Kölner Menschen mit Behinderungen in der PandemieSchwimmnudeln als Abstandshalter
Köln – Das Coronavirus hat das Leben aller Menschen auf den Kopf gestellt. Seit einem Jahr sorgt es für massive Einschränkungen und Veränderungen des gewohnten Alltags. Ein Minimum an persönlichen Kontakten gepaart mit einem Maximum an Flexibilität, immer wieder auf neue Regeln und Vorkehrungen zu reagieren. Corona bedeutet für die allermeisten Menschen eine Zumutung – in psychologischer, finanzieller, sozialer Hinsicht. Doch für Menschen mit Behinderungen, insbesondere mit kognitiven Einschränkungen, bringt das Virus zusätzliche Herausforderungen und Hürden mit sich.
„Wir stellen bei vielen unserer Bewohnern und Klienten zunehmende Verhaltensauffälligkeiten fest. Sie sind gereizter und aggressiver, vor allem diejenigen mit gestörter Impulskontrolle. Andere fühlen sich einsam, sind frustriert oder sogar depressiv“, berichtet Alexandra Dicks.
Die Diplom-Pädagogin arbeitet seit 21 Jahren in der Behindertenhilfe der Diakonie Michaelshoven. „Viele Menschen, die wir betreuen, mögen gern Nähe und suchen den Körperkontakt zu ihren Betreuern. Das gibt ihnen Sicherheit. Sie verstehen nicht, warum sie plötzlich nicht mehr die Hand ihrer Betreuer halten oder sie nicht mehr umarmen sollen,“ sagt Alexandra Dicks. Die Masken erschwerten zudem die Kommunikation, da die Mimik wegfalle. Besonders schwierig mache das Unterhaltungen mit nicht sprechenden und gehörlosen Klienten. Andere wiederum akzeptierten die Masken nicht und rissen sie sich immer wieder runter.
Unsicherheit, wenn gewohnte Strukturen fehlen
Menschen mit einer Autismusstörung leiden Alexandra Dicks zufolge am meisten unter dem veränderten Alltag. Viele Freizeitangebote fallen weg, Besuchsmöglichkeiten sind stark eingeschränkt, dazu kommen Abstands- und Maskenpflicht. „Wenn sich gewohnte Strukturen ändern oder diese wegfallen, löst das bei Menschen mit Autismus große Unsicherheit aus.“
Die 42-Jährige erinnert sich an einen Bewohner, der jahrelang jeden Samstag von Rodenkirchen aus mit der Straßenbahn zum Barbarossaplatz gefahren ist, um dort in einem Geschäft ein Paket mit zwei Rollen Klopapier zu kaufen. Der plötzliche Mangel an Klopapier im ersten Lockdown hätten bei diesem Mann einen solchen Schock ausgelöst, dass er „völlig verwirrt in die falsche Bahn gestiegen und den ganzen Tag quer durch Köln gefahren ist. Wir haben ihn sogar von der Polizei suchen lassen“.
Abstandsübungen mit Schwimmnudeln
Am Anfang der Pandemie waren von den Betreuerinnen und Betreuern der Diakonie Michaelshoven kreative Ideen gefordert, um ihren Klienten die wichtigsten Informationen rund um Corona und die nötigen Abstands- und Hygienemaßnahmen verständlich zu machen. „Wir haben Texte in einfacher Sprache mit Piktogrammen und Erklärvideos erstellt“, sagt Alexandra Dicks. Darin seien etwa Fragen beantwortet worden: Wie stecke ich mich an? Wie und warum muss ich eine Maske tragen? Warum kann ich meine Familie nicht treffen? Warum ist die Werkstatt geschlossen? Was bedeutet Quarantäne und warum darf ich dann nicht raus?
„Ähnlich wie bei Menschen mit Demenz müssen wir das einigen Bewohnern immer wieder aufs Neue erklären.“ Um zu vermitteln, wie groß ein Abstand von 1,50 Meter ist, haben Diakonie-Mitarbeiter Schwimmnudeln mit der entsprechenden Länge an einem Gürtel befestigt. So sollten die Betreuten ein Gefühl für den richtigen Abstand entwickeln.
Fahrendes Büdchen sorgt für Abwechslung
Für Abwechslung im Corona-Alltag der Wohngruppen sorgt einmal in der Woche der „Onkel-Micha-Bus“ - in Anlehnung an den Tante-Emma-Laden: Als mobiles Büdchen steuert der Bus die verschiedenen Wohngruppen an. Zu kaufen gibt es Süßigkeiten, Chips, Getränke, Zeitschriften zum Einkaufspreis. „Vor allem für unsere stark eingeschränkten Bewohner ist das ein Highlight. Sie sitzen oft schon morgens vor dem Haus und warten mehrere Stunden auf den Bus“, erzählt Alexandra Dicks.
Ansonsten versuchen die Mitarbeitenden so viel wie möglich nach draußen zu verlegen. „Wir gehen viel spazieren oder verbringen Zeit im Garten“, sagt die Pädagogin. Auch bei Menschen, die sich vor Corona nicht gern bewegt hätten, seien Spaziergänge nun beliebt. „Durch Bewegung lässt sich Frust abbauen.“ Und davon gibt es in Corona-Zeiten mehr als genug.