Kölner AutorSo war es früher im Severinsviertel
Innenstadt – Herr Mödder, Sie haben ein Buch über das Sionstal im Severinsviertel geschrieben. Wie kam es dazu?
Eigentlich habe ich mich in meinem Leben immer als der Jüngste gefühlt. Ich bin der jüngere Bruder, ich war meist mit älteren Freunden zusammen. Irgendwann aber habe ich festgestellt, dass ich angefangen habe, häufiger Geschichten von früher zu erzählen. Dabei kam mir plötzlich der Gedanke: „Mensch, jetzt bist du hier der Märchenonkel geworden“. Aber die Leute aus der Nachbarschaft waren ganz interessiert, wenn ich erzählen konnte, wer hier früher in den Häusern gelebt hat und was hier alles so passiert ist. Schließlich bin ich ja einer der wenigen, die erlebt haben, wie es früher war und wie es heute ist. Das wollte ich aufschreiben.
Was sind das für Geschichten, die Sie in Ihrem Buch erzählen?
Das sind neben persönlichen Erfahrungen viele Geschichten, die mit der Straße „Im Sionstal“ zu tun haben. Hier gab es früher ganz viele kleine Geschäfte. Ein Lebensmittelgeschäft, die Wäscherei, zwei Gemüsegeschäfte, ein Milchgeschäft, einen Buchverleih, ein Zigarrengeschäft, zwei Kneipen und unsere Bäckerei – alles nebeneinander, wie auf einer Perlenkette aufgereiht. Alle hatten damals ihre Daseinsberechtigung, das kann man sich heute teilweise gar nicht mehr vorstellen. Zum Beispiel der Buchverleih Siebert, da sind die Leute rein gegangen wie in einen Metzger. Die haben dann für das Wochenende drei Krimis, einen Western und zwei Liebesromane bestellt. Oder das Kolonialwarengeschäft Simon. Da ranken sich einige meiner Geschichten drum, die Inhaberin war hier so eine Art Patin in der Straße, das war eine ganz abenteuerliche Konstellation. Insgesamt habe ich mir die Zeit vom Ende der 40er bis Anfang der 70er-Jahre als Rahmen für meine Erzählungen gesetzt.
Sie sind in den 40er- und 50er-Jahren hier in der Straße aufgewachsen, wie haben Sie Ihre Kindheit und Jugend hier erlebt?
In dem Haus, in dem ich heute wohne, hatten meine Eltern eine Bäckerei. Hier sind mein Bruder, meine Schwester und ich groß geworden. Wir Kinder waren da praktisch die willkommenen, wenn auch unfreiwilligen Helfer. Eigentlich ist das im Nachhinein ziemlich traurig, da wir ständig überfordert wurden. Nach heutigen Verhältnissen würde man das vielleicht sogar als Kinderarbeit bezeichnen. Sobald wir groß genug waren, dass wir auf den Arbeitstisch gucken konnten, mussten wir mithelfen und auch noch vor der Schule morgens Brötchen ausfahren. Das haben wir bis 1970 gemacht. Mein Bruder und ich standen schon längst im Berufsleben, Rolf als Wirtschaftsprüfer und ich als Assistent eines Verlagsleiters, und haben immer noch morgens Brötchen ausgefahren. Um viertel nach sieben haben wir uns in die dunklen Anzüge geschmissen und sind dann ins Büro gefahren.
Sie haben die Entwicklung der Straße über viele Jahrzehnte verfolgt. Wie hat sich die Gegend hier gewandelt?
Zu meiner Kindheit hatte das hier in der Straße schon fast etwas Dörfliches. Man kannte sich, man sah sich ständig, da gab es keine Geheimnisse. Die Leute wussten am nächsten Morgen, wer beispielsweise nachts erst um zwei Uhr in welchem Zustand nach Hause gekommen war. Als ich dann 1983 aus der Straße weggezogen bin, hatte dieses Viertel seine Identität ein bisschen verloren. Die Geschäfte waren weg, die Leute, die hier zugezogen waren, hatten keine Beziehung zu der Gegend, die für mein Empfinden zu anonym geworden ist. Bei Meiner Rückkehr 2011 hatte sich das aber wieder gewandelt, das hat mir gefallen. Die Leute, die jetzt hier leben, sind jünger, sie sind offener geworden und man hat das Gefühl, dass es wieder einen gewissen Charme hat, hier zu wohnen. Es gibt mehrere Studios und Galerien, an der Ecke hat eine neue Kneipe aufgemacht – es ist ein bisschen pfiffiger geworden. Für mich ist es einfach schön, hier zu sein.
All diese Geschichten haben Sie aufgeschrieben. Wer sollte Ihr Buch lesen?
Das möchte ich ungerne eingrenzen. Es ist eine kleine Chronik, allerdings ohne Anspruch auf Vollständigkeit, aber es ist so, wie ich es erlebt habe. Ich wollte keinen Bestseller mit erfundenen Geschichten schreiben. Es ist ehrlich gesagt auch nicht ganz so professionell gemacht, das weiß ich. Bestes Beispiel dafür ist, dass ich im ganzen Buch vergessen habe, meinen Namen zu erwähnen. Die Alten werden mich allerdings noch an meinem Spitznamen erkennen. „Dat kleine Brütche“, so ist der Titel meines Buches.