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Kölner Kaffeerösterei„Van Dyck bei Amazon – dann wäre es aus“

Lesezeit 9 Minuten
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Monika Linden und Martin Keß haben 2010 gemeinsam die Kaffeerösterei „Van Dyck“ gegründet.

  1. Martin Keß hat 1994 mit zwei Partnern in Köln die TV-Firma Brainpool gegründet und Shows wie „Die Harald Schmidt Show“ und „Schlag den Raab“ produziert.
  2. Nach seinem Ausstieg aus der Medienbranche widmete sich der mit Bestseller-Autorin Charlotte Roche verheiratete Keß gemeinsam mit Monika Linden dem Aufbau der Kaffeerösterei „Van Dyck“.
  3. Im Interview erzählen die beiden, was das Geheimnis eines perfekten Kaffees ist – und warum Amazon auf der Roten Liste steht.
  4. Eine Best-of-Geschichte.

Köln – Zum vereinbarten Interviewzeitpunkt sitzt Martin Keß an einem Tisch seines Cafés in der Schanzenstraße in Mülheim über einem Stapel Papier und schimpft auf Abmahn-Agenturen. Keß und seine Geschäftspartnerin Monika Linden haben Post bekommen. Eine findige Kanzlei behauptet, sie habe einen rechtlichen Fehler auf der Van-Dyck-Homepage entdeckt. Es ist nur eine Marginalie. Aber die Anwälte fordern nun Abmahnkosten und eine Unterlassung – eine so grassierende wie umstrittene Geschäftspraxis, wenn auch nicht illegal. „Moderne Wegelagerei ist das“, sagt Martin Keß. „Dass sowas überhaupt erlaubt ist.“

Was ist denn schlimmer, Herr Keß? Abmahnagenturen oder eine Tasse Kaffee von Starbucks?

Martin Keß: Abmahnagenturen, ganz klar. Wenn man über Kaffeekultur spricht, muss man fairerweise auch sagen: Starbucks hat in Deutschland bestimmte Standards durchgesetzt – das Siebträgermaschinen-System, Espresso-Shots, doppelte Espresso-Shots, die vielen verschiedenen Kaffeesorten. Das hat es vorher in dem Maßstab alles nicht gegeben. Ich muss ja nicht gleich Karamellsirup in meinen Kaffee schmeißen, wenn ich da hingehe.

Abmahn-Agenturen oder Kaffee aus Kapseln?

Keß: Das ist etwas anderes. Ich glaube, dass jede Abmahn-Agentur einen Kapsel-Automaten im Büro hat. Die kommen gleich zweimal in die Hölle: fürs Abmahnen und für die Kapseln.

Was ist so schlimm an Kapsel-Kaffee?

Keß: Die Qualität ist letztlich Geschmackssache, darüber möchte ich gar nicht urteilen. Aber der Umweltaspekt ist objektiv. Und dass der Kaffee im Kilopreis bis zu 80 Euro kostet, ist auch objektiv. Das ist er in keinem Fall wert.

Monika Linden: Was mich daran frustriert, sind die Kunden, auch in meinem Freundeskreis. Einerseits nehmen sie Beutel mit in den Supermarkt, um das lose Obst einzupacken. Andererseits trinken Sie Kaffee aus Kapseln. Bio und Fair Trade auf der einen Seite, aber dann Kapseln verwenden – das ist für mich wie ein Stempel für Unglaubwürdigkeit.

Keß: Es gibt ja zwei Gründe für den Erfolg: die Bequemlichkeit – ich habe standardisiert in schnellem Tempo Kaffee oder Espresso, ohne dass irgendwas groß schmutzig geworden ist. Das ist gnadenlos gut. Und zweitens das Marketing. Es ist genial von Nespresso, sich als Testimonial George Clooney zu holen, der auf der ganzen Welt für das Gute kämpft.

Best-Of-Artikel

Dieser Artikel ist im Januar 2018 im „Kölner Stadt-Anzeiger” erschienen. Im Rahmen unserer „Best Of”-Reihe veröffentlichen wir regelmäßig interessante Texte aus unserem Archiv.

Wer wäre das ideale Werbegesicht für Van Dyck Kaffee?

Keß: Monika Linden.

Linden: Ich?

Keß: Auf jeden Fall. Ich kenne Moni seit über 30 Jahren. Seit 27 betreibt sie das Café Sehnsucht in Ehrenfeld, und da hat sie immer vorbildlich und glaubwürdig genau das umgesetzt, was wir auch mit Van Dyck versuchen: nicht nur hohe Qualität anzubieten, das ist Voraussetzung. Sondern auch andere Sachen, die dahinter stehen: Regionalität, Nachhaltigkeit, Bioanbau, faire Bedingungen für die Produzenten.

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KSTA-Redakteur Tim Stinauer im Gespräch mit Monika Linden und Martin Keß 

Frau Linden, was hat sich in den vergangenen 27 Jahren in der Kaffeekultur in Köln verändert?

Linden: Ich muss ganz offen sagen: Was früher all die Jahre in der Gastronomie in Köln lief, hat nichts mit einem sehr guten Kaffee zu tun – auch wenn er Bio war. Die Maschinen waren zum Beispiel auf fünf Gramm Kaffeepulver pro Tasse eingestellt. Das schmeckte gar nicht.

Keß: Viel zu wenig. Neun sollten es sein.

Linden: Und statt Milch wurde einfach dieser Bauschaum oben draufgemacht.

Keß: Wupp – wie ein Schlag Fertigsahne.

Heute gibt es „Latte Art“ – Palmenblätter und Herzchen auf dem Cappuccinoschaum. Braucht man diesen Schnickschnack? Reicht nicht einfach guter Kaffee mit Milch?

Linden: Also, ich finde Latte Art etwas Tolles. Wenn die Milch eine gute Qualität hat, schön kalt ist, und wenn man die in einer gewissen Art aufschäumt, dann ist sie fast glänzend. Man kann beim Gießen mit der Milch unter den Kaffee kommen. Und wenn man das hochzieht in einer bestimmten Art und Weise, dann gibt es diese Muster.

Keß: Der Espresso wird dabei automatisch mit der Milch vermischt.

Also kein Schnickschnack, sondern ein Qualitätsmerkmal?

Linden: Ja. Wer in der Lage ist, die Milch so aufzuschäumen, der wird wahrscheinlich auch einen sehr guten Kaffee machen.

Abgesehen davon – woran erkenne ich sonst noch ein gutes Café?

Keß: Wenn Milchschmandreste an der Lanze, also der Aufschäumdüse der Siebträgermaschine, kleben, dann weiß man schon mal: Die arbeiten nicht sauber. Ein zweiter Punkt: Wenn die Siebe nicht im Brühkopf stecken, sondern daneben liegen, kann ich auch gleich wieder gehen. Das ist einfache Physik: Das Metall ist kalt, und wenn ich den Kaffee da reinmahle, das kalte Metall einspanne und das heiße Wasser durchlaufen lasse, kühlt das Wasser komplett ab. So kriege ich nicht den gewünschten Effekt, den ich in der Extrahierung haben soll.

Linden: Das Sieb sollte auch nach jedem Kaffee ausgeschlagen, gereinigt und getrocknet werden.

Können Sie beide überhaupt noch entspannt in einem Café sitzen?

Keß: Wenn ich einen Kaffee bestelle, zähle ich automatisch die Sekunden, die der Espresso durch die Siebträgermaschine läuft. Das geht gar nicht anders, das ist bei mir programmiert. Ich höre, dass die Maschine startet und dann zähle ich. Und wenn der Espresso nach zwölf statt nach 25 Sekunden durch ist, verabschiede ich mich davon.

Sie geben den Espresso zurück?

Keß: Nein. So wichtig möchte ich das nicht nehmen. Ich versuche, die Nase zu zu machen und trinke den. Das halte ich dann aus.

Wie bereiten Sie Ihren Espresso zu Hause zu?

Keß: Mit der klassischen Herdkanne.

Linden: Mit der Siebträgermaschine. Meine hat ein relativ lautes Relais. Wenn das Wasser heiß ist, klackt es. Manchmal hören das meine Nachbarn. Die klopfen dann an und fragen: Moni, hast du die Maschine an? Machst du mir einen Kaffee? Die wissen, dass ich das total gerne mache, und sie sagen: Du kriegst im ganzen Viertel nicht so einen leckeren Kaffee wie bei der Moni zu Hause.

Keß: Du solltest ein Café aufmachen.

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Die Kaffeerösterei in den Schanzenstraße

Wie unterscheiden sich Bohnen und Röstung bei Van Dyck von den Bohnen großer Industrieröster?

Keß: In der Industrie wird schneller geröstet, heißer und alles auf Gardemaß. Wir rösten langsam, niedrige Temperaturen, alle Rohkaffee-Sorten getrennt voneinander. Und dann erst wird daraus eine Espressomischung hergestellt.

Linden: Auf den großen Plantagen werden die Bohnen alle mit der Maschine abgerissen. Da geht es nur um Masse. Unser Kaffee ist handgepflückt und wird dann nach Größe sortiert. Das ist wichtig. Wenn Sie zum Beispiel einen großen und einen kleinen Braten zusammen in den Ofen schieben, ist ja auch der kleine früher fertig. Bei uns kommt schon der Rohkaffee in hoher Qualität an. Wie unser Röst-hersteller mal sagte: Schon der Rohkaffee hat Goldqualität.

Keß: Der hat gesagt: Den könnte auch ein Affe rösten. Aber das ist schon lange her.

Unterscheiden sich die Röster-Szenen in Deutschland von Stadt zu Stadt? Schmeckt Kaffee in Köln anders als in Berlin?

Keß: Aus den Läden in Berlin gehe ich rückwärts wieder raus.

Warum?

Keß: Weil die fundamental anders rösten. Viel kürzer, viel heller. Das ist diese große neue Mode der Fruchtigkeit. Das muss man mögen. Mir ist das zu sauer.

Wie schmeckt der Kaffee in Köln?

Keß: Ich finde, das passt dazu, wie Köln insgesamt ist: Köln ist nicht immer vorne weg, Köln hat eine gewisse Gemütlichkeit und ist auch ein Dorf – im Vergleich zu einer echten Metropole wie Berlin. Ich bin gerne hier, aber ich glaube, da trete ich keinem Kölner auf den Schlips, wenn ich das sage. Hier kommt etwas an, wenn es in Berlin schon ein alter Hut ist. So ist das in der Kaffeeszene fast auch. Es gibt zwar auch hippe Kollegen hier, die jetzt sagen würden: Bei euch ist das vielleicht so, bei uns nicht. Aber insgesamt ist die Rösterszene in Köln noch eher dem traditionellen italienisch geprägtem Espresso- und Kaffeebild verbunden.

Linden: Das hätte ich jetzt so nicht gesagt. Ich kann das nicht direkt mit anderen Städten vergleichen.

Keß: Insgesamt ist die Kaffeeszene einfach so lebhaft, dass wir – obwohl es uns erst seit acht Jahren gibt – schon altmodische Traditionalisten sind.

Sie haben die Marke Van Dyck 2010 von Null aufgebaut und schnell etabliert. Wie haben Sie das gemacht?

Keß: Wir wollten von Anfang an zwei Sachen: eine Verpackung, die so aussieht, als wären wir schon richtige Player, also sozusagen: Umsatz Kreisklasse, aber Aussehen Champions League. Und wir wollten keinen hippen, modernen, lustigen deutschen Kaffee-Namen.

Wie kamen Sie auf Van Dyck?

Keß: Wir haben uns ins Internet vergraben, alles Mögliche über Kaffee und Espresso gelesen und sind bei Anthonis Van Dyck gelandet, einem flämischen Maler, der bis heute für das Van-Dyck-Braun bekannt ist. Es wird auch beschrieben als das Espresso-Braun und sogar als das Kölnische Braun, wegen der Braunkohle. Da dachten wir: Van Dyck klingt gut, altmodisch, wie ein altes Handelshaus.

Ihr größtes Markenzeichen ist vielleicht die mintgrüne Verpackung. Eine Reminiszenz an 4711?

Keß: Letztlich auch das, ja. Aber unser Designer Jörg Waschat, der die Idee zu der Farbe hatte, hat sich eigentlich auf das Kölner Brücken-Grün bezogen. Er hat aber auch alte Fliesen aus der Nachkriegszeit in Ehrenfeld gefunden, die hatten auch dieses Grün. Marketing und Design spielen natürlich eine große Rolle. Aber die Kunden sind auch nicht blöd. Wenn das, was wir versprechen, sich in unserer Tüte oder der Tasse nicht wiederfinden würde, würden sie auch nicht wiederkommen.

Zu den Personen

Monika Linden führte von 1992 bis 2018 das Café Sehnsucht in der Körnerstraße in Ehrenfeld. Jahrelang managte sie auch das Café im Bauturm an der Aachener Straße. 2010 gründete Linden mit Martin Keß die Kaffeerösterei Van Dyck in der Körnerstraße. Inzwischen gibt es ein weiteres Café in der Schanzenstraße in Mülheim.

Martin Keß hat 1994 mit zwei Partnern in Köln die TV-Firma Brainpool gegründet und Shows wie „Die Harald Schmidt Show“, „TV Total“ und „Schlag den Raab“ produziert. Nach seinem Ausstieg aus der Medienbranche widmete er sich dem Aufbau der Rösterei. Keß ist mit der Bestsellerautorin Charlotte Roche verheiratet.

Wie sind Sie als ehemaliger TV-Produzent von Brainpool eigentlich auf Kaffee gekommen?

Keß: Ich hatte meinen Fernsehberuf an den Nagel gehängt und viel Freizeit. Ich bin durch Köln geschlendert, oft in Cafés eingekehrt und habe viel gelitten an der damals noch durchweg schlechten Kaffeequalität. Und wenn einen was stört, muss man was ändern. Ich sagte mir: Die Moni weiß, wie man das macht. Und wenn die mitmacht, machen wir das zusammen.

Linden: Ich bin ja mehr so mit dem Tun beschäftigt. Martin ist sehr verhandlungssicher. Er bleibt auch cooler als ich, wenn mal etwas nicht so läuft. Ich rege mich schneller auf als er.

Keß: Ich rege mich über Abmahner auf.

Linden: Ich rege mich über Amazon auf.

Keß: Das stimmt. Deswegen gibt es unseren Kaffee auch nur über unseren eigenen Online-Shop – auch wenn Leute uns immer sagen, dass wir unseren Umsatz mit Amazon verzehnfachen würden. Ich habe das Gefühl, das wäre der einzige Deal-Breaker zwischen Moni und mir: Van Dyck bei Amazon – dann wäre es aus.

Linden: Dann wäre es aus.