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Kölner Paar lebte drei Jahre in China„Wir wurden ständig fotografiert“

Lesezeit 6 Minuten
Abschiedsessen

Essen mit chinesischen Freunden

Köln – Der Schwibbogen mit dem Kölner Dom leuchtet im Fenster. Thorsten und Sandra Esser (beide 51) sind wieder daheim. Nach drei Jahren in China. Thorsten Esser war für seinen Arbeitgeber, einen der weltweit größten Hersteller von Autositzen, nach Changchun in die Mandschurei gezogen, wo VW und Audi Werke haben. Sandra Esser ging mit – und gab dafür ihren Job als Reisekauffrau auf.

Am 11.11. des vergangenen Jahres hatten sie sich beim „Kölner Stadt-Anzeiger“ gemeldet und Fotos geschickt: Die winzige deutsche Gemeinde feierte Karneval samt Mett-Igel und Orden – während in Köln wegen Corona große Stille herrschte (hier lesen Sie mehr). Im Dezember nun endete der China-Vertrag. Die Erfahrungen und Erinnerungen sind überwältigend. Ein Blick zurück:

Warum wanderten die Kölner nach China aus?

„Das war reine Abenteuerlust“, sagt Sandra Esser. Ihr Mann war für die Firma schon in der ganzen Welt, aber meistens nur wochenweise. „Dabei wollte ich eigentlich nicht nach Asien, schon gar nicht nach China.“ Aber dann kam das beruflich verlockende Angebot, die Kinder waren groß. „Da gab es keine Ausrede mehr.“

Wie war der erste Eindruck?

Changchun ist eine Industriestadt und mit sieben Millionen Einwohnern für China recht klein. „Hier steht ungefähr 2000 Mal das Unicenter“, sagt Thorsten Esser lachend. Alles sei recht grau.

Changchun

Blick auf die Millionenstadt Changchun

Den Deutschen fallen Kleinigkeiten auf: Die Bordsteinkanten sind sehr hoch, das Pflaster löchrig, manchmal fehlen Teile der Gullydeckel. Spazierengehen ist da nicht einfach. Das Ehepaar zieht in eine Siedlung für Wohlhabende, wie man an den teuren Autos erkennen kann. Ihr Haus hat 350 Quadratmeter und einen Garten. „Traumhaft.“ Sie sind die einzigen Ausländer. In ganz Changchun leben nur etwa 500 Nicht-Chinesen.

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Das Haus der Essers

Schwierigkeiten mit der Sprache

„In Changchun kann niemand Englisch. Die Leute können noch nicht einmal Hallo sagen“, so Thorsten Esser. Und das Paar spricht kein Wort Chinesisch. „Man kommt sich vor wie ein Kleinkind, wie ein Analphabet.“ Thorsten Esser bekommt eine eigene Dolmetscherin und einen Fahrer. „Glücklicherweise gab es in der Nähe unsere Siedlung einen kleinen Supermarkt, da konnte ich zu Fuß hingehen“, sagt Sandra Esser. „Da war natürlich auch alles nur auf Chinesisch beschriftet, aber alle haben mir immer sehr freundlich geholfen und diskutiert, was ich wohl meine.“

Blumenladen

Sandra Esser beim Einkaufen

Manchmal müssen sie lachen, weil Chinesisch und Kölsch sich bei Wörtern wie Ding und Ming doch oft ähnlich anhören. Doch selbst wenn sie bei Inlandsflügen ihr Ziel Changchun angeben, werden sie meistens nicht verstanden – so schwierig sind Aussprache und Intonation. Es reicht am Ende zum Bestellen im Restaurant und zum Taxifahren. „Wir hätten mehr lernen können, aber wir haben es nicht geschafft. Die Tage waren so voller Input, dass wird meistens völlig erschöpft früh im Bett waren.“

Die Menschen

„Die Chinesen sind sehr freundlich und hilfsbereit“, sagt Sandra Esser. Und neugierig: Die Ausländer werden ständig gefilmt und fotografiert. „Es gab Tage, da konnte ich das nur schwer ertragen, wie ein Zootier beguckt zu werden.“

Die Menschen hätten einen sehr zufriedenen Eindruck gemacht. „Sie sind glücklich, dass ihre Lebensbedingungen sich verbessern, dass sie Heizungen haben – im Winter wird es in Changchun bis zu minus 30 Grad“, so Thorsten Esser. Noch vor 30 Jahren hat die Bevölkerung gehungert. Der Chinesisch-Lehrer des Paares erzählt, dass er zu der ersten Generation gehöre, die keinen Hunger mehr erlebt. Das Essen spielt die wichtigste Rolle im Alltag. Großeltern verhätscheln ihr Enkel mit Nahrung. Übergewichtige Kinder sind ein neues Phänomen.

Ausflug (1)

Beim Ausflug mit Freunden

„Mich erinnert die Stimmung an Deutschland in den 60er Jahren“, sagt Sandra Esser. Der Krieg war vergessen, es ging um Wohlstand und dick Butter auf den Broten. Die Frage nach der Demokratie werde aber wohl bald kommen.

Trotz aller Freundlichkeit, die berufliche Kommunikation ist kompliziert. „Chinesen haben kein Wort für Nein“, sagt Thorsten Esser. Man kommt nie direkt auf den Punkt, oft bleibt nach geschäftlichen Verhandlungen unklar, was eigentlich vereinbart wurde.

Das Essen in China

„Herrlich. Nicht mit dem zu vergleichen, was Chinesen hierzulande anbieten. Alles ganz frisch, viel Gemüse.“ Die Hotpots lieben sie, aber weniger die Hühnerfüße zum Knabbern. Die Seidenraupen, die man überall kaufen kann, stupst Thorsten Esser gerne an, um zu sehen, ob sie noch leben – was sie sollen. Naja, und die Hundefrage bleibt nicht aus. „Hundefleisch ist recht teuer. Ich habe es in einem Spezialitätenrestaurant gegessen. Es hat mir aber nicht besonders geschmeckt.“

Wie Kölner die Corona-Pandemie in China erlebten

„Das war die schlimmste Zeit unseres Lebens. Diese dauernde Ungewissheit“, sagt Sandra Esser. Als die Pandemie in China losgeht, fliegt sie nach Deutschland. Ihr Mann holt sie im September zurück, um sie im Einreise-Wirrwarr nicht allein zu lassen. Die beiden müssen mehrfach in Quarantäne, zweimal in Hotels. Das Essen wird vor die Tür gestellt, vor lauter Desinfektionsmittel rosten schon die Metallteile an Fenstern und Betten.

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Nicht zuletzt wegen seiner autoritären Struktur sei das Land aber gut mit Corona zurecht gekommen. Jeder ist zum Herunterladen mehrerer Corona-Warnapps verpflichtet, die man auch jederzeit vorzeigen muss. „Dagegen ist unsere App ein Witz“, sagt Thorsten Esser.

Testmöglichkeiten werden aus dem Boden gestampft. Schon bei wenigen Infektionen werden ganze Millionen-Städte lahmgelegt. Die Menschen halten sich an die Regeln. Es gilt: Was der Staat sagt, ist richtig. In Changchun wurden zuletzt vier Infektionen gemeldet. „Alle fragen mich: Kann man das denn glauben? Ich glaube es.“

Heimweh nach Deutschland

Zwar sind die Essers mehrmals auf Heimaturlaub, aber zwischendurch brauchen sie auch schon mal vertraute Klänge. Die sechs Deutschen, die in der Firma arbeiten, und ihre Frauen treffen sich in der „Backstube“, die von einem Deutschen betrieben wird, der seit 25 Jahren in China lebt und mit einer Chinesin verheiratet ist. „Eigentlich hatten wir gesagt: Wir gehen doch nicht nach China, um dann mit Deutschen zusammen zu sein“, sagt Sandra Esser. „Doch dann rottet man sich doch wieder zusammen.“

Karneval (1)

Der Mettigel darf nicht fehlen.

Irgendwann hat man auch wieder Riesenappetit auf Schnitzel oder Rouladen. Und Lust auf „blöden Verzäll“ und Karneval. Der ist am 11.11. 2020 besonders spektakulär, weil vor der „Backstube“ der Nubbel verbrannt wird, was im Frühjahr wegen Corona nicht möglich war. Die Chinesen filmen und wundern sich.

Das Zurückkommen

„Es mag spießig klingen, aber als ich aus dem Flugzeug die ordentlichen Felder sah, war ich richtig gerührt“, sagt Sandra Esser. Auch sind die beiden dankbar für scheinbar selbstverständliche Dinge wie Trinkwasser aus dem Hahn. Von Werten wie Meinungsfreiheit mal ganz abgesehen. „Schade nur: Sobald man aus dem Flughafen ankommt, sieht man viele schlecht gelaunte Menschen.“

Die Karnevalstradition in Changchun setzt ein Kollege von Thorsten Esser fort. Und er erfährt bald, was er als nächstes für seine Firma tun könnte. Sandra Esser möchte mit ihrem Sohn unbedingt noch einmal nach China reisen.