Komfort statt SchreibtischeSiemens Köln ist umgezogen und hat Ehrenfeld verlassen

Der Chef der Siemens-Niederlassung Köln Stephan Drouvé (l) und der Betriebsratsleiter Thomas Kleinstück (r)
Copyright: Michael Bause
Köln – Bei Siemens hat die Zeit nach Corona schon einen Namen: „New Normal“ hat das Unternehmen ein Konzept für das Arbeitsleben nach der Pandemie genannt. Die „Neue Normalität“, die sich mancher herbeisehnt und andere herbeireden, ist eine andere als die vor dem Pandemieausbruch. Ein Ortstermin im neuen Domizil für rund 1000 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in Mülheim zeigt, was das praktisch heißt.
Das Arbeiten im Büro wird sich verändern. Zwei bis drei Tage Homeoffice pro Woche werden zur Selbstverständlichkeit, im Büro hat fast keiner mehr einen eigenen Schreibtisch – und die stehen deutlich weiter auseinander, als es die staatliche Arbeitsstättenverordnung vorschreibt. Mehr Abstand erhöhe den Gesundheitsschutz.
Viele Annehmlichkeiten am neuen Arbeitsplatz
Siemens wechselt die Rheinseite. Das alte Domizil in Ehrenfeld ist verwaist, das Mobiliar komplett versteigert. Nun soll es auf dem ehemaligen Güterbahnhofgelände in Mülheim weitergehen. Siemens gehört zu den ersten, die Büros des riesigen Stadtentwicklungsprojekts „ID Cologne“ beziehen. Die neue Adresse heißt in Anspielung auf die große industrielle Vergangenheit „Am Kabellager“, so der neue Straßenname an der Schanzenstraße. Die Kölner Niederlassung des Unternehmens bezieht eine topmoderne neue Immobilie, mit hellen Räumen, echtem Komfort und allerlei Annehmlichkeiten, die Erwerbsarbeit angenehmer machen.
Corona führte zu Umplanungen
Vor zweieinhalb Jahren habe man mit den Planungen zur Ausgestaltung der Räume begonnen, so Niederlassungsleiter Stephan Drouvé. „Dann kam Corona. Und wir haben komplett umgeplant.“ Die Erfahrung mit dem Homeoffice habe nicht dazu geführt, dass man weniger Flächen brauche. Allerdings habe man sie neu aufgeteilt: Weniger Schreibtische, mehr Besprechungsräume – einige ganz klassisch um Tischgruppen, andere mit recht ungewöhnlichem Mobiliar: bequeme Sessel, gemütliche Sofas, Platz für einen Kicker oder Freiluft-Golf im begrünten Innenhof, eine Sitzlandschaft mit Holzkisten, die eher an ein Kinderspielzimmer erinnert, Kaffeebars mit Tresen und kostenlosen Getränken oder auch Terrassen und Balkone, um mal draußen zu sitzen. Konferenzen übers Internet mögen effektiv sein, so Drouvé. „Aber es ist auch wichtig, dass sich Mitarbeiter sehen und persönlich austauschen. Der Mensch braucht den sozialen Kontakt, den gemeinsamen Kaffee oder ein gemeinsames Essen.“

Einer von vielen Besprechungsräumen im neuen Domizil an der Schanzenstraße.
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Wer bei Siemens arbeitet, kann sich seine Arbeitszeit in Zukunft flexibel aufteilen. Wenn nicht im Homeoffice gearbeitet wird, meldet man sich übers Internet an. Ein von Siemens gekauftes Start-up-Unternehmen hat die „Comfy-App“ entwickelt, mit der man in den Räumen seiner Abteilung einen Schreibtisch reserviert, Konferenz- oder „Colaboration“-Räume bucht und allerlei andere das Arbeitsleben erleichternde Dinge tun kann. Die App zeigt an, was frei ist.

„Neue Normalität“ mit bequemen Sitzgelegenheiten
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Jeder Mitarbeiter hat ein Schließfach, aus dem er seine persönlichen Dinge, seine Tastatur und seine Computermaus holt. Er hat direkten Zugriff auf technische Geräte, aber auch auf die Regulierung von Raumtemperatur oder Jalousien. Sitzt man am gebuchten Ort, wird das mit einer Technik registriert, die gleichzeitig die Luftqualität an jedem einzelnen Arbeitsplatz messen kann. Und wenn man sich im Haus verlaufen sollte, hilft die App bei der Navigation zur nächsten Kaffeebar oder ins Chefbüro. Die schöne, neue Technikwelt dürften bei manchem auch für Befürchtungen sorgen. Doch die neuen Möglichkeiten sollen nicht dazu dienen, die Arbeitnehmer besser zu kontrollieren, sagt Drouvé.

Jede Mitarbeiterin und jeder Mitarbeiter hat ein eignes Schließfach.
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Welche Auswirkung die neue Arbeitsorganisation das auf die Anzahl der individuellen Arbeitsplätze hat, kann man bislang nur schätzen. Mit dem Umzug hat Siemens die Zahl der Schreibtische um rund 30 Prozent reduziert. Unternehmensleitung und Betriebsrat gehen davon aus, dass man noch weiter gehen kann.
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„Natürlich hat das nicht jedem gefallen“, sagt Betriebsratsvorsitzender Thomas Kleinstück. Nicht jeder könne sich damit anfreunden, keinen eigenen Schreibtisch mehr zu haben. „Aber wenn man sich das vor Ort ansieht, verfliegt bei den meisten die Skepsis“, ist sich der Arbeitnehmervertreter sicher. Das liegt sicher auch daran, dass das Gebäude aus dem man ausgezogen sei, in keinem guten Zustand mehr gewesen ist. Außerdem war es nach dem Arbeitsplatzabbau der vergangenen Jahre viel zu groß geworden. Es war einst für 2500 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter konzipiert worden. Zuletzt waren es noch 750. Siemens hat noch einige andere Standorte in Köln. Insgesamt zählt das Unternehmen aktuell noch 1300 Beschäftige in Köln.
"Vertrauensvolle Unternehmenskultur"
Aus Sicht von Drouvé und Kleinstück ist die „Neue Normalität“ im Betrieb auch Ausdruck eines guten Miteinanders. Ohne eine „vertrauensbasierte Unternehmens- und Führungskultur“ sei die Neuorganisation nicht machbar. Gute Arbeitsbedingungen und mehr individuelle Gestaltungsmöglichkeiten würden dazu beitragen, dass Mitarbeiter beste Leistungen erbringen. Man orientiere sich an Ergebnissen, nicht an der Präsenz im Büro. Siemens sieht sich mit seinem „New Normal“-Konzept als Vorreiter für die Zukunft deutscher Arbeitswelten.