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„Ist das verrückt oder ist das toll?“Eine Bayerin erzählt, wie sie den Kölner Karneval als Zugezogene erlebt

Lesezeit 4 Minuten
Mehrere Leute verkleidet als Lappenclown und mit Blumen in der Hand.

Im Jecken-Treiben hat es die Autorin auch mal krachen lassen.

Der kölsche Fastelovend ist für „Imis“ gewöhnungsbedürftig – eine humorvolle Betrachtung der Bräuche und Traditionen im Kölner Karneval.

Meine Schwester Irmi aus dem tiefen bayrischen Süden hat kürzlich angerufen und mir erzählt, dass sie die Krapfen, also die Berliner, für Faschingsdienstag schon bestellt hat. Ganz frisch müssen sie sein und unbedingt mit Hagebuttenmarmelade gefüllt. Das fröhliche Krapfenessen ist ein Muss am Höhepunkt des bayrischen Faschings, dem Veilchendienstag. Man lässt es krachen...

Dann ziehe ich 1991 in die „Stadt mit K“ und lerne den Karneval kennen. Das bunte Treiben, die Umzüge, das „Kumm loss mer fiere“-Gefühl. Ich bin verwirrt und hin- und hergerissen zwischen Begeisterung und ungläubigem Kopfschütteln. Als karnevalistisch unbeleckter bayrischer „Imi“ frage ich mich anfangs mehr als einmal: „Sind hier alle verrückt? Oder ist das alles toll?“

Das Schunkeln im Kölner Karneval

Da sind die Kneipen so rappelvoll, dass einem die Luft zum Atmen fehlt. Fremde haken sich ungefragt unter, man schwitzt und schunkelt, ob man will oder nicht. Zugegeben, die ausgelassene Laune ist ansteckend, die kölschen Lieder wirken antidepressiv. Und so trällere ich mit, auch wenn ich die Texte anfangs nicht verstehe – mittlerweile natürlich schon. Es ist ein Phänomen, dass die Jecken all die Lieder auswendig singen können. Ich bin beeindruckt. Die musikalische Aufforderung „Drink doch ene met“ und „alle Jläser huh“ wird allerdings ziemlich oft falsch verstanden und über die Maßen ernst genommen in Ballermann-Manier.

Ulrike Süsser mit pinker Perücke und Brille.

Der Kölner Lappenclown hält warm.

Der Kölner Lappenclown

Witzige Kostüme und aufwendige Maskeraden bestaune ich und dabei besonders den Lappenclown. Der hat in Köln Kultstatus und ist mit dem italienischen Harlekin verwandt. Aber wer trägt beim Feiern freiwillig so ein dickes Kostüm? Draußen in der Kälte hat der überaus bunte, figurfreundliche Sack freilich so seine Vorteile.

Der Kölsch-Glas-Halter

Praktisch finde ich den selbst gehäkelten Kölsch-Glas-Halter, der am Hals baumelt. Man hat sein umweltfreundliches Trink-Behältnis immer dabei und die Hände frei zum Klatschen. In Bayern ginge das mit dem Maßkrug eher schlecht.

Köln: Die Pappnasen

Ein zweifelhaftes Vergnügen ist dagegen der rote Ball auf der Nase, mit dem das Schnaufen so schwierig wird. Aber wird sind als Corona-Maskenträgerinnen und -träger geübt darin, mit wenig Luft auszukommen.

Die Kamelle bei den Zöch

Sie erweitern mein Bewusstsein und machen mir klar, dass ich nicht von den Jägern, sondern den Sammlern abstamme. Ich strecke und recke mich am Straßenrand, um haufenweise Kamelle und Strüssjer einzusacken. Und ich ärgere mich, wenn beim Ruf eines bestimmten Vornamens eine Pralinenschachtel angeflogen kommt und blöderweise beim Vampir hinter mir landet.

Das Dreigestirn aus Köln

Sehr zwiespältig ist anfangs meine Einstellung zum Dreigestirn. Wofür braucht man die drei Narren im Ornat? Mittlerweile kenne ich die nahezu „heilige“ Bedeutung von Prinz, Bauer und Jungfrau. Sie sollen nicht nur Hingucker, sondern auch werbewirksame Botschafter für kölsche Tradition und Frohsinn sein. Darüber könnte man nicht nur eine Doktorarbeit schreiben. Dabei könnte man sich dann auch mit der drängenden Frage beschäftigen, warum das Trio normalerweise nur aus Männern besteht – und überhaupt der organisierte Vereinskarneval größtenteils immer noch Männersache ist. Kaum zu glauben.

Das Wir-Gefühl im Kölner Veedel

Als langjährige Lokalreporterin lerne ich in puncto Karneval viel dazu und vor allem den Veedels-Karneval näher kennen. Und der verdient Respekt und Anerkennung. Monatelang bereiten Frauen, Männer und Kinder mit Herzblut ihre Sitzungen und Umzüge vor. Sie basteln, entwerfen und nähen Kostüme, studieren humorvolle Reden und Tanz-Einlagen ein. Das stärkt das Wir-Gefühl, den Zusammenhalt und die Gemeinschaft. Davon geht so viel Kraft aus, die auch nach außen getragen wird und den Karneval ehrlich und sozial macht.

Vier Frauen in Kostümen lachen in die Kamera.

In den Veedeln in Köln wird Karneval gefeiert.

Die Selbstverliebtheit der Kölner

Andererseits kann man in den Eingeweiden des Karnevals auch viel Eifersüchtelei, starre Machtgefüge, Engstirnigkeit und große Skepsis gegenüber Neuerungen erkennen. Zwei benachbarte Karnevalszüge zusammen legen? Nein, das geht natürlich nicht. Und die Selbstverliebtheit ist auch so eine Sache. „Viva Colonia“ kann bei Nicht-Kölschen mitunter den Fluchtinstinkt auslösen, so auch bei mir.

Köln: Die Einsicht

Ich bin dann mal weg über die tollen Tage – zum Beispiel beim Krapfen essen in Bayern. Dann kommt der „Imi“ wieder zurück mit der Einsicht, dass es ein überdurchschnittlich hohes Frohsinns-Empfinden braucht, um den Fastelovend in all seinen Facetten restlos genießen zu können. Daran arbeite ich noch. Aber mir als „Imi“ ist auch klar, dass der Kölner Karneval ein einmaliges Kulturgut ist, pflegebedürftig und schützenswert. Hin- und her gerissen bin ich also immer noch. In diesem Sinne: Kölle alaaf, Ruudekirche alaaf, Wieß alaaf!