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Kölner Betroffene berichtenNeues „Cannabis-Gesetz“ führt zu Chaos

Lesezeit 5 Minuten

In kleinen Döschen wird das Cannabis an die Schmerzpatienten ausgegeben.

Köln – Seit dem 10. März ist das neue „Cannabis-Gesetz“ in Kraft. Ärzte können nun Cannabis auf Rezept verordnen. Die Kassen müssen die Kosten übernehmen. Doch so einfach, wie es klingt, ist es in der Praxis nicht.

„Es herrscht derzeit das reinste Chaos. Mein Eindruck ist: Die Kassen wissen überhaupt nicht, wie sie mit dem neuen Gesetz umgehen sollen. Ich habe etwa 20 Anträge gestellt, die meisten wurden noch nicht bearbeitet. Bei denen, die zurückgekommen sind, liegt die Erfolgsbilanz bei 50 Prozent. Einer ist genehmigt, einer wurde abgelehnt“, erzählt ein niedergelassener Anästhesist und Schmerztherapeut aus der Kölner Innenstadt.

Die Kassen müssen innerhalb von drei Wochen nach Antragstellung entscheiden, ob sie die Kosten tragen. Den Antrag, den nicht der Patient, sondern der behandelnde Arzt stellt, leiten die Kassen häufig an den Medizinischen Dienst der Krankenversicherung (MDK) weiter. Dann gilt eine Frist von fünf Wochen. So lange herrscht Stillstand.

Die Cannabis-Behandlung wird erst nach Ausschluss aller anderen Methoden genehmigt

Der Schmerztherapeut befürwortet die Gesetzesänderung. „Das ist ein sinnvoller Baustein in der Behandlung.“ Aber wenn es bei der Umsetzung hakt, träfe es die Patienten. Schwerkranke Menschen wie etwa Axel Schäfer (Name geändert). „Ich bin enttäuscht und wütend. Aber das lasse ich mir nicht gefallen.“ Der Antrag des 55-Jährigen auf Kostenübernahme wurde abgelehnt. „Cannabis auf Rezept, bezahlt von der Krankenkasse. Antrag stellen, fertig. So habe ich das neue Gesetz verstanden. Und nun das.“

Seine Kasse zahlt die Kosten für die Cannabis-Verordnung nicht. Dagegen hat Schäfer Widerspruch eingelegt. Doch der Mann aus Junkersdorf will nicht aufgeben. Er ist es gewohnt zu kämpfen. Er leidet seit fast 15 Jahren an Multipler Sklerose (MS) und an Schmerzattacken, die von der Brustwirbelsäule bis in den Fuß ziehen.

Trotz positivem Effekt sperrt sich die Kasse

Seit zehn Jahren werden die Krankheitsschübe heftiger, die spastischen Anfälleschmerzhafter. „Vor etwa zwei Jahren habe ich zum ersten Mal Cannabis ausprobiert. Das Zeug hatte ich vom Dealer an der Ecke. Der Effekt war erstaunlich, die Spastik und die damit verbundenen Schmerzen gingen stark zurück“.

Warum sperrt sich seine Kasse? „Die Behandlung mit Cannabis sei bei mir nicht angezeigt. Es seien noch nicht alle anderen Behandlungsmöglichkeiten ausgeschöpft. In meinem Fall ist damit wohl eine Dosierpumpe für Opiate gemeint.“ Wirklich wissen tut er es nicht. Die Mitarbeiter des MDK beurteilen die Fälle nach Aktenlage. Mit Axel Schäfer hat niemand gesprochen.

Cannabis darf bereits seit 2011 verschrieben werden

Die Euphorie über das Gesetz zum Einsatz von Cannabis als Medizin war groß. Im Januar dieses Jahres sagte Dr. Michael A. Überall, Präsident der Deutschen Schmerzliga: „Wir dürfen hoffen, dass mit dieser fraktionsübergreifend getroffenen Entscheidung des Deutschen Bundestages sowohl das frustrierende Warten auf einen Entscheid über die Kostenübernahme als auch die hohe Zahl an ablehnenden Bescheiden endlich ein Ende hat.“

Medizinisch verordnetes Cannabis.

Bereits seit dem Jahr 2011 dürfen Ärzte Cannabis verschreiben. Dazu brauchte der Patient eine Ausnahme-Genehmigung des Bundesinstituts für Arzneimittel und Medizinprodukte. Erst mit dieser Erlaubnis durften die Patienten Cannabis in der Apotheke kaufen. Die Kassen haben die Kosten nur in Ausnahmefällen übernommen. Es war ohnehin eine freiwillige Leistung. Cannabis kann bei Schwerkranken bei einer Reihe von Beschwerden eingesetzt werden, etwa gegen Übelkeit und zur Appetitsteigerung bei Krebs- und Aids-Patienten, bei Rheuma sowie gegen spastische Schmerzen bei MS.

Tauziehen zwischen Kassen und Bundesinstitut

Gut zwei Monate nach Inkrafttreten des Gesetzes macht sich Ernüchterung breit. Der Schmerztherapeut aus der Kölner Innenstadt glaubt, dass die Kassen die zusätzlichen Kosten fürchten und nach Möglichkeit nicht zahlen wollen. Schon gar nicht langfristig. Genau so interpretieren Experten auch die jüngste Einlassung von Vertretern des Spitzenverbands der Gesetzlichen Krankenversicherung (GKV): „Für den dauer- und regelhaften Leistungsanspruch in der gesetzlichen Krankenversicherung fehlt der Nachweis der Wirksamkeit.“

Das Problem kennt das zuständige Bundesinstitut. Zeitgleich mit dem neuen Gesetz hat die dem Institut angegliederte Bundesopiumstelle damit begonnen, anonymisierte Daten über Patienten, deren Erkrankungen, Symptome und Behandlung zu sammeln. Ziel ist es, mehr Informationen über die therapeutische Wirkung von Cannabis als Medizin zu gewinnen. Klingt ein wenig wie ein Tauziehen zwischen den Kassen und dem Institut.

Spießrutenlauf für chronisch schwer kranke Menschen geht weiter

Die Deutsche Schmerzliga konterte die Ansicht des GKV umgehend. „Angesichts dieser Äußerungen“, sagte Präsident Überall, „ist zu befürchten, dass der Medizinische Dienst der Krankenkassen auch künftig an seiner extrem restriktiven Bewilligungsstrategie festhält – die ja letztlich für die aktuelle Gesetzesänderung mit anlassgebend war – und das Spießrutenlaufen für chronisch schwer kranke Menschen anhält.“

Uwe Junker, Chefarzt des Zentrums für Anästhesie und Intensiv-, Schmerz- und Palliativmedizin des Sana-Klinikums in Remscheid, begrüßt das neue Gesetz. „Es bietet uns Ärzten mehr Spielraum, Cannabis-Arzneimittel zu verordnen. Es ist eine zusätzliche Option.“ Falsch wäre es seiner Ansicht nach, einen Hype um Cannabis herbeireden. „Wir sprechen hier von einer Substanz, die schwerkranken Patienten verschrieben werden kann, wenn andere Medikamente nicht geholfen haben oder wegen zu großer Nebenwirkungen nicht ratsam sind“, sagt Junker, der zu den anerkanntesten Schmerzmedizinern Deutschlands zählt.

Er schildert einen positiven Verlauf bei der Behandlung mit Cannabis. Er behandelt aktuell einen Patienten, der als Kind an Kinderlähmung erkrankte, erfolgreich mit Cannabis. „Zuvor war eine hohe Dosis Opiate erforderlich, was den Patienten aber total müde und antriebslos machte. Jetzt nimmt der Mann viel aktiver am Leben teil.“

Das Bundesinstitut hat eine Cannabisagentur eingerichtet

Die Apotheken sind gleichsam in Bereitschaft. Thomas Preis, Vorsitzender des Apothekerverbandes Köln, berichtet von einer gestiegenen Nachfrage. „Wir sind vorbereitet, Engpässe bei den Substanzen wird es nicht geben. Unsere Mitglieder finden es positiv, dass diese Therapie jetzt auch von den Kassen erstattet wird. Wir stehen im stetigen Austausch mit den Ärzten.“ Das Bundesinstitut hat eine Cannabisagentur eingerichtet, die den Anbau von Cannabis zu medizinischen Zwecken in Deutschland steuern wird. Frühestens 2019 wird es Cannabis aus deutschem Anbau geben. So lange werden die Cannabisblüten wie bisher aus den Niederlanden oder aus Kanada eingeführt.

Fazit: Mit dem neuen Gesetz ist es für die Ärzte einfacher geworden, Cannabisblüten oder Extrakte zu verordnen. Zahlt die Kasse nicht, ist der Zugang zum sogenannten Medizinal-Hanf für Schwerkranke trotz Rezepts erschwert. Mehrere 100 Euro im Monat kostet es nach Auskunft einer Apothekerin in Nippes, wenn der Patient sein Cannabis aus der Apotheke selber bezahlen muss.