Kölns Ex-OB Fritz Schramma zum Tod seines Sohnes„Was die Raser tun, ist nicht hinnehmbar“
Köln – Im März 2001 starb der Sohn des damaligen Oberbürgermeisters Fritz Schramma bei einem Verkehrsunfall am Rudolfplatz. Zwei Autofahrer (22, 24) hatten sich ein Rennen geliefert, einer raste in eine Menschengruppe. Stephan Schramma war sofort tot. Er wurde 31 Jahre alt. Erstmals äußert sich jetzt sein Vater in einem großen Interview über die schlimme Zeit danach. Bis heute hat er das Geschehen nicht verarbeitet.
Herr Schramma, in den vergangenen Wochen sind in Köln und Leverkusen bei drei Raser-Unfällen zwei Menschen getötet worden. Wie nehmen Sie solche Nachrichten auf?
Meine Frau und ich haben über diese Fälle gesprochen. Ich frage mich: Warum hört das nicht auf? Warum werden die Menschen nicht klüger? Ich habe großes Mitgefühl mit den Familien der Gestorbenen. Ich kann nachempfinden, was sie gerade durchmachen.
Welche Erinnerungen haben Sie an den 31. März 2001, als Ihr Sohn getötet wurde?
Morgens hatte ich mit Stephan telefoniert. Wir wollten abends zum Aufstiegsspiel der Basketballer von den 99ers. Dann sagte er aber ab, er wollte lieber seine Freundin abholen, die an dem Tag von einem Seminar zurückkam. Ich sagte zu ihm: Klar, mach das. Sie fuhren in die Stadt, kauften Möbel für ihre Wohnung. Die bestellten Sachen kamen Wochen später an. Es war makaber. Die brauchte dann keiner mehr.
Wie haben Sie von dem Unfall erfahren?
Mein Freund Winrich Granitzka (damals Leitender Polizeidirektor, d. Red.) rief mich an. Wir fuhren zu Stephan in die Klinik. Aber er war zu schwer verletzt, die Ärzte konnten ihm nicht mehr helfen.
Wie leben Sie und Ihre Familie heute mit dem Verlust?
Bis heute schaudert es mich, wenn ich an dem alten Baum an der Unfallstelle vorbeikomme. Stephans Tod ist eine Narbe, die meine Frau, meine Tochter und ich mit uns herumtragen müssen. Das prägt unser Leben. Es ist wie ein Trauma.
Wie haben Sie gegen die Trauer gekämpft? Was hat Ihnen geholfen?
Vor allem Gespräche mit Angehörigen und Freunden. Ich hatte eine Trauerfeier für die Familie und für Stephans Freunde und Kollegen gestaltet, mit Texten und Musik, die er gerne hörte. Danach war ich zwar fix und fertig, aber es war wieder ein kleiner Schritt in der Trauerarbeit. Geholfen haben auch die vielen Briefe von Eltern, die ebenfalls ein Kind verloren hatten. Manche schreiben heute noch.
Hatten Sie zwischenzeitlich überlegt, als Oberbürgermeister aufzuhören?
Anfangs gab es diese Überlegung, ja. Aber wir waren uns alle einig, dass Stephan das nicht gewollt hätte. Er war so stolz, hatte mich so toll beim Wahlkampf unterstützt. Letztlich habe ich dann damals eine Woche Auszeit genommen.
Wie halten Sie die Erinnerung an ihren Sohn wach?
Wir haben zu Hause eine kleine Familiengalerie mit Bildern. Jede Woche gehen meine Frau und ich zu seinem Grab. Den Entwurf für den Grabstein habe ich in einer Malschule gezeichnet: Es ist eine figürliche Darstellung von vier Personen, unsere Familie. Einer aus dieser Gruppe erhebt sich nach oben, und die anderen versuchen, ihn zu halten. So habe ich die Situation damals an seinem Sterbebett empfunden. Ich halte die Verortung eines Verstorbenen für sehr wichtig. Auch mein katholischer Glaube hilft mir, vor allem die Überzeugung, dass es etwas gibt nach dem Tod.
Was empfinden Sie, wenn Sie an die beiden Täter denken?
Damals spürte ich Wut, vielleicht auch latente Rachegelüste. Inzwischen denke ich am liebsten gar nicht mehr an sie. Ich befürchte, dass dann wieder Dinge hochkommen in mir. Letztlich ist das nicht ganz verarbeitet.
Woran liegt das?
Vor allem an der Art und Weise, wie beide im Nachhinein, auch während des Gerichtsprozesses, damit umgegangen sind. Ich halte das für unmenschlich und unmöglich. Bis heute. Ich bin froh, wenn ich ihnen nicht mehr begegnen muss.
Was hat Sie so enttäuscht?
Ich hätte eine offene Form der Entschuldigung von ihnen erwartet. Aber die gab es nicht. Nur eine Stellungnahme der Anwältin, um vor Gericht eine mildere Strafe zu erreichen.
Was hatten Sie sich erhofft?
Ein einfaches, ehrliches Wort: „Herr Schramma, wir haben etwas Schlimmes getan, das tut uns leid, wir wollten niemanden verletzen oder sogar töten.“ Aber sie haben ja nicht einmal versucht, Kontakt aufzunehmen. Ihre Eltern übrigens auch nicht. Auch das kann ich nicht nachvollziehen.
Was hätten Sie den beiden gesagt?
Ich hätte ihnen klargemacht, welch unsägliches Leid sie einem zufügen durch eine Tat, die absolut verwerflich ist. Ich bin kein Oberlehrer, und ich weiß auch, dass junge Menschen mal Mist machen. Aber wenn man mit ihnen darüber sprechen kann, vielleicht sogar eine Verhaltensänderung bewirken kann, dann wäre wenigstens ein bisschen was gewonnen.
Wie haben Sie den Gerichtsprozess erlebt?
Ich war nur an einem von 52 Verhandlungstagen dabei, ich wollte vermeiden, dass es später heißt, ich hätte Einfluss nehmen wollen. Aber meine Frau war jedes Mal dabei. Für sie war es zermürbend, der Unfall kam mehrfach in allen Einzelheiten zur Sprache.
Welche Erwartungen hatten Sie an das Urteil?
Dass es ein bisschen Gerechtigkeit schaffen könnte. Ich wollte, dass die Täter eine Sanktion bekommen. Was sie getan haben und was andere Raser tun, ist nicht hinnehmbar, das muss bestraft werden. Ich hätte übrigens auch erwartet, dass die beiden wenigstens vor Gericht mal selbst etwas dazu gesagt hätten. Aber sie ließen sich durch eine türkische Dolmetscherin vertreten – was ja, Stichwort Integration, eine Idiotie ist. Die Jungs sind in Vingst geboren. Die können sich sehr wohl auf Deutsch unterhalten, wenn sie das wollen.
Die Männer wurden in erster Instanz zu drei Jahren Gefängnis, in zweiter Instanz zu zwei Jahren Haft auf Bewährung verurteilt. Empfinden Sie das als gerechte Strafe?
Tja, was stellt man sich da als gerecht vor? Von einer Haftanstalt halte ich in dem Zusammenhang wenig. Ich war zwölf Jahre im Gefängnisbeirat, habe mit vielen Gefangenen gesprochen. Das hilft mir, das Bild ein bisschen klarer zu sehen. Eine Haftstrafe führt nicht unbedingt dazu, dass Täter sozialisiert oder resozialisiert werden.
Gibt es denn eine Strafe, die Ihnen und Ihrer Familie bei der Bewältigung Ihrer Trauer geholfen hätte?
Vielleicht hätten die Männer in Form von Sozialstunden aufgefordert werden müssen, an die Ringe zu gehen und Rasern zu sagen: „Leute, wir haben die Erfahrung gemacht, das ist unheimlich gefährlich, lasst das sein.“ Aber am Ende bleibt dieser eine Satz, den meine Frau und ich schon so oft gesagt haben: All das bringt uns unseren Sohn auch nicht wieder.
Fritz Schramma (CDU) war von 2000 bis 2009 Oberbürgermeister in Köln. Ein knappes Jahr nach dem Tod seines Sohnes initiierten Fritz Schramma und seine Ehefrau Ulla den Kölner Verein „Opferhilfe e.V.“ Bis heute engagieren sie sich für den Verein, der unbürokratisch Opfern von Unfällen und Verbrechen hilft.