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Kölner Professor über Forschungsstand„Es wird uns gelingen, Krebs als frühzeitige Todesursache zu besiegen“

Lesezeit 7 Minuten
Michael Hallek

Der Kölner Internist Michael Hallek gilt international als Pionier der modernen Krebsforschung

Der Internist Michael Hallek hat die deutsche Krebsforschung von Köln aus in den vergangenen Jahrzehnten vorangetrieben und erklärt, wo die Forschung im Kampf gegen den Tumor heute steht.

Herr Hallek, wo steht die Krebsforschung im Jahr 2023?

Michael Hallek: Wir haben die Prognose für viele Krebserkrankungen in den letzten Jahrzehnten erheblich verbessern können. Bestimmte Erkrankungen sind heute deutlich besser zu behandeln als vor zehn oder zwanzig Jahren, die Gesamtsterblichkeit geht erheblich zurück. Auch bei der Prävention machen wir Fortschritte. Wir haben aber auch noch sehr viel Raum für Verbesserungen.

An welchen Beispielen ist der Fortschritt besonders gut erkennbar?

Der schwarze Hautkrebs führte im fortgeschrittenen Stadium früher regelhaft zum Tod, heute ist es selten geworden, dass Menschen an dieser Erkrankung sterben. Dies liegt an neuen Immuntherapien, die bei dieser Krebsart sehr erfolgreich sind. Das hätten wir uns vor einigen Jahren nicht erträumen können. Auch bei der Behandlung von Leukämie gibt es massive Fortschritte, bei einigen Formen von Lungenkrebs ebenso. In allen westlichen Ländern, in denen die Anti-Raucher-Programme laufen, sehen wir zudem Fortschritte bei der Prävention.

Auslöser für Krebs: Rauchen, Übergewicht, Alkohol

Was sind heute die entscheidenden Auslöser für Krebs?

Ganz entscheidend ist weiterhin das Rauchen, nicht nur bei Lungen-, sondern auch bei Blasen- und Halskrebs. Auch andere Lebensgewohnheiten sind wichtig, starkes Übergewicht, Bewegungsmangel und starker Alkoholkonsum sind wichtige Faktoren, die in Krebserkrankungen führen können.

Welche Fortschritte waren zuletzt wichtig, um die Prognosen zu verbessern?

Das vertiefte Verständnis von Immunbremsen ist eine wesentliche Entdeckung der letzten Jahre. Wir verstehen jetzt, was zwischen den menschlichen T-Zelle und dem Tumor passiert. Entscheidend sind Moleküle, die auf Krebszellen sitzen und menschliche T-Zellen abtöten. Wenn diese Interaktionen zwischen den Krebszellen und T-Zellen unterbrochen werden, kann das Immunsystem den Krebs abtöten. Hierfür wurden Medikamente entwickelt, die für viele Krebsarten angewendet werden können. Das ist eine Revolution. James Allison und Tasuku Honjo haben dafür 2018 den Nobelpreis gewonnen.

Welche Rolle spielen mRNA-Impfungen heutzutage in der Krebsforschung?

Die mRNA-Impfung ist ein künftiger zusätzlicher Baustein für die Krebstherapie, der in Studien getestet wird. Ich erwarte, dass wir bereits in den kommenden Jahren neue Krebs-Therapeutika erhalten, welche die rRNA-Technologie verwenden.

Krebs-Therapie: Medikamente als Chemo-Ersatz

Ein anderes Instrument ist die gezielte Therapie, die den individuellen Tumor, nicht aber den Rest des Körpers angreift.

Ja, unsere Waffen im Kampf gegen den Krebs werden auch hier immer besser. Ich selbst arbeite an der Anwendung solcher gezielten Medikamente gegen Leukämie. Mit Kombinationen von zwei bis drei gezielten Medikamenten konnten wir die alte Chemotherapie vollständig ersetzen, die neuen Medikamente wirken besser und haben deutlich weniger Nebenwirkungen. Dank der Fortschritte ist nun oft eine komplette Kontrolle der Erkrankung möglich, manchmal kann sie sogar komplett beseitigt werden. Hier setzen wir gerade von Köln aus neue internationale Standards.

Köln gehört nun zu den sechs festen NCT-Standorten. Was bedeutet das für Ihre Forschung?

Die Förderentscheidung des Bundesforschungsministeriums bedeutet einen großen positiven Impuls für die klinische Krebsforschung in Deutschland, Nordrhein-Westfalen und Köln. Mit diesem Programm wird das Ziel verfolgt, die klinische Krebsforschung aus Deutschland in der Weltspitze zu verankern.

Wie groß ist aktuell der deutsche Beitrag zur globalen Krebsforschung?

Wir haben bei der Grundlagenforschung aufgeholt, bei der klinischen Entwicklung von Medikamenten hängen wir insgesamt aber deutlich zurück. Hier liegen wir im Vergleich der Industrieländer im unteren Mittelfeld. Wir müssen also bei der Übersetzung von Erkenntnissen in neue Produkte, also in Medikamente oder Diagnostika, deutlich besser werden, wenn wir nicht wollen, dass diese nur im Ausland entwickelt werden und wir sie dann teuer importieren müssen.

Hilft eine bessere Forschung sofort den Patienten in Deutschland oder geht damit ein rein globaler Fortschritt einher?

Beides. Wo geforscht wird, finden klinische Studien statt, mit denen vielen Patienten schnell geholfen werden kann. Denn dort sind Fachleute vor Ort, deren Wissen direkt den Patienten zugute kommt. Wo viel Forschung stattfindet, ist auch die durchschnittliche Prognose der betroffenen Patienten besser.

Es geht uns aber immer darum, mit unserer Forschung globale Fortschritte zu erzielen. Und auf nationaler Ebene wollen wir schaffen, dass Patienten in abgelegenen, ländlichen Regionen künftig genauso gut behandelt werden können wie mitten in Köln.

Welche deutschen Projekte haben die weltweite Krebsforschung zuletzt geprägt?

In Heidelberg wurden bei Gehirntumoren in den vergangenen Jahren große Fortschritte erzielt. Beim Thema Blutkrebs sind wir international dank der Kölner Forschungen zu gezielten Therapien international ganz vorne. Das gilt auch für das Thema Lungenkrebs. Bei anderen Themen, beim Darmkrebs etwa, sind Frankreich und die Niederlande deutlich weiter vorne. Die großen Institutionen der Welt, und Köln gehört tatsächlich dazu, konzentrieren sich auf eine begrenzte Zahl von Krebsarten und wollen dort Fortschritte erzielen. So funktioniert die Arbeitsteilung in der internationalen Forschung.

Ist die politische Unterstützung für die Krebsforschung groß genug?

Die Durchführung von klinischen Prüfungen wird mehr und mehr bürokratisch erschwert, das Problem muss die Politik anpacken. Durch die ausufernde Bürokratie ist es für die universitäre Forschung immer schwieriger, Erkenntnisse in Produkte und Behandlungen umzuwandeln. Das Ausland, Spanien etwa, ist beispielsweise deutlich schneller, wenn es darum geht, eine Studie in die Umsetzung zu bekommen. Hier sind wir derzeit nicht wettbewerbsfähig.

Sie haben Ihr Berufsleben der Krebstherapie verschrieben. Wie kam es dazu?

Zu Beginn meiner Laufbahn habe ich erlebt, wie ungenügend Chemotherapien oft wirken und wie stark ihre Nebenwirkungen sind. Ich habe mit den Patienten gefühlt und daraus die persönliche Verpflichtung abgeleitet, deren Behandlung zu verbessern. Ich habe gesehen, wie Patienten stärkste Übelkeit erleiden mussten, wie ihnen die Haare ausfielen, und der Tumor wurde trotzdem nicht kleiner. Ich wollte daran etwas ändern. Mein erster Chef in München hat mir die Möglichkeit gegeben, intensiv in die Forschung zu Blutkrebs einzusteigen. Die daraus entstandene Erfahrung, dass man die Behandlung von Krebs durch eigene Arbeit tatsächlich verbessern kann, ist für mich zutiefst befriedigend.

Welcher Fortschritt hat Sie in Ihrer Laufbahn besonders glücklich gemacht?

Die wichtigsten Verbesserungen und Glücksmomente durfte ich durch über Jahrzehnte durchgeführte, eigene Studien zur chronischen lymphatischen Leukämie, dem häufigsten Blutkrebs, erleben. Hier haben wir die Behandlungsergebnisse Schritt für Schritt verbessern können. Ein besonders schönes Beispiel war eine Auswertung vor etwa drei-vier Jahren. Wir haben damals beim Landeskrebsregister angefragt, wie sich die Überlebenschancen der Patienten mit dieser Leukämie in NRW seit der Einführung einer neuen Therapie verbessert hatten. An dieser Behandlung hatten wir mehr als ein Jahrzehnt gearbeitet, bis sie im Jahr 2010 weltweit zugelassen wurde. Die Auswertung zeigte, dass ab 2010 die Überlebensraten der Patienten mit diesem Blutkrebs in Nordrhein-Westfalen deutlich anstiegen. Das war großartig.

Was raten Sie Patienten mit einer Krebsdiagnose?

Entscheidend ist, nach der Diagnose in kleinen Schritten zu denken und mit den Ärzten eine Behandlungsstrategie zu erarbeiten. Denn gegen viele Krebsarten können wir heute etwas tun. Vor dreißig Jahren sind zwei Drittel der Patienten an ihrer Krebserkrankung gestorben, heute ist es noch ein Drittel. Wir haben große Fortschritte gemacht. Natürlich löst die Diagnose Krebs immer noch Angst und Schrecken aus. Aber ein Tumor muss das eigene Leben nicht schnell oder überhaupt beenden. Die Krebsforschung kommt direkt beim Menschen an, das sollte  als Chance verstanden werden. Die Teilnahme an Studien kann sich für Patienten lohnen.

Wie individuell laufen Krebserkrankungen ab?

Tatsächlich ist jeder Tumor eine Einzelerscheinung. Die Kategorisierung nach den befallenen Organen, wie Lunge, Darm oder Niere, wird heute durch molekularbiologische Einteilungen des Tumors zunehmend ersetzt. Und selbst innerhalb eines Tumors finden sich häufig verschiedene molekulare Typen. Es gelingt uns in der Behandlung immer besser, uns auf diese Unterschiedlichkeit einzustellen und sie therapeutisch zu nutzen.

Sind die Überlebenschancen weltweit auf einem ähnlich hohen Niveau?

Überhaupt nicht. Das ist ein dunkles Kapitel. In vielen Ländern beispielsweise Südamerikas oder auf dem afrikanischen Kontinent gibt es wenige Privatkliniken, an denen die neuesten Behandlungen zur Verfügung stehen, während dort flächendeckend mit Behandlungen gearbeitet wird, die seit 30 Jahren überholt und weniger wirksam sind. Es ist eine riesige Aufgabe, diese weltweite Ungleichheit zu verändern.

Ist es legitim, zu fragen, ob die Forschung den Krebs irgendwann wird besiegen können?

Selbstverständlich ist es das. Meine Antwort ist, dass wir Krebs nie gänzlich besiegen werden, denn Krebs nimmt mit dem Alter zu. Und wenn betagte Menschen, die 90 Jahre oder älter sind, Krebs erleiden, ist es schwieriger oder eventuell auch nicht sinnvoll, den Tumor aggressiv zu behandeln. Es wird uns aber auf lange Sicht gelingen, Krebs als frühzeitige Todesursache zu besiegen. Das wäre ein riesiger Erfolg – und wir sind auf einem guten Weg.


Michael Hallek, geboren am 19. Juli 1959 in Hof, ist Direktor der Klinik I für Innere Medizin an der Uniklinik Köln und der neue Vorsitzende des Wissenschaftlichen Beirates der Bundesärztekammer. Außerdem wurde er am 1. Februar als eines von sieben Mitgliedern von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach in den „Sachverständigenrat Gesundheit und Pflege“ berufen. Die an seiner Klinik ansässige Onkologie gehört in ihren Fachbereichen im Kampf gegen den Krebs zu den kompetentesten Abteilungen weltweit.