Meine RegionMeine Artikel
AboAbonnieren

Konturen eines leisen KönnersNachruf auf den Kölner Antiheld Peter Gvero

Lesezeit 6 Minuten
Peter Gvero

Peter Gvero mit seinem ver­län­ger­ten Arm, einer Ge­orge-Ben­son-Iba­nez-Gi­tarre.

Köln – Im Todesjahr der Musikhelden starb jenseits der Tränen um Prince, Bowie, Cohen, George Michael & Co. ein Kölner Antiheld. Peter Gvero hätte wahrscheinlich auch dann kein Geld mit seiner Gitarre verdient, wenn er mit seiner Band einen Hit gelandet hätte, so liebenswert lebensuntüchtig wie er war.

Musiker war Gvero trotzdem. Wenn Michael und Ralph Zimmer, seine Bandkumpels von „New Soul Xperience“, sich erinnern, entstehen Konturen eines leisen Könners der Jazzgitarre, die Skizze eines Anarchisten, Träumers, Pazifisten, Familienvaters, Clowns und 100-prozentigen Künstlers; eines Kindes, das sich weigerte, erwachsen zu werden. Ein Typ, der keine Behördenbriefe öffnete und seinen Kunden nie, nie etwas aufdrängen wollte. Der jede Situation in eine Slapstick-Szene verwandeln konnte und der ein Romantiker war, melancholisch und treu, wissbegierig, zweifelnd und nach außen immer locker, leicht.

Gvero konnte sich über seine Gittare besonders gut ausdrücken

Mit der Musik war es Peter Gvero so ernst, dass er schrie und tagelang schmollte, wenn seine Jungs eine Probe verschieben mussten. Als die Mädels der Theatergruppe über dem Probenraum in der Vogelsanger Straße darum baten, etwas leiser zu spielen, weil sie einen Auftritt hatten, blaffte Gvero sie an: „Was ist das denn jetzt? Wir sind doch autark und machen Musik! Ihr habt uns gar nichts zu sagen!“ Er drehte den Verstärker auf und spielte ein Solo, bevor er sich wieder einkriegte und einsah, was für ein Quatsch das war. Seine George-Benson-Gitarre behandelte Gvero so sanft wie sein Held Pat Metheney; warm, melodiös, ätherisch, um ab dem nächsten Akkord ein hartes Rockbrett runterzureißen.

Fast jeder Mensch hat etwas, mit dem er sich besonders gut ausdrücken kann: Das kann die Sprache sein oder ein Handwerk, Tanz, Malerei, Fußball, Kochen, Zuhören oder Sex. Bei Gvero waren es die Gitarre und das Spiel. „Er wollte nur spielen, eigentlich wollte er immer nur spielen“, sagt Ralph Zimmer. „Wenn er eins seiner Soli in Woodstock gespielt hätte, wären die Leute ausgeflippt.“ Spielen, immer nur spielen, das trifft es wohl ziemlich gut. Und auch das Wort Wenn. Wenn er nicht so gewesen wäre, wie er war, dann. Ein großer Auftritt, das passte nicht zu ihm, er hatte schon vor einer Studioaufnahme Schweißausbrüche, und erst Recht vor einem Kneipenkonzert.

Statt über das Wetter redete er über Jazz und den Jugoslawien-Krieg

Im zweckgebundenen Leben war Peter Gvero Friseur. Er hatte einen Laden in der Lindenstraße, in dem vier Stühle, zwei Kakteen und ein Arbeitstisch standen, keine Plakate, keine Monitore, nichts, sehr reduziert, heute wäre es ein Hipster-Salon. Gvero machte das gern: Menschen mit einer passenden Frisur versehen. Wenn er merkte, dass sie reden wollten, redete er auch. Aber nicht über das Wetter, die Leute mussten schon wirklich reden wollen, Gvero redete über Atomkraft, Fremdenfeindlichkeit, Jazz und den Jugoslawien-Krieg, seine Eltern waren aus Serbien geflüchtet. Viele Serben redeten schlecht über die Bosnier, er hinterfragte, wie es zu dem Gemetzel kommen konnte, Gewalt lehnte er ab.

Über seine Kindheit redete er nicht. Sein Bruder war mit 18 abgehauen, sein Vater war mindestens störrisch. Er trug wohl nicht leicht am Rucksack der Vergangenheit, aber das war seine Sache. Als seine Mutter dement wurde, pflegte er sie bis zumTod. Unternehmer war Peter Gvero nicht, im Gegenteil. Nie wäre er auf den Gedanken gekommen, Kunden eine Tönung oder Welle aufzuschwatzen – obwohl man nur so Geld verdienen konnte. Er mochte Chemie nicht und Dauerwelle schon gar nicht. Er wollte Menschen nicht in eine Form zwingen und deren Haare auch nicht. „Ich möchte verschönern, aber nicht verändern“, sagte er. „Es soll natürlich aussehen.“

Peter Gvero2

Peter Gvero (mitte) mit seinen Bandkollegen von „New Soul Xperience“.

Groß und schlank war Gvero, ein bisschen schlaksig, die Haare trug er lang; seine Tage begannen mit einer Nassrasur. Als seine Kundin Maria ihn zum ersten Mal sah, dachte sie: „Puh, sieht der gut aus. Wahrscheinlich ein Frauenschwarm, der von Bett zu Bett schwirrt.“ Gvero dachte, als er Maria zum ersten Mal sah: „Die will ich heiraten, die und nur die.“ Er vertraute seiner Intuition, die er für weitaus zuverlässiger hielt als den Verstand. Zwei Jahre später heirateten Peter und Maria, die Kinder Nicolai und Pauline sind heute 26 und 27.

In andere Betten gehüpft ist Gvero nie, er hat seine Maria immer vergöttert. Sie hatte ihn so genommen, wie er war und sein wollte; so wie er nie jemanden verändern wollte, wollte sie ihn nie verändern, und das war manchmal eine Leistung. Gvero interessierte sich nicht für Geld, nicht für Businesspläne, Lohnabrechnungen, nicht für Steuererklärungen. Er lächelte so etwas weg, wenn man ihn fragte. Er war Anfang der 1990er Jahre zwar einer der jüngsten Friseurmeister der Stadt, aber auch als solcher Künstler, nicht Hochleister und Funktionierer.

Dana Schweiger finanzierte eine Studioaufnahme für die Band

„Er hätte schon gern mehr verdient, um den Kindern etwas mehr zu bieten“, sagt Maria. Er hätte sich auch gern eine Jazz-Gitarre bauen lassen. „Aber er war immer etwas hilflos, wenn es darum ging, geschäftlich zu denken. Er hat eher versucht, auf dem Flohmarkt ein paar Mark zu verdienen, als einen Plan zu machen.“ Dass er nicht in die Geschäftswelt passte, nicht in diese Welt der großen Vernunft, bekam er nicht nur mit Rechnungsmahnungen zu spüren. Gehasst hat er die Sprüche, die spöttisch, aber gut gemeint sein konnten. „Das Gefühl, nicht für voll genommen zu werden, war das Schlimmste für ihn“, sagt Maria. Von seiner Musik waren die Leute immer überzeugt.

1994 hörte Dana, die damalige Frau von Til Schweiger, die Jungs in der Orangerie am Volksgarten und finanzierte danach Studioaufnahmen. Mit einem Plattenvertrag klappte es nicht, vielleicht auch, weil sie immer nur spielen wollten, aber nicht wussten, wie man sich vermarktet.

In den vergangenen Jahren lief es ganz gut. Mit „New Soul Xperience“ hatten sie einen guten Auftritt bei einer Aids-Gala im Maritim und ein paar umjubelte Konzerte in Kneipen. „Wir wollten nochmal richtig loslegen, unser Video »The funky Side« haben auf Youtube über 5000 Leute geguckt“, sagt Ralph Zimmer. „Und alle Daumen gehen nach oben.“ Gvero hat sich über jeden Klick und jeden Daumen gefreut, er hat ständig nachgeschaut.

Das fertige Video von „Du bist“ hat er nicht mehr gesehen

Im Herbst 2015 waren Ralph, Michael und Gvero in Holland, um ein Video für den Soulsong „Du bist“ zu drehen. Es sollte wieder der Durchbruch werden, es wurden immerhin „die schönsten Tage des Jahres“, sagte Gvero. Immer wieder fragte er Ralph, wann das Video endlich fertig sei.

Ende Januar 2016 verabschiedete Gvero sich aus Marias Kinderkleiderladen „Adieu Tristesse“ in der Moltkestraße mit den Worten: „Tschüss, bis gleich dann.“ Er wollte kochen, am nächsten Tag würde er seiner Tochter beim Umzug helfen. In der Küche bekam er stechende Bauchschmerzen. Als Maria nach Hause kam, rief sie den Rettungswagen. Die Ärzte sagten, er müsse notoperiert werden, ein Aneurysma im Bauchraum. Das fertige Video von „Du bist“ hat er nicht mehr gesehen.

Zu seiner Abschiedsfeier kamen über 300 Menschen, die Gitarre stand wie ein Schrein im Raum. Ein paar Wochen später brachte Ralph Zimmer Gveros Instrument zu einem Gitarrenbauer, er wollte die Gitarre restaurieren lassen, um Peters verlängerten Arm in würdiger Erinnerung zu behalten. Niemand hatte das Instrument seit der letzten Probe fünf Tage vor seinem Tod angefasst. Der Gitarrenbauer sagte, da lasse sich leider nichts machen, die Gitarre sei tot. „Kann nicht sein“, sagte Ralph. „Doch, bei meiner Ehre“, sagte der Gitarrenbauer. „Die ist tot, da bekommen Sie keinen Ton mehr raus.“