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Patent gesichertKölner Laufschuh will mit besonderer Technik Verletzungen verhindern

Lesezeit 6 Minuten
Eine mit Sensoren ausgestattete junge Frau läuft auf einer Labor-Bahn. Eine Labor-Mitarbeiterin sitzt an einem Computer und begleitet den Versuch.

Im Biomechaniklabor des Instituts für funktionelle Diagnostik (IFD) testet das Kölner Unternehmen True Motion seine neuen Modelle.

Eine neue Studie der Kölner Spoho belegt: Auch High-Tech-Schuhe verhindern nicht, dass sich Läufer oft verletzen. Ein Kölner Hersteller will das ändern.

Sie nennen es den nächsten Schritt der Evolution. Also eine naturgegebene Anpassung der jüngsten Generation an die Umwelt. Man könnte aber auch von einer Revolution sprechen, einem radikalen Aufbegehren gegen das Establishment. Biomechanik-Professor Gerd-Peter Brüggemann, Schuhentwickler Andre Kriwet und Finanzökonom Christian Arens wollen mit ihrer 2018 in Köln gegründeten Firma True Motion anders sein als die etablierten Laufschuh-Hersteller. Es soll nicht um maximale Verkaufszahlen, optimierte Gewinnmargen und vor allem optisch ansprechende Hingucker-Schuhe gehen, sondern um einen biomechanisch ausgetüftelten Benefit für Läufer. Sagen zumindest die drei Köpfe des Unternehmens.

Kriwet hat seinen Spitzenjob bei Brooks, einem der Branchen-Riesen gekündigt, und zu Hause am Küchentisch am Prototyp des eigenen Schuhmodells getüftelt. Brüggemann, nach 17 Jahren als Leiter des Instituts für Biomechanik und Orthopädie an der Kölner Sporthochschule seit 2017 eigentlich im Ruhestand, hat alles hervorgekramt, was er in seiner langen Laufbahn als Wissenschaftler zum Thema Laufschuhe erforscht oder gelesen hatte. Und Arens, der Mann fürs Geld, hat seine Füße hingehalten.

Neue Schuhtechnologie als Patent gesichert

Denn so ein neuer Schuh entsteht nicht am Reißbrett oder auf einem Computerbildschirm. Am Anfang wird gebastelt. Mit Skalpell, handwerklichem Geschick, viel Kreativität, und – im Fall von True Motion – extrem viel biomechanischem Detailwissen.

Kriwet und Brüggemann sind Laufschuhmodellen der Konkurrenz mit dem Messer zu Leibe gerückt, sie haben Kunststoffschichten weggeschnitten, umgebaut und wieder angeklebt. Arens hatte in dieser frühen Entwicklungsphase nicht nur ein Auge aufs Budget, sondern war Fuß-Model, wenn der Prototyp am lebenden Objekt zurecht geformt werden musste. Einmal ritze ihm Brüggemann dabei in die Haut – Berufsrisiko.

2019 brachte True Motion dann Laufschuhe mit einer neuen Technologie auf den Markt. Brüggemann hat sich die menschlichen Menisken zum Vorbild genommen, zwei halbmondförmige Knorpelscheiben zwischen Ober- und Unterschenkelknochen im Knie, und entsprechende Kunststoffversionen am neuen Schuh unter die Ferse und den Vorfuß gebaut. Dieses erste Laufschuhmodell der Kölner Firma trägt den Namen „Nevos“, das steht für „next evolution step“, der nächste Schritt in der Laufschuh-Evolution.

Andre Kriwet, Christian Arens und Gerd-Peter Brüggemann sind im Gruppenporträt vor dem Logo des Test-Labors zu sehen. Arens hält zwei neue Laufschuh-Modelle in der Hand und zeigt die Sohlen.

Die True-Motion-Macher beim Test (v.l.): Andre Kriwet, Christian Arens und Gerd-Peter Brüggemann

Die Technik haben sich die Kölner Entwickler als „U-Tech“ patentieren lassen. Ihr Slogan dazu lautet: „center your run“, zentriere deinen Lauf. Vor allem geht es um ein Zentrieren der Kräfte, die weniger weit am Knie vorbei laufen und damit weniger verletzungsförderliche Hebel bewirken sollen.

Die Idee kommt an. Bei vielen Händlern mit ausgewiesener Laufschuh-Expertise stehen der „Nevos“ uns sein Nachfolger „Aion“ bereits im Regal, 180.000 Paar Schuhe hat True Motion bisher verkauft. „Wir waren von Tag eins an profitabel“, sagt Finanzökonom Arens nicht ohne Stolz.

Studie: U-Tech punktet bei Verletzungsreduktion

Den 32-jährigen ehemaligen Hockeyspieler und FC-Fan plagen dennoch weiterhin schlaflose Nächte, wenn sich eine neue Ladung vorfinanzierter Schuhe per Container-Schiff auf den Weg von der Fabrik in Vietnam nach Bremen und weiter zum externen Logistik-Unternehmer in Münster macht. Von dort gehen die Schuhe zu den Händlern und in den Online-Verkauf. Es dauert, bis Kriwet Einnahmen verbuchen kann.

Gerd-Peter Brüggemann schläft indes wieder gut. Die Ergebnisse einer jüngst zu Ende gegangenen Laufschuh-Studie mit 1700 Teilnehmern stimmen ihn froh. Gemeinsam mit dem Laufmagazin „Läuft“ und der Sporthochschule in Köln hatte man die Läuferinnen und Läufer über ein Jahr befragt. In der Auswertung zeige sich nun, so der Biomechanik-Professor, dass Alter, Größe, Gewicht, Trainingsumfang, Geschwindigkeit oder Lauferfahrung weniger Einfluss auf das Risiko für Laufverletzungen haben als die Schuhtechnologie. Und dass bei den vier untersuchten Technologien die Kölner U-Tech-Neuentwicklung in Sachen Verletzungsreduktion die Nase deutlich vorn hat. Das war die Idee gewesen.

Nikes Studie belegte Eliud Kipchoge mit einem Marathon unter zwei Stunden

Zuletzt hat Nike 2017 eines seiner Schuhmodelle mit einem spektakulären Studienergebnis unterfüttert. Mit dem Vaporfly, einem Laufschuh mit dicker, gebogener Schaumstoffsohle mit Rebound-Effekt und Karboneinlagen, sparten Läufer demnach vier Prozent Energie. Zunächst nahm niemand die Ergebnisse der von Nike initiierten Studie ernst, doch dann wurden sie in unabhängigen Untersuchungen bestätigt. Und der Kenianer Eliud Kipchoge schaffte es im Oktober 2019 in Wien im zweiten Anlauf mit dem Vaporfly an den Füßen tatsächlich, einen Marathon in unter zwei Stunden (1:59:40,2) Stunden zu laufen.

Im Laufschuhmarkt steckt Potenzial. Das zeigen die Zahlen des amerikanischen Marktforschungsinstituts NPD Group, wonach 2022 in Deutschland im Bereich „Laufschuhe Erwachsene“ 342 Millionen Euro umgesetzt wurden. Na klar, es hat wohl fast jeder ein Paar im Schrank stehen. Selbst wer nicht regelmäßig laufen geht, trägt gern mal Joggingschuhe. Sie sind nicht nur Sportgerät, sondern auch Statussymbol, Modeaccessoire, Wohlfühlutensil.

Asics und On Running sind in Deutschland die Platzhirsche

Der Umsatz in Deutschland verteilt sich laut NPD-Daten auf die Firmen Asics (25 Prozent), On Running (25), Brooks (14), Nike (11), Adidas (10), Salomon (7), Hoka (2), New Balance (2) und weitere Marken wie True Motion, Saucony, Altra oder Mizuno (4). Beachtlich ist der Aufstieg der Schweizer Firma On Running. Mit ihrem patentierten Dämpfungs-System und der schicken Optik haben es die Schuhe des 2010 gegründeten Unternehmens, an dem Tennis-Superstar Roger Federer beteiligt ist, in wenigen Jahren nach fast ganz oben geschafft.

Andre Kriwet hat im Gegensatz zu seinen Kollegen nie schlecht geschlafen. Er ist der Entspannteste des Trios und genießt das Projekt offenkundig in vollen Zügen. Brüggemann hat der 45-Jährige einst als Sportstudent kennengelernt, er wollte eigentlich Lehrer werden. Doch am Biomechanik-Institut liefen schon damals Kooperationen mit Laufschuhherstellern. Kriwet begann, sich für das Metier zu begeistern. Statt in einer Schule machte er zunächst bei Asics und später bei Brooks Karriere als einer der gefragtesten Schuhentwickler der Welt.

Das Verletzungsrisiko hat sich in den letzten 30 Jahren nicht geändert
Biomechanik-Professor Gerd-Peter Brüggemann

Eine mediale Stütze und die Dämpfung seien seit Jahren die großen Themen bei der Laufschuhentwicklung, erklärt Biomechaniker Brüggemann. Aber bei der Durchsicht all seiner Forschungsunterlagen habe er festgestellt: „Das Verletzungsrisiko hat sich in den letzten 30 Jahren nicht geändert.“ Damals wie heute seien Läufer durchschnittlich einmal pro Jahr verletzt, am häufigsten am Knie, gefolgt von Achillessehnen- und Waden-Problemen. Es müsste doch möglich sein, einen Schuh zu entwickeln, der das Verletzungsrisiko senkt – dachte sich das Kölner Trio. Und nach den ersten Studienergebnissen zu urteilen, könnte ihnen das gelungen sein.

Eines stört die Macher allerdings noch an ihrem Kölner Laufschuh: Dass er in Vietnam produziert wird. „Dass unsere Schuhe im Tanker quer über den Ozean fahren müssen, fühlt sich überholt an“, sagt Kriwet. Aber eine Produktion in Deutschland sei nicht möglich. Man habe es versucht, doch es gäbe keine Fabriken mit dem entsprechenden Knowhow.

Das nötige Wissen und Können habe sich seit den 80er Jahren in Südostasien gesammelt, wo die Schuhe fast aller großen Marken produziert werden. 100 verschiedene Menschen hätten jeden Schuh während des Herstellungsprozesses in der Hand, erzählt Kriwet. Und jeder von ihnen sei ein Experte. Jeder kleinste Fehler, jede schiefe Naht, machten sich am Ende in der Passform bemerkbar. Und wenn die nicht stimmt, sind die Schuhe kein Schritt vorwärts in der Evolution, sondern womöglich ein Rückschritt.