Am Rathenauplatz kauft eine Immobiliengesellschaft ein Haus und will damit Geld verdienen. Mieter wehren sich und begehren auf.
Beispiel Rathenauplatz„Betongold versilbern“ – Kölner Mieter wehren sich gegen Rauswurf
Thomas Bönig und seine Partnerin leben in einem seltenen Kölner Wohnungstraum: ein Altbau am Rathenauplatz mit ausgebautem Dachboden, 105 Quadratmeter, dazu ein riesiges zur Dachterrasse ausgebautes Flachdach mit Grill, Sitzecke und dschungelartigen Pflanzen – das Ganze zu sehr moderater Miete. Mit diesem Kleinod mitten in der Stadt, in dem Bönig seit 14 Jahren lebt, könnte es bald vorbei sein.
„Nach dem Tod der Eigentümerin und der Übernahme durch ein Immobilienunternehmen soll das Haus mit allen Mitteln entmietet werden“, sagt der Mieter. Er wehrt sich dagegen vehement. Wer den Kürzeren zieht? Noch ist das offen. Mit Thomas Bönig ist die Immobiliengesellschaft Global Act, die das Haus im Herbst 2023 gekauft hat, auf einen Mieter gestoßen, der seine Wohnung verteidigt wie ein gallisches Dorf.
Ganze Häuserblocks werden von Investoren gekauft
Die Geschichte handelt von der Übernahme eines Hauses durch ein Unternehmen, vom Versuch, alteingesessene Mieter – darunter einen alten Mann, der Flaschen sammelt, um seine Rente aufzubessern und einen Mann mit besonderem Pflegebedarf – vom Auszug zu überzeugen, sie handelt von Mieterhöhungen, Baulärm, Winkelzügen und Widerstand.
Köln geht es nicht anders als anderen Großstädten: Filetstücke und ganze Häuserblocks wurden in den vergangenen Jahren von Investoren gekauft, luxussaniert, zu stark erhöhten Preisen weitervermietet oder verkauft. Ein erster Schritt ist in vielen Fällen die Ankündigung von Modernisierungen, die auf die Mieter umgelegt werden. Das ist am Rathenauplatz 33 schon geschehen: Der neue Eigentümer erneuert für 1,5 Millionen Euro die Fassadenverkleidung – 150 Euro mehr Miete zahle er dafür, sagt Thomas Bönig. Eine zweite Mieterhöhung habe es über die Nebenkosten gegeben.
Die Immobilie habe sich bei der Übernahme „in einem desolaten Zustand befunden“, teilt Global Act auf Anfrage mit. Seit dem Bau des Gebäudes im Jahr 1951 seien „offensichtlich so gut wie keine Erhaltungsmaßnahmen durch die Voreigentümerin erfolgt“. Vor allem der Brandschutz sei unzureichend gewesen, Decken seien einsturzgefährdet, Haustechnik und Energetik veraltet, teilt ein Sprecher des Unternehmens mit. Die Fassadendämmung diene vor allem dem Ziel, zu einem „nachhaltigen Klimaschutz beizutragen“. Aus diesem Grund werde auch das Dach erneuert und energieeffiziente Heizungen installiert.
Der Architekt ruft mit unterdrückter Nummer an
Ende November 2023 erhält Bönig ein Schreiben: Der Dachdecker müsse dringend auf die Dachterrasse, binnen einer Woche müsse das Flachdach frei von Gegenständen sein. Andernfalls werde man die Terrasse kostenpflichtig räumen lassen. Bönig nimmt sich einen Anwalt und legt Widerspruch ein – mit Erfolg. Wenige Tage später sei das Schloss des Dachgartens ausgetauscht worden – ohne Ankündigung. Bönig lässt das Schloss erneut austauschen. „Danach habe ich nichts mehr zum Thema Dachgarten gehört.“
Er habe sich zu der Zeit nach einer schweren Erkrankung in Reha befunden, erinnert sich Bönig: Der Architekt der Immobiliengesellschaft habe ihn über Telefon, Whatsapp und Mail mit Terminwünschen belästigt. Er habe dann seine Vorgeschichte und seinen Gesundheitszustand geschildert, um postalische Terminabsprachen und die Einhaltung von Fristen gebeten. Am nächsten Tag habe der Architekt mit unterdrückter Nummer angerufen. Längst kommuniziert Thomas Bönig nur noch über Anwälte mit dem Unternehmen. Er ist gegen die Fassadensanierung vorgegangen, die aus seiner Sicht nicht notwendig wäre und seine Gesundheit stark gefährde, er kritisiert Ruhestörung und Vermüllung durch die Sanierungsmaßnahmen.
Die Sanierungen seien „unvermeidbar mit Beeinträchtigungen verbunden“, teilt Global Act mit. Bis das Haus in einem modernen Zustand sei, „braucht es naturgemäß Geduld und Verständnis“. Die sind bei Thomas Bönig schon lange aufgebraucht. So sei vor vier Wochen sein Gas abgestellt worden – der Mitarbeiter des Unternehmens, der seinem Anwalt angekündigt habe, dass die Heizung repariert werde, sei „für vier Wochen nicht erreichbar“ gewesen. Der Mieter spricht davon, dass die Heizung nicht mehr zugelassen sei und ausgetauscht werden müsse – Global Act bestreitet das in einem Schriftverkehr und spricht von einer falschen Aussage.
Im 4. Stock des Hauses lebt Hanne Huxoll, seit 21 Jahren. Sie habe in all den Jahren von der freundlichen Eigentümerin des Hauses keine Mieterhöhung bekommen, die Nebenkosten seien „sehr moderat“ gewesen. Der neue Eigentümer habe schon Zugang zur Wohnung gewollt, bevor das Unternehmen überhaupt offiziell Besitzer war – nämlich schon im Oktober 2023. „Ich war verärgert und wollte das nicht gestatten.“
Sie habe eine Mängelliste für die Wohnung erstellt: Die Heizung funktioniere nicht gut, die Fenster seien alt und isolierten schlecht. Rückmeldung bekommen habe sie nicht. Wenn sie anrufe, melde sich meistens eine Mitarbeiterin, die sage, sie leite ihr Anliegen aber weiter. Behoben würden die Mängel nicht. „Ich habe seit der Übernahme des Hauses das Gefühl, nicht mehr erwünscht zu sein, das ist ziemlich eklig“, sagt Huxoll. Bei dem ersten Gespräch, dass sie mit einem Vertreter der Immobiliengesellschaft führte, habe dieser als Erstes gefragt: „Auf der Dachterrasse gibt es sicher häufig Partys, oder?“ Da habe sie gemerkt, „dass nur Gründe gesucht werden, Mieter rauszubekommen“.
Global Act antwortet auf den Vorhalt von Mietern, nur schwer oder gar nicht erreichbar zu sein, dies „nicht nachvollziehen zu können“. „Für etwaige Verzögerungen von Rückmeldungen, so diese denn zum Beispiel in Ausnahmefällen krankheitsbedingt vorgekommen sein sollten, bitten wir um Nachsicht.“
Hans Jörg Depel vom Kölner Mieterverein kennt den Fall aus der Rathenaustraße und hält ihn für eine „leider übliche Methode, um Betongold zu versilbern“. Die Methoden seien meist die gleichen: „Die juristischen Möglichkeiten, die Miete zu erhöhen und sonstige rechtliche Möglichkeiten werden ausgereizt, um die noch vorhandenen Mieter mürbe zu machen und so zu einem Auszug zu bewegen, ohne dass es überhaupt einer Kündigung bedarf, die meist in derartigen Fällen eben nicht möglich ist.“ Dazu gehöre auch, Mängel nur schleppend zu beseitigen oder schwer erreichbar zu sein. „Das hat alles ein Geschmäckle.“
Mietern rät Depel, im Falle von Mängeln auch von der Möglichkeit der Mietminderung Gebrauch zu machen. Sollten dann die Mängel immer noch nicht beseitigt werden, könnte man – nach entsprechender Fristsetzung – auch eine Mängelbeseitigungsklage einreichen. „Mieterhöhungen und Modernisierungsankündigungen sollten juristisch geprüft werden. Insbesondere bei Modernisierungsmieterhöhungen stellen wir oft fest, dass in diesen noch Instandsetzungskosten mit umgelegt werden, die dort nicht auftauchen dürfen.“ Die Immobiliengesellschaft im beschriebenen Fall nennt Depel „eher raubeinig“.
Freundlich geht man auf beiden Seiten nicht miteinander um. Thomas Bönig berichtet von einem Künstler, der eine Vogelscheuche mit dem Konterfei des Eigentümers gebastelt habe, Zettel, auf denen die Immobiliengesellschaft darauf hingewiesen werde, was sie alles nicht dürfe: Bäume beschädigen zum Beispiel oder Baucontainer ohne Abdeckung aufstellen.
Der Lebensstandard von Tausenden Kölnerinnen und Kölnern sei durch Immobilienkonzerne und ähnlich gelagerte Fälle gefährdet, sagt Thomas Bönig, der ein Buch über den Kölner Kulturklüngel geschrieben hat. „Wenn ich etwas Neues suchen müsste, könnte ich eine kleine Wohnung in Kalk oder Mülheim finden, aber sicher keine Dachgeschosswohnung in der Innenstadt – und warum sollte ich als Mensch mit keinem besonders hohen Einkommen nicht die Möglichkeit dazu haben?“
Manchmal frage er sich, ob er sich den Stress weiter antun wolle. Thomas Bönig ist vor einigen Jahren schwer erkrankt – samt Rehabilitationsaufenthalten und langsamer Rückkehr ins Arbeitsleben als Soloselbständiger. „Aber ich lasse mich nicht einfach verjagen von Menschen, denen es nur ums Geld geht.“
Die gelernte Journalistin Huxoll ärgert sich neben dem Umgang auch darüber, dass „jedes Schreiben der Immobiliengesellschaft fehlerhaft“ sei. Modernisierungen wie der Austausch der Eingangstür würden angekündigt, wenn „der Wechsel schon längst vollzogen wurde“. Auf den einschlägigen Immobilienseiten im Netz wirbt der Eigentümer damit, dass das Haus bis Ende 2024 komplett saniert sein soll. Momentan zeichnen sich auf Wänden im Treppenhaus Schimmelsporen ab, der Wasserdruck funktioniere nicht gut, sagen Mieter. Einzug noch in diesem Jahr? Zutreffend sei, dass „leerstehende Wohnungen parallel zu anderen Baumaßnahmen derzeit komplett modernisiert und von uns frühzeitig vermarktet werden“, teilt Global Act dazu mit.
Dass Bönig, Huxoll und die anderen übrig gebliebenen Mieter nicht ausziehen müssen, dafür setzt sich auch die Bürgergemeinschaft Rathenauplatz ein. Sie hat lange für eine Erhaltungssatzung mit gedeckelten Mieten im Viertel gekämpft – vergeblich. „Wenn die Satzung gekommen wäre, hätte die Umwandlung in Eigentumswohnungen in diesem Haus gar nicht stattfinden können“, sagt Klaus Adrian von der Bürgergemeinschaft. „So haben wir schon in der Nachbarschaft erlebt, wie Menschen durch Luxussanierung und starke Mieterhöhungen ihre Existenzen verloren haben.“ In Köln gebe es zu wenige Milieuschutzsatzungen, um so etwas zu verhindern, stimmt Hans Jörg Depel zu. „Aktuell dürften es gerade mal drei sein. In München existieren mehr als 20, in Hamburg mehr als 40, in Berlin mehr als 60.“
Thomas Bönig sagt: „Für meine Wohnung lässt sich nach einer Sanierung das Dreifache meiner Quadratmetermiete rausholen. Aber freiwillig werde ich hier nicht ausziehen.“