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VeedelsspaziergangWarum Deutz ein unterschätztes Viertel ist

Lesezeit 6 Minuten

Auf dem Rheinboulevard verweilt Peter Füssenich gern. Hier ist für ihn Köln als „Stadt am Fluss“ besonders erlebbar.

Deutz – Für solch einen umwerfenden Effekt ließen Herrscher einst Städte „aus dem Nichts“ entstehen – wie Sankt Petersburg. Sie schlugen Schneisen durch gewachsene Siedlungen – wie die Via della Conciliazione in Rom, die geradewegs vom Ufer des Tibers zum Petersdom führt. Oder sie leiteten – wie beim Kölner Dom – den Schienenverkehr so, dass die Züge über den Rhein direkt auf die Kathedrale zurollen und erst im letzten Moment zum Hauptbahnhof hin abknicken.

Demonstrationen politischer Größe mit Hilfe des Städtebaus

Peter Füssenich ist kein Mächtiger wie Zar Peter I., Italiens „Duce“ Benito Mussolini oder der deutsche Kaiser Wilhelm II. Trotzdem ist die Kölner Kathedrale sein Dom – Peters Dom – und die Hohenzollernbrücke Peters persönliche Prachtmeile.

Seit Anfang 2016 ist der 45-Jährige als Dombaumeister verantwortlich für den Erhalt des wichtigsten Architekturdenkmals in Deutschland – und in Köln allemal. Jedes Jahr kommen sechs Millionen Menschen aus aller Welt, um Füssenichs Arbeitsplatz zu besichtigen.

Ein unterschätztes Viertel

Er selbst steigt morgens aufs Rad und überquert kurz den Rhein, die Domtürme und den Ostchor mit seinem Wald aus Strebepfeilern und -bögen immer vor Augen. Luftlinie: ein guter Kilometer. „Wenn’s drauf ankommt, schaffe ich’s in fünf Minuten.“

Eine Nähe ist das, für die er im Linksrheinischen lange hätte suchen müssen, sagt der bekennende Deutzer. Gleichzeitig schafft der mächtige Strom für ihn „die perfekte Grenze zwischen Arbeit und Privatleben“.

Besser in Deutz wohnen und auf Köln schauen, als umgekehrt. Dieses Wort des Dichters Victor Hugo zitiert Füssenich gern und mit ironischem Unterton. Schließlich lebt er seit bald 25 Jahren auf der „schäl Sick“, erst als Student in Gremberg und dann immer näher ran an sein heutiges Veedel. „Deutz wird immer noch unterschätzt“, sagt er.

Sowohl von der Lebensqualität als auch vom Erscheinungsbild her sei Hugos Bonmot aus dem 19. Jahrhundert längst überholt. „Ich kann hier alles fußläufig oder mit dem Fahrrad erreichen. Ein Auto brauche ich nicht.“

Mit dem Rad über die Hohenzollernbrücke.

Auf dem Rheinboulevard und im neuentstehenden Wohngebiet Deutzer Hafen werde Köln als „Stadt am Fluss“ erlebbar wie sonst kaum irgendwo. „Das wird eines der fantastischsten Viertel Kölns werden“, freut sich Füssenich. „Ich finde es wichtig, dass wir die Stadt wieder an den Rhein zurückbringen. In vielen linksrheinischen Vierteln ist »Köln am Rhein« doch bloß eine Ortsangabe, aber kein Lebensgefühl.“

Das jüngste Brauhaus Kölns im Bahnhof

Bei gutem Wetter biegt er auf dem Nachhauseweg am Ende der Hohenzollernbrücke gern einmal scharf rechts ab und genießt auf den Stufen des Rheinboulevards die Sonne. Schon als Student hat Füssenich hier mit Kommilitonen im Rahmen der „Plan 2000“ eine Sitzgruppe ans Rheinufer gestellt. „Das Event-Potenzial dieses Ortes als große Bühne war immer klar – zum Glück hat man es jetzt für die Öffentlichkeit erschlossen.“

Auf der Weiterfahrt passiert Füssenich das LVR-Hochhaus, dessen Bau den Dom beinahe den Status als Weltkulturerbe gekostet hätte. „Wir haben seinerzeit als Studenten an die Stadt geschrieben, um diesen städtebaulichen Missgriff zu verhindern. Ich habe es sofort verstanden, dass die Unesco den Dom wegen des Hochhausbaus auf die »Rote Liste« der gefährdeten Denkmäler gesetzt hat.“

Der Umgebungsschutz für den Dom strahle über den Rhein hinweg aus und müsse darum auch im Rechtsrheinischen gelten. „Die Stadt Köln hat deshalb gut daran getan, das Hochhauskonzept für die Deutzer Seite noch einmal zu überdenken“, findet Füssenich. „Beim Neubau des LVR-Gebäudes werden wir als Verantwortliche für den Dom sehr genau hinschauen, was da passieren soll.“

Aber eigentlich habe der Landschaftsverband Rheinland „immer ein gutes Gespür für Architektur und Städtebau gehabt“. Mit dem 100-Meter-Turm des LVR hat Füssenich längst seinen Frieden gemacht. „Mit Gästen fahre ich oft hoch auf die Aussichtsplattform.“

Ein Kölsch mit Service-Chef Christ im „Deutzer Brauhaus“.

Unten am Boden hat Füssenich im linken Flügel des Deutzer Bahnhofs das jüngste Brauhaus Kölns ausgemacht. „Ich habe drinnen Licht gesehen und bin neugierig geworden.“ Das Lokal, das im Inneren mit Koffern und Uhren das Thema „Bahnhof“ variiert, habe gute Chancen, sein Lieblingsbrauhaus zu werden.

Als Füssenich es zeigen will, spricht ihn gleich der Service-Chef an, jovial und hochgeschäftig, mit obligatem In-Ohr-Kopfhörer und Freisprech-Mikrofon für den Kontakt zum Personal. „Wer waren Sie doch gleich? – Der Bürger-, ach nein, richtig, der Dombaumeister, ein Hörfehler, sorry!“ Sein Name sei Christ. „Wie Christkind.“ Und ach ja, er habe „vor Ewigkeiten“ auch mal Steinmetz gelernt. „Aber nicht zu Ende gemacht. War trotzdem eine schöne Zeit!“ Darauf ein Kölsch!

Einen „Starka“ bei Sylvia Becker im „Hotelux“.

Von „meinem neuen gastronomischen Hotspot“ geht es weiter in Füssenichs Lieblingslokal am Von-Sandt-Platz, nur ein paar Meter von seiner Wohnung entfernt. Kennern der Kölner Bar-Szene ist das „Hotelux“ ein Begriff. Vom ursprünglichen Standort am Rathenauplatz vertrieben, ist der damalige Pächter mit seinem „Sovietlokal“ vor 16 Jahren im Rechtsrheinischen gelandet und dort hängengeblieben.

„Ich kannte das »Hotelux« schon an alter Stelle und war ganz froh, als es hier rüber zog. Das hat man ja auch nicht alle Tage, dass eine Kneipe zu ihren Gästen kommt und nicht umgekehrt.“ Alles im „Hotelux“ ist sehr rot, sehr plüschig und sehr nostalgisch. Die Panzerkreuzer-Potemkin-Malerei an der Wand, Lenin in Gold und eine alte Schankanlage aus Messing bestimmen das Interieur, laut Eigenwerbung „russischer Jugendstil und sowjetische Avantgarde“.

Ost und West vermischen sich

Der Wodka wird in diversen Qualitäts- und Preisstufen ausgeschenkt. „Der leckerste, finde ich, ist der »Starka«“, sagt Füssenich. „In Brandy-Fässern gelagert, dadurch bekommt er eine ganz leichte, milde Branntwein-Note“, ergänzt Wirtin Sylvia Becker, zu der Füssenich ein – wie er sagt – „herzliches Verhältnis“ pflegt.

Was sich auch darin äußert, dass sie ihn immer wieder mal etwas probieren lässt. Dunkles russisches Starkbier zum Beispiel. Wie die Coca-Cola vom Klassenfeind schmeckt, das weiß Füssenich auch so. „Hier vermischen sich Ost und West. Das ist für Deutz genau das Richtige.“

Katholizismus und Kommunismus. Wie selbstverständlich der Mann vom Dom, diesem Stein gewordenen Glaubenszeugnis, eintaucht in die untergegangene Welt einer ganz andersartigen Religion – auch das hat Charme. Kölner Charme. Darauf noch einen „Starka“! Mit Essiggurke hinterher, wie sich das gehört.

Auf der alten Drehbrücke im Deutzer Hafen.

Der Rundgang zu Füssenichs Deutzer Lieblingsplätzen führt weiter zur alten Drehbrücke im Deutzer Hafen. „Die liegt auf meiner Joggingstrecke.“ Und sie ist eine der schönen Technik-Denkmäler, die Köln zu bieten hat. Die Nietenkonstruktion mit 31 Metern Spannweite und zehn Metern Breite vom Anfang des 20. Jahrhunderts ist original erhalten, das Steuerhäuschen aus Stahlblech oben auf der Brücke eingeschlossen. „Von ihm aus erfolgte die Drehung, die der Brücke den Namen gab, und dank derer die Schiffe freie Passage in den Hafen hatten“, erklärt der Dombaumeister.

Der Streifzug durch seine kleine Deutzer Welt endet am Jüdischen Friedhof. „Ein Ort, den selbst viele Deutzer nicht kennen, weil er nur beschränkt zugänglich ist, der mir aber besonders am Herzen liegt.“ Geschichte manifestiere sich eben nicht nur in den städtebaulichen „Leuchttürmen“, die im Fall des Doms als Zwillinge daherkommen. Auch die unscheinbaren Denkmäler „verdienen Aufmerksamkeit, Pflege und Engagement“, sagt Füssenich. „Wir müssen aufpassen, dass uns solche Orte nicht verloren gehen. Die Stadt lebt davon, dass die Bürger sie zu ihren erklären und davon erzählen.“