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Kölns Schauspiel-IntendantMit Stefan Bachmann auf der Baustelle am Offenbachplatz

Lesezeit 8 Minuten

Stefan Bachmann vor dem Neuen Haus, das er bereits Ende September bespielen will.

Innenstadt – „Der Ort der Schande“, seufzt Stefan Bachmann, als er die Treppe zur Empore hochsteigt. Es ist die letzte Station unseres Spazierganges durch die Kölner Innenstadt, die schwerste.

Hier, wo früher die Opernterrassen standen, im sogenannten Neuen Haus, hatte der Intendant des Schauspiel Köln vergangenen Juni das Programm seiner ersten Spielzeit am Offenbachplatz vorgestellt. Mit Blick auf den sonnenbestrahlten Dom von der glanzvollen Wiedereröffnung des Schauspielhauses geschwärmt.

Der Traum hielt einen Monat. Dann das Debakel. Der Termin ist nicht zu halten, die Kosten explodieren, das Interim verlängert sich auf unbestimmte Zeit. Und keiner will es gewesen sein. Noch immer, sagt Bachmann, liege eine große Last auf der Baustelle.

Das Neue Haus – von den ehemaligen Opernterrassen ist nur eine Außenmauer geblieben.

Diesen Stillstand will er nutzen. Um ihn zu überwinden. Und spielen. Hier, im neuen, unfertigen Haus. „Ich möchte da rein und ich nehme es so wie es ist.“ Den Bauzaun könnte man verlegen, den Bau für ein paar Monate von der Baustelle ausschließen und so die Rechtslage verändern. Publikum und Akteure können ja schlecht Schutzwesten und Helme tragen, so wie jetzt Stefan Bachmann, während er mit gemischten Gefühlen von der Empore auf den unfertigen Offenbachplatz schaut. Und plant.

„Die Heizung machen wir aus einem Container, der Strom kommt von einem Generator, wir brauchen auch keine Unterbühne und keine Garderoben. Hauptsache, wir kommen jetzt hier mal vor.“ Das klingt traumtänzerisch, aber der Intendant ist wild entschlossen. Die Stücke sind geplant, die Verträge geschlossen.

„Das werden vier neue, urbane Stücke für vier junge Regisseure. Die können wie die Piraten hier einfallen, auch selbst das Rahmenprogramm gestalten, vom Tapeziertisch Flaschenbier verkaufen.“ Vor allem die Rechte für die Ur- und Erstaufführungen seien eine erhebliche Investition gewesen. „Ich habe mich also weit rausgelehnt. Ich kann nur sagen: Es gibt einfach keine andere Möglichkeit, das muss jetzt gemacht werden.“

Premiere im September

Schon Ende September soll die erste Premiere in der improvisierten Spielstätte herauskommen. Einen Namen hat sie bereits: „Außenspielstätte Offenbachplatz“. Nach einer Spielzeit wäre dann schon wieder Schluss mit dem Interim im Interim. Es muss ja weitergebaut werden.

Rechtfertigt die Spielwut den logistischen Aufwand? Auf jeden Fall, glaubt Bachmann. „Stellt man am Ende, nach vielleicht sieben Jahren Bauzeit fest, das hat eine Verzögerung von drei Wochen verursacht, ist das völlig egal. Wenn wir hier Leben reinkriegen, wenn wir es schaffen, hier Publikumsverkehr zu haben, wenn das Haus wieder als ein Ort angenommen wird, in dem Kultur stattfindet – dann würde da ein riesiger Motivationsschub entstehen.“

Von den verantwortlichen Stellen habe sein Plan großen Zuspruch erfahren. Nur reiche das natürlich nicht. Im Moment habe jeder Angst, einen Fehler zu machen, gehe es vor allem um Absicherung. Aber so bewegt sich eben erst recht nichts.

Was Köln vom Rhein lernen kann

Das kölsche „Et kütt, wie et kütt“ hat der gebürtige Zürcher in seinen Kölner Jahren schon zur Genüge kennengelernt. Der, sagt Bachmann, beschreibe aber kein Laissez-faire, sondern eine fatalistische Erstarrung.

Unser Weg zur Baustelle beginnt am Rhein, an der Anlegestelle 1 der Köln-Düsseldorfer. Die Sonne strahlt, der Wind weht eisig.

Fast jeden Tag fährt Bachmann hier mit dem Rad entlang, und dann über die Brücke, es ist sein Arbeitsweg. Fühlt sich willkommen geheißen und emotional aufgehoben im Angesicht des Flusses. Und wundert sich, dass die Stadt noch immer keine Lösung dafür gefunden hat, wie Fußgänger, Bootsausflügler und Radfahrer an der Promenade unfallfrei aneinander vorbei kommen könnten.

„Der Fluss als Symbol der Veränderung, des Im-Fluss-seins, ist mir als Theatermacher wichtig. Das Wasser erneuert sich sekündlich – und das steht in so einer harten Diskrepanz zur Situation in der Stadt.“ Dabei könnte Köln vom Rhein lernen. Führe er der Stadt doch jeden Tag vor Augen, dass alles veränderbar ist, dass man nicht warten darf, bis sich alles aufgestaut hat. „Köln“, sagt Bachmann, „verharrt im rasenden Stillstand.“

Blick auf Schauspielhaus und Oper von der Empore des Neuen Hauses.

Unser Weg führt an Heumarkt und Gürzenich vorbei. Wir bleiben stehen vor einem abrissreifen Bürohaus in der Gürzenichstraße, Brettwände versperren die Sicht aufs Erdgeschoss. Im zweiten Stock hatte das erste Interimsbüro der Verwaltung der Stadt Köln Unterschlupf gefunden, planten Patrick Wasserbauer, der Geschäftsführende Direktor der Bühnen, und sein Team die Umzüge von Oper und Theater.

„Und hier hatten wir auch unser Vorbereitungsbüro“, erzählt Bachmann. „Da es damals schon ein Abbruchhaus war, war unser Aufenthalt dort klar terminiert. Für die eigentlich angesetzte Interimszeit hätte es auch klar gereicht. Wir hatten ein schönes Modell vom Carlswerk und alles hat sich so angefühlt, als ob wir jetzt mal eine kleine Exkursion auf die rechte Rheinseite machten, um zwei Jahre später dann locker am Offenbachplatz einzuziehen.“

Die kölsche Odysee

Dabei war es nur der Anfang einer kölschen Odyssee. Team Wasserbauer musste aus dem Abbruchhaus in ein Gebäude schräg gegenüber, an der Große Sandkaul, umziehen. Wieder eine leerstehende Büroetage mit ungeklärter Nachnutzung. Und auch hier müssen die Interimsplaner wieder heraus. Jetzt ziehen sie an den Laurenzplatz, wo sich schon die Büros der Oper neu eingerichtet haben. Ihre Räume in Mülheim hatten sie bereits aufgegeben, als die Hiobsbotschaft von der Baustelle kam. Im Staatenhaus – dem neuen Ausweichquartier der Oper – gibt es keine Büroräume.

Ein Ende der Irrfahrten ist noch nicht abzusehen. Nach zwei Spielzeiten wird die Oper wohl wieder aus dem Staatenhaus ausziehen müssen. Und in der Politik, sagt Bachmann, denke man schon darüber nach, ob das Schauspiel nicht auch aus dem Depot ausziehen und in einem anderen Ausweichquartier weitermachen könne. „Das wäre das Aus“, sagt der Intendant.

Eine etablierte Spielstätte zu wechseln, das sei eine ungeheure Anstrengung: „Seit drei Spielzeiten versuchen wir jeden Tag etwas zu verbessern. Die Schauspieler- Garderoben sind zum Beispiel erst jetzt in der Nähe eines Zustands, in dem man von annehmbaren Arbeitsbedingungen sprechen kann. Das abzubauen und wieder woanders hinzugehen, das stellt sich ein Kulturpolitiker anscheinend als lockere Veranstaltung vor.“

Dabei hat Bachmann noch große Pläne mit dem Mülheimer Carlswerk, hat ein Konzept für eine langfristige Nutzung des Depots entwickelt und bis auf den letzten Euro durchrechnen lassen. Er möchte das Depot 2, die kleinere Bühne, als rechtsrheinische Spielstätte erhalten, und den beliebten Carlsgarten mit dazu. Das große Depot 1 möchte er als zentrales Lager nutzen.

Im Moment sind kleinere Lager mit Requisiten, Fundus, Kostümen, Bühnenteilen und Möbeln über die ganze Stadt verteilt. Im Carlswerk wäre sogar noch Platz für eine Bürgerbühne. „Dies wäre eine extrem nachhaltige Lösung, die auch über meine Intendanz hinaus Bestand hätte. Man könnte mit dem Umbau beginnen, wenn das Interim vorbei ist.“

Ja, wenn es denn nur mal vorbei wäre. Das Carlswerk ist erstaunlich gut vom Publikum angenommen worden, selten hat eine Notlösung so viel eigenen Charakter entwickelt. „Aber das heißt nicht“, stellt Bachmann fest, „dass wir uns diesen Zustand auf Dauer wünschen. Krisen haben auch eine befruchtende Kraft. Aber das ist kein Dauerzustand. Und Köln hat genügend beständige Provisorien.“

Ein Wunder von Köln

Wir ziehen vorbei an der Hohe Straße („der totale Horror“), die Schildergasse entlang, biegen in die Herzogstraße ein.

Damit er überhaupt planen kann, hat sich der Intendant auf drei weitere Spielzeiten in Mülheim eingerichtet. „Wenn ich immer nur auf den nächsten Bescheid warte, drehe ich durch.“ In seinem Vertrag hat er sich drei Spielzeiten im sanierten Haus garantieren lassen. Schließlich habe man ihn mit der Aussicht auf den neu eröffneten Offenbachplatz nach Köln gelockt.

Dass ihm die Klausel nun als spitzbübisch ausgelegt wird, dass man scherzt, nicht nur die Baustelle, auch Bachmann bleibe Köln auf ewig erhalten, ärgert ihn maßlos: „Meine Qualität besteht nicht darin, mich auf diesem Sessel zu halten. Die Energie soll woanders hinfließen. Es geht um das Gestalten, und wenn das nicht mehr möglich ist, dann muss man woanders hin.“ Selbst, wenn das ander Ufer unerfüllte Sehnsucht bliebe.

„Ein Wunder“: Stefan Bachmann vor dem Kolumba-Museum.

Aber auch in Köln geschehen ab und an Wunder. Vor einem solchen bleiben wir nun stehen. Peter Zumthors Kolumba-Museum ist eine der Schönheiten, die Köln auf den zweiten Blick bereithält. „Was mich daran so berührt, ist, wie hier die Zerstörung nicht verborgen, sondern im Gegenteil noch beschützt wird. Ein geschützter Ort, an dem man eine Kirche besichtigen kann, die zerstört wurde.“ Der Intendant gerät ins Schwärmen, über den kölntypischen Klinker, den der Architekt an der Außenwand zitiert, über den „fast schon sexistischen“ Materialfetischismus, der im Innenleben des Erzbistums-Museum seinen Zauber entwickelt.

Und dann fängt Stefan Bachmann an zu träumen. Wie es wäre, wenn man die Tunisstraße mit ihrem brüllenden Autoverkehr in den Untergrund verlegen könnte. Wie dann mitten in der Stadt ein wunderschönes kulturelles Zentrum entstünde, wie man vom Dom über den WDR und das Museum für Angewandte Kunst zum Kolumba flanieren könnte und von dort zum Offenbachplatz. Eine Insel der Kultiviertheit und Ruhe in der Stadt, aber eine voller Leben.

Eigentlich, seufzt der Intendant, ist ja alles da. Er schaut über die Tunisstraße zur Oper. „Toll, dass man da jetzt wieder den rohen Beton sieht. So war es geplant, der Entwurf von Wilhelm Riphahn war viel kräftiger und mutiger, als viele das Gebäude lange Zeit erlebt haben. Das hat mich wahnsinnig für das Sanierungskonzept eingenommen, dass eine Architektur, die in einer besonderen Situation, in diesem zerstörten Köln, stattgefunden hat, wieder zu ihrer ursprünglichen Wirkung zurückführt.“

Kein Wunder, dass es den Intendanten zum Offenbachplatz drängt. Dass er die Baustelle für eine kurze Zeit aufheben und hier wieder spielen will. Den Kölnern zeigen will, wie im scheinbaren Stillstand schon das Leben gärt. „Das ist ein tolles Projekt“, sagt Bachmann, als wir die Baustelle betreten, Helme und Schutzwesten anlegen. „Und wir tun viel zu wenig dafür, das Positive dieses Projektes wieder herauszustreichen.“