Studierendenwerk-Chef Jörg J. Schmitz„Studium droht ein Luxusgut zu werden“
- Am 10. Oktober sist für mehr als 100.000 Studierende in Köln das Wintersemester.
Köln – Herr Schmitz, ist Studieren ein Luxusgut geworden?
Ich glaube, es ist noch kein Luxusgut, aber es droht eins zu werden. Allein wegen der Inflationsrate ist das Leben teurer geworden, aber andere wichtige Komponenten wie zum Beispiel die Kosten fürs Wohnen oder auch fürs Studium selber, Stichwort Semesterbeiträge. Denn die Komponenten Verkehrsverbund-Ticket oder der Sozialbeitrag für das Studierendenwerk werden vermutlich steigen. Insofern würde ich im Wortlaut diese Frage noch nicht bejahen. Aber ich befürchte, dass es in diese Richtung geht.
Wie bewerten Sie denn die momentane Lage der Kölner Studierenden mit Blick auf die von Ihnen genannten steigenden Kosten für Gas, Strom, Studieren und Lebensmittel?
Wir müssen uns vergegenwärtigen, dass der individuelle Haushalt von Studierenden auf Kante genäht ist. Da ist erstmal kein großer Puffer. Wir wissen, dass 68 Prozent der Studierenden arbeiten gehen müssen. Heißt letztendlich, dass es in den meisten Fällen wirklich um Geld verdienen geht. Und ich glaube, das ist ein wichtiger Hinweis darauf, dass der Zuverdienst eigentlich die Normalität bei Studierenden ist.
Was könnten Folgen der höheren Kosten für Studierende sein?
Sie werden mehr arbeiten. Die Möglichkeiten als Studierender zu arbeiten sind verbessert worden. Aber durch das Mehrarbeiten kann man natürlich schlechter studieren. Das führt zu einem verlängerten Studium. Letztendlich wird man das nächste Semester bewältigen, aber die Probleme verschieben sich nach hinten. Eventuell bekommt man auch nach hinten raus nochmal Probleme mit der Studienfinanzierung, weil dann zum Beispiel das Bafög wegfallen kann. Und natürlich droht auch das Scheitern des Studiums.
Wir leben seit rund zweieinhalb Jahren mit Corona. Wie hat sich das Uni-Leben durch die Pandemie verändert?
Wir werden die Wohnheime, die wir betreiben, mit Hochdruck modernisieren. Im Hinblick auf die digitale Nutzung des Wohnheimzimmers auch als Arbeitsplatz hat sich das etabliert. Man kann ein Studium nur dann wirklich erfolgreich durchführen, wenn man auch in seinem Wohnheimzimmer den Streams und den Aufzeichnungen folgen kann.
Und dann gibt es noch unsere Verpflegungsbetriebe wie Mensen, Bistros, Cafeterien, Kaffee-Bars. Diese spüren noch einen ganz starken Corona-Effekt. Die Präsenz, so wie wir sie 2019 kannten, ist nicht wieder zurückgekommen. Das liegt wahrscheinlich an zwei Gründen. Der eine Grund ist, dass wir eine neue Studierendengeneration haben, die die ersten zwei, drei Semester gar nicht regelmäßig in die Mensa gehen konnte, weil der Betrieb sehr eingeschränkt war.
Der zweite Grund: Wir erleben den Campus als deutlich weniger vital und vermuten, dass die digitalen Lehrformate nicht ganz abgeschaltet worden sind. Wir haben bis zu 40, in Einzelfällen sogar 50 Prozent weniger Absatz als 2019.
Essen und Mieten werden für Kölner Studierende teurer
Was wird sich in den Mensen im Wintersemester ändern?
Im Moment überprüfen wir, an welcher Stelle wir mit weniger Personal arbeiten können. Im Fokus ist immer gesundes und günstiges Essen. Das bedeutet, dass wir Abstriche bei Vielfalt und Abwechslung machen. Das macht uns nicht wirklich Spaß. Wir sehen auch, dass zukünftig wahrscheinlich Preiserhöhungen unvermeidlich sein werden, zusätzlich zu den schon beschlossenen.
Über welche Preiserhöhungen sprechen wir?
Die Preise in den Mensen für die Bediensteten wurden zum Oktober 2022 um elf Prozent erhöht. In den Bistros haben wir die Kommissionswaren um sieben Prozent erhöht. Und wir werden jetzt über weitere Preisanpassungen im Januar 2023 sprechen.
Und die Mieten sollen auch erhöht werden...
Ja, wir werden zum Wintersemester unsere Mieten bei den Neuverträgen um durchschnittlich zwölf Prozent erhöhen.
Das Studierendenwerk muss ja auch finanziert werden. Woher kommt das Geld?
Die Finanzierung beruht auf drei Säulen. Die eine Säule sind die Mieteinnahmen aus unseren Wohnheimen und die Einnahmen aus der Hochschul-Gastronomie. Die zweite Dimension sind Zuschüsse. Wir erhalten einen Zuschuss des Landes Nordrhein-Westfalen, einen sogenannten allgemeinen Zuschuss, der in Köln immerhin fünf Millionen Euro ausmacht. Und dann bekommen wir unseren Personalaufwand für die Durchführung des Bafög ersetzt. Die letzte Säule ist der Sozialbeitrag. Eine in den letzten Jahren immer wichtiger gewordene Komponente. Jeder Studierende muss damit einen Beitrag zum Studium in Köln leisten.
Und dieser wird bald auch erhöht.
Wie hoch die Erhöhung ausfallen wird, steht noch nicht fest. Es geht um einen Betrag zwischen fünf und zehn Euro, der aber noch nicht beschlossen ist. Wir müssen Anfang November eine Entscheidung treffen, wie sich der Sozialbetrag im April 2023 gestaltet. Aktuell liegt er bei 90 Euro.
„Land NRW wälzt Finanzierung auf die Studierenden ab“
Die Politik sagt immer wieder, dass die Studierendenwerke finanziell besser ausgestattet werden sollen. Wie sieht das hier in Köln aus? Ist das kurzfristig schon spürbar?
Es gibt interessante Grafiken, die zeigen, wie die Sozialbeiträge, auch des Kölner Studierendenwerks, steigen und die Zuschüsse fast konstant bleiben. Das heißt, das Land zieht sich anteilsmäßig immer weiter aus der Finanzierung der Studierenden zurück und wälzt es auf die Studierenden ab.
Aktuell hat die neue Landesregierung erfreulicherweise in den Koalitionsvertrag geschrieben, dass der Zuschuss der Studierendenwerke 2023 um drei Prozent steigen soll. Eine Erhöhung noch für 2022 wurde nicht beschlossen. Das wird für uns leider nicht ausreichen.
Die Corona-Pandemie war für die Psyche von Studierenden nicht gut. Jetzt hatte man mal wieder einen relativ normalen Sommer, doch jetzt kommen die ganzen Preissteigerungen, bemerken Sie da einen Anstieg bei der Nachfrage nach psychologischer Beratung?
Ja, die Wartezeiten für einen Beratungstermin steigen derzeit wieder an. Unseren Erfahrungen nach wird das Studium nicht direkt abgebrochen. Man hofft auf den besser bezahlten Job oder eine finanzielle Unterstützung aus der Familie. Die weitere Verschärfung der Lage werden wir erst im Laufe des Wintersemesters erleben. Die Studierenden werden erst mit der Zeit feststellen, dass sie mit ihrem Geld nicht hinkommen. Deswegen erwarten wir ab Dezember die erste Welle an Studienaussteigern, die es sich nicht mehr leisten können.
Was könnten Sie denn neuen Studierenden raten?
Immer erst prüfen lassen, ob man doch Bafög bekommen könnte. Bafög ist eine wirklich gute Möglichkeit, sich zu finanzieren. Auch das sogenannte Daka-Darlehen ist hilfreich, denn die Rückzahlungsbedingungen sind sehr gut.
Was muss denn Ihrer Meinung nach passieren, damit Studierende nicht jeden Tag voller Sorge sind?
Wir brauchen dringend die Bafög-Reform und die Studienstarthilfe.
Zur Serie „Junges Köln“
Studieren, arbeiten, feiern und lieben: Köln ist ein Magnet für Menschen zwischen 20 und 35 Jahren, die das und mehr hier erleben wollen. Jedes Jahr ziehen Tausende in die Stadt, auf der Suche nach Abenteuer – und einem neuen Zuhause. Aber: Wie sieht ihre Lebensrealität wirklich aus? In unserer neuen Serie „Junges Köln“ wollen wir den Blick auf junge Kölnerinnen und Kölner lenken und davon erzählen, was sie bewegt. So sind wir etwa in der Technoszene unterwegs, versuchen zu erkunden, was die Faszination ausmacht. Oder begleiten Singles beim Dating auf der Suche nach der wahren Liebe.