie passt das zusammen?
Grundsätzlich glaube ich erstmal nicht, dass die deutsche Sprache einen geringeren Stellenwert haben sollte. Ich bin der Meinung, dass Sprache an sich das wichtigste Kommunikationsmittel ist, das wir haben. Aber ich finde es falsch zu sagen, dass eine Sprache wichtiger ist als die andere.
Zur Person
André Szymkowiak ist 50 Jahre alt und stammt aus Leverkusen. Nach dem Studium (Chemie, Physik, Geografie, Deutsch als Fremdsprache) in Hamburg war er mehrere Jahre als Presseoffizier der Bundeswehr im Kosovo und in Bosnien-Herzegowina, als Forscher in Indonesien und als stellvertretender Schulleiter einer deutschen Schule in Namibia tätig. Er ist verheiratet, hat einen Sohn und lebt in Eitorf im Rhein-Sieg-Kreis.
Wir müssen im Hinblick auf Mehrsprachigkeit flexibler werden: Wenn Kinder Deutsch als Zweitsprache haben und als Muttersprache Türkisch oder Arabisch, gilt das in Deutschland schon als schwierig. Wir vermitteln diesen Kindern: Was du kannst, ist nicht viel wert. Das Ungerechte ist, dass man dagegen über ein Kind, das zum Beispiel mit Französisch aufwächst, sagt: Toll, was das kann. Wir gehen mit Sprache also ungerecht um. Es gibt Kinder, die sind beispielsweise begabt in Naturwissenschaften, sind aber in der Schule nicht erfolgreich, weil sie Deutsch nicht auf Muttersprachen-Niveau sprechen können. Solche Kinder gehen unserem System dann verloren.
Aber ich verstehe Sie richtig, dass mangelnde Deutschkenntnisse gleichzeitig trotzdem ein Problem für Ihre Schule sind?
Ich würde sagen: Unser System ist aktuell darauf ausgerichtet, dass die deutsche Sprache auf einem bestimmten bildungssprachlichen Niveau gesprochen werden muss, so dass überhaupt an einem Gymnasium gelernt werden kann. Jetzt beobachten wir, dass es zunehmend Schwierigkeiten gibt, diese bildungssprachlichen Kompetenzen anzuwenden. Wir können nicht auf dem Niveau arbeiten, das eigentlich nötig wäre. Da müssen wir handeln.
Und das tun wir: Im laufenden Schuljahr haben wir im Kollegium ein Konzept entwickelt, das auf „Sprachsensiblem Unterricht“ basiert – und bedeutet, dass die deutsche Sprache in jedem Unterricht mitzudenken ist. Das heißt, dass sich der Mathelehrer in seinem Fach beispielsweise verstärkt Gedanken macht, dass er seine Textaufgaben so formuliert, dass Kinder sie verstehen können – und das heißt auch, dass jeder Schüler in Klasse 5 und 6 einen Duden als Nachschlagewerk bekommt. Zudem absolviert jede Schülerin, jeder Schüler in der 5. Klasse einen Sprachtest. Daran sieht man: Die Herausforderungen für Schule sind größer geworden – auch deshalb, weil die Gesellschaft heterogener wird. Gerade in der Großstadt.
Diesen vermeintlichen Niveauverlust hat die ehemalige Schulleiterin am Gymnasium Pesch, Beate Kundoch, in einem Interview mit unserer Zeitung im vergangenen Jahr scharf kritisiert – und Helikoptereltern, die notfalls auch Anwälte gegen die Schule einschalten. Macht das Schulleitersein heute überhaupt noch Spaß?
Ich sehe das nicht so negativ. Ich schöpfe eine sehr große Zufriedenheit aus dieser Aufgabe, weil Schule so wichtig, so zentral ist – für die Kinder, aber auch die Eltern. Man kann in der Schule unglaublich viel bewirken, notwendige Arbeit leisten. Besser kann man seine Zeit nicht investieren als in unsere Kinder.
Ende vergangenen Jahres ist ein Fall an einem Gymnasium in Lindenthal bekannt geworden, bei dem Schüler in Klassenchats rechtsextreme und antisemitische Symbole und Bilder austauschten – wahrscheinlich kein Einzelfall an deutschen Schulen. Was möchten Sie als Schulleiter gegen solche Tendenzen tun?
Bei solchen Tendenzen gibt es gar keine Spielräume, erst recht, wenn es in den strafrechtlich relevanten Bereich geht. Auf der anderen Seite wichtig ist Werte-Erziehung. Das ist eine ganz wichtige Aufgabe für Schule, die uns auch keiner abnimmt.
Was muss ein gutes Gymnasium heute leisten?
Ich glaube, dass Unterricht im Klassenzimmer, wie wir ihn kennen, nicht mehr vollständig das vermittelt, was wir brauchen. Man muss die Realität in die Schulen holen und man muss Begegnungen mit der Realität schaffen.
Nur so stärke ich Werte wie Verständnis und Toleranz. Wenn ich beispielsweise Antisemitismus bekämpfen will, schaffe ich das doch durch nichts besser als durch die unmittelbare Begegnung und den Austausch mit Menschen jüdischen Glaubens.
Das Klassenzimmer von heute ist also noch zu lebensfremd?
Vielleicht wäre „realitätsfern“ noch das bessere Wort. Der Unterricht vermittelt in mancherlei Hinsicht noch nicht das, was wir im 21. Jahrhundert brauchen. Darüber müssen wir neu nachdenken. Aber die aktuellen Entwicklungen, wie beispielsweise die Problemorientierung als zentrales Element von Unterricht zu sehen, gehen in die richtige Richtung.
Eine abschließende Frage: Dürfen Ihre Schüler für „Fridays for Future“ den Unterricht schwänzen?
Die Kombination aus „Dürfen“ und „Schwänzen“ geht ja schon mal nicht. Ich denke, dass der Bruch mit der Konvention auch genau das ist, was „Fridays for Future“ ausmacht. Greta Thunberg hat ja bewusst gestreikt, also den Rechtsbruch gewählt, um Aufmerksamkeit zu erzeugen. Selbst wenn ich das legalisieren könnte, wäre es eigentlich Unsinn. Und es gibt eine Schulpflicht – Punkt. Wenn Schülerinnen und Schüler sagen: Ich breche diese Norm, weil ich gegen einen Missstand protestieren will, ist das möglich. Die Konsequenzen muss man dann aber tragen – das sind dann unentschuldigte Fehlstunden.
Haben die Jugendlichen, die zu den Klimademos gehen, dennoch Ihre Unterstützung?