Der neue Kölner Kripo-Chef Michael Esser spricht im Interview über den wachsenden Zulauf zur Klimaschutzbewegung, steigende Kriminalität in Köln und den Grund, warum mehr Beschäftigte als früher bei der Polizei kündigen.
Interview mit Kölner Kripo-ChefWarum die Straftaten der Klimaschützer zunehmen
Herr Esser, auf der Inneren Kanalstraße haben sich erst kürzlich wieder Demonstranten der „Letzten Generation“ festgeklebt, Anfang November wurden in der Südstadt an 15 Geländewagen Luft aus den Reifen gelassen, an den Scheiben hingen Flyer einer Klimaschutzgruppe. Stellen Sie fest, dass sich die Klimaschutz-Bewegung in Köln radikalisiert?
Michael Esser: Die einzelnen Straftaten nehmen schon zu. Anhänger der Klimaschutzbewegung haben im Kölner Umland auch schon eine Gasstation zugedreht, allerdings ohne Auswirkungen. Zuletzt gab es auch einen Fall, bei dem maskierte und bisher unbekannte Personen Fahrkartenautomaten an mindestens 15 S-Bahnhaltestellen in Köln mit Bauschaum unbrauchbar gemacht haben, als Protest gegen das aus ihrer Sicht zu teure 49-Euro-Ticket. Auffällig ist auch, dass im Rahmen der aktuellen politischen Diskussion über die Verwerflichkeit der Aktionen der Zulauf zu dieser Bewegung ansteigt.
Werden denn diese einzelnen Straftaten von einer bestimmten Person oder Gruppe organisiert? Oder fühlen sich ein paar Menschen dazu berufen und andere applaudieren?
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Im Fall der SUV-Reifen ist auf einer Internetseite dazu aufgerufen worden, mitsamt einer Anleitung, wie man das am schnellsten macht. Außerdem gab es den Flyer, der an den Windschutzscheiben klemmte, zum Download. Da könnte man sagen, dass da eine organisierte Struktur hintersteckt. Wer das ist, wissen wir noch nicht. Aber es ist nach unseren derzeitigen Erkenntnissen keine zentrale Organisation. Wahrscheinlich sind es ein paar wenige Drahtzieher, die über das Internet Mitläufer erreichen, die sich dann wiederum an solchen Aktionen beteiligen. Die Frage für uns ist, wann der Mitläufer auch selbst extremistisch eingestellt ist. Ich schließe nicht aus, dass sich so mancher womöglich noch nicht mal einer Straftat bewusst ist, wenn er Reifen aufsticht.
Bedenklich aus meiner Sicht ist immer wieder die Vermischung von ideologisch ausgerichteten Straftätern mit dem zumeist bürgerlichen Spektrum, das die durchweg positiv besetzten Ziele der Bewegung gutgläubig unterstützt. Dieser Trend setzt sich seit Beginn der Corona-Pandemie verstärkt fort. Thesen, wonach eine Steuerung solcher Aktionen aus dem Ausland erfolgt, sind derzeit nicht belegt.
Befürchten Sie, dass es im Winter wieder große Demonstrationen gibt, diesmal anlässlich der hohen Inflation, statt wie zu Beginn des Jahres gegen die Corona-Maßnahmen der Regierung?
Vor ein paar Monaten haben viele ja schon vor einem „heißen Herbst“ gewarnt, der dann zum Glück nicht eingetreten ist. Aber lassen Sie mal zwei Tage den Strom ausfallen, dann kann die Stimmungslage schnell kippen. Die Corona-Proteste, die Sie ansprechen, haben in Köln in der Spitze bis zu 3000 Menschen auf die Straße gebracht. Von denen sind bis heute ungefähr 350 Hartnäckige geblieben. Die haben jetzt das Thema Inflation für sich entdeckt und versuchen damit, auch wieder mehr Menschen aus dem bürgerlichen Spektrum hinter sich zu scharen.
Das sind zwar nicht alles Rechtsextreme und Reichsbürger, die die Existenz der Bundesrepublik nicht anerkennen. Aber es sind eben vielfach Verschwörungstheoretiker, die in ihrer Grundhaltung oft demokratiefeindlich eingestellt sind. Sie akzeptieren unsere Rechtsordnung nicht. Das bereitet uns schon Sorge, vor allem vor dem Hintergrund des ja fast europaweiten Rechtsrucks.
Wie viele Menschen in Köln stufen Sie denn als rechtsextrem ein, und welche Gefahr geht von ihnen aus?
Wir sprechen von 2000 Menschen, die wir zwar nicht alle kennen, aber diese Größenordnung lässt sich aus Erkenntnissen des Verfassungsschutzes und eigener Wahrnehmungen ableiten. Die Zahl ist schon beachtlich, und – wie bereits erwähnt - im Moment verstecken sich viele hinter einem bürgerlichen Mantel.
Zuletzt hieß es, die Gesamtzahl der extremistischen Straftaten in Köln sei rückläufig, aber die der Gewaltdelikte habe sich verdoppelt. Was sind das für Taten?
Das sind teilweise homophobe Gewalttaten, bei denen es die Täter auf die geschlechtliche Orientierung ihrer Opfer abgesehen haben. Wir fassen das unter rechtsextremer Gewalt zusammen, weil bisher bei uns noch nicht vorgekommen ist, dass queere Menschen von Tätern aus dem linken Spektrum angegangen wurden. Es gab außerdem einen antisemitischen Überfall, bei dem einem Mann auf den Ringen die Kippa geklaut wurde. In solchen Fällen haben die Täter Angehörige von Minderheiten körperlich verletzt.
Welche Entwicklungen in der Stadt bereiten Ihnen als neuem Kripo-Chef in Köln derzeit noch Sorgen?
Nach der Corona-Zeit ist das Leben wieder zurück und damit auch die Verbrecher. Wir erleben gerade enorme Steigerungsraten bei den Körperverletzungsdelikten, bei Taschendiebstählen und im Bereich Wohnungseinbruch. Das hat verschiedene Ursachen und ist nicht nur polizeilich zu erklären. Fakt ist, dass die Innenstadt wieder voller ist und dies auch vermehrt Straftäter anzieht. Aber auch Flüchtlinge strömen wieder vermehrt über die Balkanroute nach Deutschland, und mit ihnen kommen auch Einbrecherbanden hierher. Wir müssen als Polizei Köln insgesamt wieder einen Schwerpunkt auf die Massenkriminalität legen, auch personell. Und wir müssen das Thema Prävention weiter stärken, gerade im Bereich Einbruch, Vermögensdelikte und Gewaltdelikte.
Seit Corona hat sich auch die Zahl der Betrugsstraftaten im Internet vervielfacht. Kommen Sie da überhaupt noch hinterher?
Internetermittlungen werden für uns immer wichtiger. Das sind die größten Umwälzungsprozesse der nächsten Zeit. Wir müssen uns darauf einstellen, dass es in ein oder zwei Jahren keine Strafverfahren mehr ohne Internetermittlungen geben wird. Ermittler in höherem Alter mögen sich damit noch etwas schwer tun, aber das wird ein Standardinstrument werden, auch im Bereich des Betrugs. Dabei spüren wir deutlich, dass das Thema Fachkräftemangel auch bei der Polizei angekommen ist.
Wie macht sich das bemerkbar?
Die Polizei bietet zwar einen krisensicheren Job, viele Menschen legen da Wert drauf. Aber die Realität bei vielen jungen Leuten sieht doch inzwischen ganz anders aus. Sie sind beruflich nicht mehr so darauf festgelegt, ein Leben lang im selben Bereich zu bleiben. Das merken wir auch, unsere jungen Leute kündigen immer wieder, weil sie andere Angebote kriegen. Auch unter den Behörden ist die Konkurrenz um gute Fachermittler groß – in Köln haben Sie den Verfassungsschutz, das Zollkriminalamt, die Bundespolizei. Und dem IT-Spezialisten ist es am Ende egal, bei welcher dieser Behörden er oder sie arbeitet, die Arbeit muss Spaß machen. Der Job muss in das private Lebensumfeld passen. Heimarbeit ist da nur ein Beispiel.
Der Weg wird dahin gehen, dass wir größere personelle Einheiten schaffen, aber in diesen Einheiten flexibler arbeiten. Projektorientierter. Und wir müssen auch Teilzeitkräfte dafür begeistern, zu uns zu kommen. Meine Generation kennt das so nicht, aber dem müssen wir uns stellen. Wir haben bei der Kripo derzeit ungefähr 15 unbesetzte Vollzeitstellen für Regierungsbeschäftigte, hochdotierte Stellen für IT-Spezialisten. Die kriegen wir am Markt nicht, die werden mit ihrem Knowhow woanders einfach besser bezahlt.
Warum sollte ich denn als IT-Spezialist zur Polizei Köln gehen und nicht zu – sagen wir – Apple oder Meta, wo ich deutlich mehr Geld verdiene?
Wenn Sie unbedingt zu Apple wollen, dann müssen Sie auch da hingehen. Klar, da werden Sie richtig viel Geld verdienen können. Aber die Arbeit bei der Polizei ist äußerst abwechslungsreich. Sie haben da mit Geschehensabläufen zu tun, die Sie sonst nirgends haben. Sie müssen Spaß daran haben, etwas zu ermitteln, Dinge aufzuklären, etwas herauszufinden, was sonst im Verborgenen bleibt. Und Sie können Ihre im Studium erreichten Fähigkeiten auch praktisch anwenden und einen guten Baustein für den Lebenslauf sammeln.
Viele können wir auch binden, indem wir ihnen anbieten, ihre Promotion mit einem polizeispezifischen Thema zu begleiten. Gerade für junge Wissenschaftler ist eine Promotion bei vollem Gehalt lukrativ. Die schreibe ich sonst auf Kosten meines Sparbuchs oder meiner Eltern.