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„Kölner Karneval seit 1823“Neues Buch von Monika Salchert ist „eine Zumutung“

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Das Buch "Kölner Karneval seit 1823" wird vorgestellt.

Köln – Dieses Buch ist eine Zumutung. „Das ist ja gar nicht fertig, da fehlt ja der Rücken“, sollen erste Reaktionen selbst bei erfahrenen Verlagsprofis im Hause Greven gewesen sein. Und in der Tat: Da, wo sonst ein beschrifteter Buchrücken den Titel erkennen lässt, auch wenn das gute Stück im Regal einsortiert ist, klafft eine offene Wunde, glänzt der Buchbinderkleister, durchzogen von roten Fäden, die Blutbahnen gleich auf den lebendigen Inhalt verweisen.

So schafft man einerseits, dass das Buch ob seiner Einmaligkeit auch im Regal sofort erkannt werden kann, andererseits schafft man ein Symbol für das, was drinsteht. Es ist eine Zumutung im besten Sinne, denn man muss mitmachen wollen, nur wer sich darauf einlässt, wird einen neuen Blick erfahren auf das große Ding, das Karneval heißt.

Neues Buch über Karneval mit Debatten und Selbstkritik

„Kölner Karneval seit 1823“ heißt das Werk von Monika Salchert ganz bescheiden, der Greven Verlag bewirbt es als „Kompendium“, Rote Funken-Präsident Heinz-Günther Hunold nennt es „Debattenbuch“. Herausgegeben haben es die Kölsche Funke Rut-wiess vun 1823 in Zusammenarbeit mit dem Festkomitee Kölner Karneval.

Anlass ist die Gründung beider vor 200 Jahren. „Der Narr, der der Gesellschaft den Spiegel vorhalten soll, braucht Debatten und Selbstkritik, ehe er über andere lacht“, sagt Hunold. Und Festkomitee-Präsident Christoph Kuckelkorn ergänzt, man wolle eine neue Energie in den Karneval bringen, denn „wir sind auf der Schwelle ins dritte Jahrhundert.“

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Monika Salchert hat ein sehr lesenswertes Buch geschrieben. Das Titelbild, ein Doppelporträt zweier kostümierter Männer, das um 1930 entstand, zeigt, obwohl schwarz-weiß, wie bunt Karneval sein kann, wie fröhlich, selbst-ironisch, eitel und divers.

Offenbar haben die Offiziellen erkannt, dass sie über den eigenen Tellerrand schauen müssen, bei allem Kommerz wieder närrischer, anarchischer werden müssen, um den Herausforderungen der Zeit, einer durchdigitalisierten, zunehmend singulären Gesellschaft, gerecht werden zu können. Das Buch soll ein Baustein sein, um die anstehenden Diskussionen führen zu können.

Der etwas andere Blick beginnt bei den Fotos, die nicht wie erwartbar Texte bebildern, sondern in zehn über das Buch verteilten Kapiteln jeweils eine eigene Position beziehen. Der Fotograf als Autor zeigt seinen Blick auf das jecke Geschehen, und verleiht dem Buch auch optisch Bandbreite und große Tiefe.

Schwarz-weißes Titelfoto zeigt, wie bunt Kölner Karneval ist

Etwa wenn zum (leichten) Einstieg Claudia Kroth Jecke in Kostüm oder Uniform porträtiert, bunte Bilder aus den Nullerjahren, denen ein Kapitel weiter historische Schwarz-Weiß-Aufnahmen August Sanders gegenüber gestellt werden. Das stärkste Foto hat es auf den Titel geschafft: Das Doppelporträt zweier kostümierter Männer, das um 1930 entstand, zeigt, obwohl schwarz-weiß, wie bunt Karneval sein kann, wie fröhlich, selbst-ironisch, eitel und divers.

Ganz anders der Ansatz von Boris Becker, der keine Menschen fotografiert, sondern Orden und andere Devotionalien in der Wohnung des Prinzengardisten Walter Filz dokumentiert. Ähnlich absurd wirken die sehr komplexen Fotos von Wolfgang Zurborn, der den Karneval als Theater des realen Lebens versteht – Menschen und Symbole unserer Zeit, eingefroren in engen Ausschnitten, die das, was man nicht sieht, umso sichtbarer machen.

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Arbeit von Wolfgang Zurborn, gesehen im Kölner Karneval.

Stark auch die reportagigen Fotos von Robert Lebeck und Heinz Held, die Kamellefänger-Serie von David Klammer sowie die Bilder des Benediktinermönchs Oswald Kettenberger, der die zügellose und ausschweifende Seite des Straßenkarnevals Ende der 1960er Jahre dokumentiert hat.

Ganz nah dran an der feiernden Gesellschaft dieser Zeit war auch Chargesheimer, während Nina Gschößl die Friedensdemonstration 2022 dokumentiert und damit die politische Rolle des Karnevals sichtbar macht.

Die von Monika Salchert, bekannt als Brauchtumsexpertin, Moderatorin, Kommentatorin des Rosenmontagszuges und Mitarbeiterin im Jecken Team des „Kölner Stadt-Anzeiger“, geschriebenen Inhalte sind keine Chronik, sondern der gelungene Versuch, den Karneval in seiner ganzen Komplexität, seiner historischen Dimension, seiner wirtschaftlichen und politischen Größe, seiner Herz- und Menschlichkeit, seiner Anarchie, seiner sozialen und integrierenden Kraft darzustellen.

Salchert blickt zurück, aber auch nach vorne, stellt die richtigen Fragen, aber auch Zustände infrage. Sie formuliert so, dass es auch ein Laie gut versteht, fordert auf zum Mitmachen, Einmischen, Mitgestalten.

Buch „Kölner Karneval seit 1823“ fordert den Leser

Sie bedauert den immer geringer werdenden Bezug der Fastnacht zur Fastenzeit, die zunehmende Verwässerung der Marke Karneval, ist meinungsstark und trotzdem voller Liebe für das Brauchtum. Es würde zu weit führen, hier mehr ins Detail zu gehen, aber dieses Buch ist unbedingt lesenswert.

„Monika Salchert erträumt sich ein Miteinander“, formulierte es Elfie Scho-Antwerpes, die das Buch bei einer Pressekonferenz vorstellte. „Kölner Karneval seit 1823“ ist eine Zumutung, weil es den Leser fordert. Aber ist es nicht genau das, was ein Buch zu einem guten Buch macht? Es lebe die Zumutung, es lebe der Karneval.

„Kölner Karneval seit 1823“, Greven Verlag Köln, 248 Seiten, 36,00 Eurogreven-verlag.de