Kölner UniklinikAußergewöhnliche Herzoperation rettet 83-Jährigem Patienten das Leben
Im Herzzentrum der Uniklinik Köln ist eine neue Operationstechnik angewandt worden, die die Bezeichnung „atemberaubend“ verdient. Auf den ersten Blick klingt die Operation, um die es geht, nicht spektakulär. Der 83 Jahre alte herzkranke Heinrich-Josef Schmitz brauchte eine neue Mitralklappe, seine eigene war undicht. Ist eine Herzklappe undicht oder schließt nicht richtig, spricht man von einer Insuffizienz. Eine Mitralklappen-Insuffizienz ist die zweithäufigste Herzklappenerkrankung. Häufiger ist die Verengung (Stenose) der Aortenklappe. Keine große Sache, so ein Klappenersatz. Sollte man meinen. Fast schon Routine. Aber das, was Professor Stephan Baldus, Direktor der Klinik für Kardiologie, über den vorliegenden Fall schildert, ist alles andere als alltäglich.
Eigentlich hatte Patient Schmitz keine Chance
Denn der Patient hat nicht nur ein geschädigtes Herz. Es ist auch eins, das ein paar Besonderheiten aufweist. Diese bereiten den Ärzten des Herzzentrums zunächst Kopfzerbrechen. Es geht um ein Klappensegel, das zu lang ist, und einen Herzmuskel, der zu kräftig ist. Tritt beides zusammen auf, ist das fatal. „Wenn wir die neue Klappe ohne Vorbehandlung und wie sonst üblich über die Herzspitze eingesetzt hätten, wäre das alte Segel gegen den Herzmuskel gedrückt worden und hätte verhindert, dass das Blut ausgeworfen werden kann“, sagt Stephan Baldus. Dieser sogenannte transapikale Zugang, bei dem ein etwa acht Zentimeter großer Schnitt am Brustkorb gesetzt und dann die Herzspitze geöffnet wird, schien zunächst versperrt.
Für eine konventionelle Öffnung des Brustbeins, um die Herzklappe zu ersetzen, war der Patient nicht stabil genug. Über die Leiste – wie bei einer Aortenklappe – lässt sich die Mitralklappe nicht zum Herzen transportieren. Dafür ist sie mit einer Öffnungsfläche etwa fünf Quadratzentimetern zu groß. Fazit: Eigentlich hatte der 83-Jährige keine Chance. Und doch wagte das mehrköpfige Ärzteteam die Operation. Sie sahen eine einzige Möglichkeit, dem Patienten zu helfen: Das störende Segel und damit die Engstelle mussten aus dem Weg geräumt werden. Um es vorweg zu nehmen: Eine Woche nach dem Eingriff sitzt der Familienvater in der Klinik vergnügt auf der Bettkante. In ein paar Tagen geht es nach Hause nach Bliesheim zu Frau, drei Kindern und fünf Enkeln. Eins ist dem Karnevalsbegeisterten wichtig, zu betonen: „Ich stamme ursprünglich aus dem Vringsveedel, geboren im Klösterchen.“
Neues Verfahren machte den Eingriff möglich
Das schier unüberwindlich scheinende Problem ließ sich nur im Zusammenspiel zwischen Kardiologen und Chirurgen im Herzzentrum lösen. Das „Health-Team“ stand unter der Leitung der Kardiologen Professor Stephan Baldus und Oberarzt Dr. Matti Adam sowie der Herz-Thorax-Chirurgen Professor Thorsten Wahlers und Oberarzt Dr. Elmar Kuhn. Die Spezialisten näherten sich der defekten Klappe von zwei Seiten. Die Kardiologen führten einen Draht zum Herzen und spalteten das lange und steife Segel. Der Draht, der in einer langen Schlaufe durch den Körper geführt wurde und dabei alle vier Höhlen des schlagenden Herzens durchfuhr, hat einen Durchmesser von 0,356 Millimeter.
„Wir haben einen feinen, an der Spitze zu einer Schlinge geformten Draht mit einem Katheter über eine Vene von der Leiste zunächst in die rechte Seite des Herzens geführt. Vom rechten Vorhof sind wir in den linken, um von oben Zugriff auf die Mitralklappe zu bekommen“, sagt Professor Baldus. Damit war das Segel noch nicht bezwungen. „Der Draht wird von außen unter Strom gesetzt. Dadurch entsteht an der Drahtspitze so viel Energie, dass man das Segel relativ elegant zerteilen kann.“ In einer Videoanimation wird deutlich, wie an dem Draht gezogen wird, das Gewebe wie ein Vorhang aufschwingt und das Blut freie Bahn hat und ungehindert strömen kann.
Auch zu Corona-Zeiten auf Herzbeschwerden achten
Als der Weg im Innern frei geräumt war, setzten die Chirurgen die Mitralklappen-Prothese durch die schon vorher von außen geöffnete Herzspitze ein. In Europa sind die Kölner Herzspezialisten die ersten, die mit dieser Technik operiert haben. „Das Konzept, dass man diesen Draht unter Strom setzen kann, haben amerikanische Wissenschaftler entwickelt und veröffentlicht. Wir standen zur Vorbereitung des Eingriffs mit den amerikanischen Kollegen intensiv über Telefon- und Videokonferenzen in Kontakt und haben die OP gemeinsam geplant. Ohne die Coronabeschränkungen wären die Kollegen sicher auch leibhaftig dazu gekommen“, sagt Kardiologe Adam.
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Im Zusammenhang mit der Corona-Pandemie appelliert Professor Baldus: „Wenn jemand Brustschmerzen oder akute Luftnot verspürt, sollte er oder sie nicht zögern, sich helfen zu lassen. Die Corona-Pandemie darf die Behandlung von Herz-Kreislauf-Erkrankungen nicht verhindern oder verzögern. Außerdem wissen wir, dass Patienten mit einer Herz-Kreislauf-Erkrankung eine ungünstige Prognose bei einer Corona-Infektion haben. Dass Nichtannehmen von Hilfe ist einer der wichtigsten Treiber für eine erhöhte Sterblichkeit bei Herz-Kreislauf-Erkrankten in den vergangenen zwölf Monaten.“ Herz-Thorax-Chirurg Elmar Kuhn betont: „Kranke Menschen werden selbstverständlich weiterbehandelt. Wir operieren auch weiter.“ Sein Kollege Matti Adam ergänzt: „Trotz Pandemie läuft die reguläre Versorgung im Herzzentrum weiter. Und wie die Operation von Herrn Schmitz beweist, stellen wir uns nach wie vor den besonderen medizinischen Herausforderungen.“