Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

„Man bekommt viel zurück“Die Telefonseelsorger retten Leben

Lesezeit 3 Minuten
Telefonseelsorge

Annelie Bracke, Leiterin der Kath. Telefonseelsorge Köln

Köln – Nach dem Beginn des Ukrainekriegs wurde die Angst zum dominierenden Thema der Gespräche, die die ehrenamtlichen Kräfte der Katholischen und Evangelischen Telefonseelsorge Kölns führten. „Ängste, die das eigene Leben betreffen, spielen weiterhin eine große Rolle, aber sie werden aktuell kaum noch im Zusammenhang mit dem Krieg benannt“, sagt Annelie Bracke, Leiterin der katholischen Einrichtung.

Deutlich zugenommen hätten auch Stress und emotionale Erschöpfung, die oft im Zusammenhang mit körperlichen Beschwerden und familiären Belastungen stünden.

Menschen brauchen das ganze Jahr Unterstützung

In der Hoch-Zeit der Corona-Pandemie seien Einsamkeit und depressive Verstimmungen das „Thema Nummer eins“ gewesen; immer noch häufig gehe es darum besonders oft. Kein Wunder, dass in Zeiten, in denen eine Krise auf die andere folgt, allgemein „die innere Anspannung steigt“, wie Bracke sagt. Bei vielen Menschen seien „die Reserven aufgebraucht“, fügt Dorit Felsch hinzu, Leiterin der Evangelischen Telefonseelsorge Köln.

Umso wichtiger, dass sich Menschen an allen Tagen des Jahres rund um die Uhr rasch und kostenlos Beratung und Unterstützung holen können, wenn sich ihre Bedrängnis zuspitzt. Dafür brauchen die Telefonseelsorge-Stellen dingend neue Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter.

Doch die Resonanz auf Aufrufe zur Mitarbeit war in diesem Jahr bisher zu gering. Über die Gründe lasse sich nur spekulieren, sagt Felsch. Scheuen sich mehr Menschen, ein solches Ehrenamt zu übernehmen, weil auch bei ihnen die „Reserven“ erschöpft sind? Wollen sie sich, nachdem die stärksten Corona-Einschränkungen vorüber sind, nicht durch ehrenamtliches Engagement binden?

Es werden dringend Menschen gesucht

Die neuen Ausbildungskurse der beiden Stellen beginnen im Dezember beziehungsweise Januar. Männer und Frauen werden gesucht, die sich für andere Menschen interessieren und sich auf sie einstellen können. Sie sollten belastbar sein und in der Lage sein, mit Krisen umzugehen. Die Ehrenamtlichen werden etwa ein Jahr lang ausgebildet und während ihrer folgenden Tätigkeit weiter qualifiziert. Der monatliche Einsatz beträgt etwa 15 Stunden; das schließt regelmäßige Nachtdienste ein.

Im vorigen Jahr meldeten sich bei der evangelischen Stelle so viele Interessenten, dass sogar zwei Kurse stattfanden. Seit einigen Monaten unterhält sie zwei Leitungen; daher können die Dienste teilweise doppelt besetzt werden. Es ist eine Antwort auf den hohen Bedarf in dem „Rieseneinzugsgebiet“ (Felsch) mit rund drei Millionen Einwohnern. Anrufende sollten sich darauf einstellen, dass sie nicht auf Anhieb durchkommen. Als Alternative können Ratsuchende die Chat- und Mail-Seelsorge in Anspruch nehmen.

Gespräch helfe, Anrufern, den Blick zu weiten

Als 1953 in London die weltweit erste Telefonseelsorge gegründet wurde, geschah das in der Absicht, Suizide zu verhindern. So war es auch in Berlin, als im Oktober 1956 eine private Telefonnummer für die „Ärztliche Lebensmüdenbetreuung“ in der Presse veröffentlicht wurde – die Geburtsstunde der deutschen Telefonseelsorge.

Suizidalität war in zehn Prozent der 13 000 Anrufe, die beide Kölner Stellen im ersten Halbjahr 2022 verzeichneten, ein Thema. Meist geht es darum, dass die Anrufer Suizidgedanken haben, weil ihnen ihre Situation ausweglos vorkommt. „In dieser Phase ist Telefonseelsorge als Teil der Prävention wichtig“, sagt Felsch. Das Gespräch mit jemandem, der verständnisvoll zuhört, helfe, den „Tunnelblick“ des Anrufers zu lösen, „den Blick zu weiten“.

Statistisch seien verhinderte Suizide nicht erfassbar, doch Rückmeldungen mit Dank für die Unterstützung zeigten, dass die Seelsorge am Telefon wirke. Es sind solche Erfahrungen, die Annelie Bracke sagen lassen: „In diesem Ehrenamt bekommt man viel zurück. Durch die fundierte Ausbildung, aber auch durch die Erfahrung, wie wertvoll für viele Anrufende das Gespräch mit der Telefonseelsorge ist.“

Weitere Informationen bei der Evangelischen Telefonseelsorge Köln, Tel. 0221/31 71 59, telefonseelsorge.kirche-koeln@ekir.de, und bei der Katholischen Telefonseelsorge Köln, Tel. 0221/25 70 184, mail@telefonseelsorge-koeln.de.