Kölner SüdstadtEchtes und falsches Brummen
- In der Kölner Südstadt klagen viele Anwohner über ein permanentes Brummen.
- Rund zwei Prozent der Bevölkerung, vermutet der amerikanische Geophysiker David Deming, hören etwas, das dem Rest der Welt am Ohr vorbeigeht.
Köln – Bei Betty B. aus der Kölner Südstadt brummt es. Leise. Beständig. Tag und Nacht. Seit Ende vergangenen Jahres geht das so, und es nervt. Ein Vertreter des Umweltamtes der Stadt Köln hat Betty B. bereits in ihrer Wohnung besucht. Zur Hörprobe. Er habe in einem Zimmer der Wohnung in der Tat etwas gehört, sagt André Koslowski dieser Zeitung. „Eine Art Summen. Aber nur, wenn man angestrengt lauscht. Sobald einer atmet, hört man schon nichts mehr.“
Inzwischen sind auch weitere Südstadt-Bewohner hellhörig geworden. Sonja S. aus der Severinstraße etwa hört ein Geräusch „wie eine etwas weiter entfernte Baustelle, in der mit einem Presslufthammer gearbeitet wird“. Elke W. aus der Ohmstraße schreckte vor wenigen Tagen von einem ungewohnten Geräusch hoch und dachte zunächst, „es würde ein Lkw seinen Motor laufen lassen“.
Alles Unfug? Von wegen. Rund zwei Prozent der Bevölkerung, vermutet der amerikanische Geophysiker David Deming, hören etwas, das dem Rest der Welt am Ohr vorbeigeht: ein penetrantes Brummen zwischen 20 und 80 Hertz. Manche erinnert der Dauerton an ein Flugzeug, andere an das Summen einer Trafostation. Wie auch immer, das Brummen ist lästig. Und: Niemand weiß so recht, wo es herkommt.
Phänomen bekannt unter „The Hum“
„The Hum“, so die englische Bezeichnung, beschäftigt Physiker und Umweltämter, Politiker und Verschwörungstheoretiker. Beiträge von Betroffenen füllen Internet-Plattformen wie das „Brummton-Forum“ und „Brummton.com“. Selbstverständlich gibt es eine Selbsthilfegruppe – den „Verein zur Erforschung und Verhinderung des Brummtons“ mit Sitz in Köln (siehe Interview). Eine weltweite Datenbank ist im Aufbau. Ein Weltbrummatlas, die „World Hum Map“ des kanadischen Physiklehrers Glen MacPherson, existiert bereits.
David Deming (62), seit 1992 Professor an der University of Oklahoma, gehört zu den wenigen, die sich schon früh wissenschaftlich mit dem Phänomen auseinandersetzen. Der Geophysiker hörte Mitte der 90er Jahre zum ersten Mal jenes nervtötende Brummen, das bald sein ständiger Begleiter wurde. Und das, was viel schlimmer war, nur er vernahm. Deming begann nachzuforschen und stellte zu seiner Erleichterung fest: Er war nicht allein. In neun Ländern hörten Menschen bisweilen ein Brummen, für dessen Existenz es keine überzeugende Erklärung gibt.
Es könne so stark sein, schreibt Deming in einer Studie, dass es den Körper der Betroffenen erschüttere und zu körperlichen Beschwerden führe.
Das Phänomen ist seit mindestens 40 Jahren bekannt. Schon 1978 berichtete die englische Wochenzeitung „Sunday Mirrow“ über eine britische Postbeamtin, die sich von „The Hum“ belästigt fühlte. Die Resonanz auf den Artikel war phänomenal. Mehr als 800 Leserinnen und Leser überschwemmten die Redaktion in den folgenden Tagen mit eigenen „Hum“-Storys. Besonders verbreitet war der Brummton in der Küstenstadt Bristol. Er ging als „The Bristol Hum“ in die Geschichte des weltweiten Brummens ein. Inzwischen scheint zumindest dieses Rätsel gelöst. 2015 wollen französische Wissenschaftler herausgefunden haben, dass damals Wellen den Meeresboden vor Bristol zum Vibrieren und damit, nun ja, zum Brummen brachten.
Betroffene wurden nicht ernst genommen
Jahrelang wollte niemand außer den Betroffenen selbst das Thema ernst nehmen. Wissenschaftler ließen erst recht die Finger davon. Es handle sich bei dem Geräusch vermutlich um einen „40-Hertz-Tinnitus“, spekulierte 1979 das englische Magazin „New Scientist“ leicht belustigt. Und illustrierte seinen Beitrag „Über das Mysterium von Menschen, die einen Brummton hören“ mit ein paar fetten Schmeißfliegen.
Anfang der 90er Jahren schließlich begann „The Hum“, die Bewohner der Hippie-Stadt Taos in New Mexico zu terrorisieren. Einige Auserwählte – genauer gesagt: zwei Prozent der New-Age-afinen Bevölkerung – hörten plötzlich ein sattes Brummen. Die US-Regierung, von den Bewohnern verdächtigt, irgendwie für das „Taos Hum“ verantwortlich zu sein, schaltete sich ein; Wissenschaftler der University of New Mexico machten sich mit Messgeräten auf, das Geheimnis von Taos zu lüften. Und mussten zwei Jahre später kleinlaut bekennen: „The Hum ist ein Mysterium.“ Zwar waren sich die Experten einig, dass es sich bei dem Brummen um tieffrequenten Schall beziehungsweise Infraschall handelt, um extrem tiefe Töne also unterhalb von 80 Hertz. Eine Quelle dafür konnten sie jedoch in der Einöde New Mexicos nicht ausmachen. Erst recht vermochten sie nicht zu sagen, warum einige Menschen diese Töne hören und andere nicht.
„The big Hum“ hütet bis heute sein Geheimnis. In Deutschland machte es Ende des vergangenen Jahrtausends erstmals von sich reden, als im schwäbischen Bauerndörfchen Gäufelden-Taiflingen die Tiefkühltruhe von Achim Häußer in Verdacht geriet, ein echter Brummer zu sein. Doch die Truhe war unschuldig. Das Brummen lag in der Luft, und es ließ sich weder von Akustikexperten des Gewerbeaufsichtsamts in Stuttgart noch vom Landesamt für Umweltschutz in Karlsruhe lokalisieren.
Im Gegenteil: Immer mehr Menschen im Ländle nahmen es wahr. Im Umweltministerium von Baden-Württemberg gingen Hunderte von Beschwerden ein. Das Brummen blieb. Auch eine Strafanzeige gegen unbekannt wegen Körperverletzung bei der Staatsanwaltschaft Stuttgart zeigte keinen Erfolg. Es brummte weiter.
Inzwischen haben sich sogar die „Bundesanstalt für Geowissenschaften und Rohstoffe“ und das Bundesumweltamt mit dem Phänomen des mysteriösen Brummens beschäftigte. Ergebnis: Keiner weiß genau, was wo brummt. Während die Bundesanstalt 2002 zu dem Schluss kommt, dass der Ton vermutlich „nicht durch Infraschallquellen erzeugt wird, sondern auf andere Ursachen zurückgeführt werden muss“, sehen die Kollegen vom Bundesamt die Dinge komplett anders. In ihrer 2014 veröffentlichten „Machbarkeitsstudie zu Wirkungen von Infraschall“ heißt es: „Am meisten führten Anlagen der Energieerzeugung und des Energietransports sowie raumlufttechnische Anlagen zu Beschwerden über Infraschall und tieffrequente Geräusche.“ Für etwa jede zehntes Brummen allerdings hatten auch sie keine Erklärung. In der Kölner Südstadt wird man das nicht gerne hören.