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Kräuterwanderung in JunkersdorfEintauchen in die Welt der wilden Kräuter

Lesezeit 6 Minuten

Geführte Kräuterwanderung in der „Wildkräuterei“ in Junkersdorf

Köln – Jacqueline Steimmer (21) betritt Neuland. Feuchtes Neuland, solches, das nach Regen im Sommer riecht: Nach Wilder Möhre, Malve, Wiesenbärenklau und Brennnessel. Gemeinsam mit ihrer Mutter Ela macht die Studentin, die in einer Zweier-WG in Kalk lebt, eine Kräuterwanderung. In der „Wildkräuterei“ in Junkersdorf möchte sie mehr über das erfahren, was im Garten ihrer Mutter, auf ihrem Balkon, am Rand von Wiesen, Wäldern, Wegen und Straßen wächst.

Nach einer Studie des Umweltbundesamts aus dem vergangenen Jahr gehören nur für 21 Prozent der 14- bis 25-Jährigen eine intakte Umwelt und die Möglichkeit, Natur zu genießen, zu einem guten Leben dazu. Hört man sich dagegen bei heimischen Kräuterexperten um, loben die, dass es gerade die Jüngeren sind, die sich fürs wilde Gärtnern und die heimische Kräuterküche interessieren. Die Wahrheit liegt wohl irgendwo in der Mitte.

Natur anders wahrnehmen und erleben

Jacqueline Steimmer ist Anhänger derer, die grüner werden. Sie trägt zur Wanderung Turnschuhe, die bemalt sind, mit Sprüchen; auch mit Blumen. Dazu eine schwarze Wollmütze, Turnbeutel auf den Rücken, ein weites T-Shirt, Piercings in Lippe und Nase, große Tattoos. Auf die Frage, warum sie ihren Vormittag in einem Wildgarten in Junkersdorf verbringt, antwortet sie: „Weil ich die Natur anders wahrnehmen und erleben möchte.“

Jacqueline Steimmer möchte die Natur anders wahrnehmen.

Mica Frangenberg (50) kennt solche Sätze. Sie hat oft mit Menschen zu tun, die ihre Bindung zur Natur über die Jahre verloren haben und sie bei ihr wiederfinden wollen. Frangenberg weiß, wie das geht. Sie ist nicht als typisches Landkind aufgewachsen, wie sie sagt, und musste sich ihre Bindung zur Natur als Städterin selbst erarbeiten.

Bevor sie vor vier Jahren zertifizierte Kräuterpädagogin wurde, interessierte sie sich bereits jahrelang für die Natur und für das, was sie hervorbringt. Als sie 2009 eine Kräuterpädagogin in der Eifel begleitete, war sie beeindruckt davon, was die Natur geben kann: das Ernten, die Bewegung, das Gefühl, sich ein Stück weit unabhängig machen zu können.

„Das macht einen sehr stark“, sagt sie. Mittlerweile gibt sie die Stärke weiter. Als Ausbilderin, in Kochkursen oder eben beim Kräuterwandern.

4000 Quadratmeter Wildnis und Glück

Ihr Garten in Junkersdorf ist dabei Basis für all das. 4000 Quadratmeter „großes Glück und kontrollierte Wildnis“ zugleich, wie Frangenberg sagt. Ihr Motto: Lass mal ’rüberwachsen. Die Briten nennen das „lazy gardening“, faules Gärtnern also. Bekannt geworden durch Remo Vetters Buch „The Lazy Gardener“ und geteilt in grünen Blogs und Gartenmagazinen, ist es längst zu einem Trend für Gartenliebhaber geworden.

„Viele Ecken unserer Stadt könnten genauso aussehen, wenn wir nicht alles direkt wegmähen würden“, sagt Frangenberg. Sie ermuntert dazu, die Pflanzen als Ganzes zu sehen. Zum Beispiel Radieschen: „In der Blüte steckt alles drin, was die Pflanze geben kann – warum essen wir sie dann nicht?“

Die Notizblöcke werden gezückt, die Runde der Kräuterwanderer ist ein Querschnitt durch die Bevölkerung: Jacqueline ist die Jüngste, ernährungsbewusste Mittvierziger mit Digitalkamera und Wanderschuhen zählen genauso dazu wie der ältere Herr mit weißem Hemd und Haar.

Die Teilnehmer riechen, probieren, schmecken die Pflanzen.

Die Tipps und Infos werden aufmerksam registriert – egal, ob es um den Dost als Gewürzersatz für Oregano oder Majoran geht, um die Gesundheit von Bitterstoffen in Wildkräutern, die die Verdauung anregen und den Blutzuckerspiegel merklich senken, oder um all die Mythen, die sich um den Fuchsbandwurm, das Johannis-Kreuzkraut oder den Riesenbärenklau ranken.Mica Frangenberg rät zum Informieren, zu Ruhe und Bauchgefühl. „Unser Körper weiß, was gut für uns ist.“

Auch auf ihrem Spaziergang ermuntert sie dazu, Wildkräuter mit allen Sinnen zu erleben: riechen, anfassen, probieren. Ihre Scheu verlieren die Teilnehmer der Wanderung so rasch, wie die Kräuterexpertin zu Beginn prophezeit hat. Blüten und Blätter wandern immer schneller in die Münder; auch bei Jacqueline, die damit „gar kein Problem“ hat.

Christine Knauft (30) ist Fachfrau, wenn es darum geht, Wildkräuter möglichst schmackhaft zuzubereiten. Die Kräuterpädagogin und Fachfrau für Bio-Gourmet-Ernährung aus Ehrenfeld, beobachtet in ihren Kochkursen den Trend vieler junger Leute, „die einen anderen Weg einschlagen wollen“. Beim Erstkontakt seien die meisten oft überwältigt davon, was die heimische Pflanzenwelt für enorme Möglichkeiten biete, sagt sie.

Glaubt man einer aktuellen Studie des Umweltbundesamtes, sind junge Menschen zwischen 14 und 25 Jahren vor allem in puncto Ernährung dazu bereit, etwas für die Umwelt zu tun: Fisch aus nachhaltiger Fischerei, weniger Fleisch, Kräuter aus dem eigenen Garten. Die Gründe dafür, sagt Knauft, seien unterschiedlich.

Sterneküche hat den Wildkräuter-Trend entdeckt

„Viele haben davon gehört, dass es so etwas wie essbare Pflanzen in der Stadt gibt und möchten dem einfach nachgehen“, sagt die Kräuterexpertin. Ein Trend, den auch die Sterneküche für sich entdeckt hat. Immer häufiger findet man auf den Speisekarten mittlerweile Drinks auf Weinraute-Basis, Malve als neuen Spinat und Pastinake als Trendgemüse.Anja Block (25) ist wie die anderen Teilnehmer des Kräutergangs im Anschluss um das breite Angebot an Leckereien versammelt. Nach Gelees, Pasten und frischen Säften zieht sie bei einer Wildkräuterlimonade Bilanz.

„Ich habe viel mitnehmen können und viel notiert“, sagt die angehende Theologin aus Leverkusen. So könne sie jetzt zwischen Brenn- und Taubnessel (die zwar ähnlich aussieht, aber keine Brennhaare zum Schutz gegen Fressfeinde besitzt) unterscheiden, habe neue Gewürzkräuter kennengelernt – und will den Wildkräutersalat in Zukunft häufiger mit Löwenzahn anrichten.

Mica Frangenberg verrät zwei ihrer Lieblingsrezepte zum Nachkochen

Blumenstrauß-Salat

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Gänseblümchen: Nicht zum angucken schön, sondern auch lecker.

2 Handvoll Blüten nach der Jahreszeit gemischt: Gänseblümchen, Rotklee, Löwenzahn, Taubnessel, Margeriten, Wiesenkerbel, Weidenröschen, Spitzwegerichknospen, Ringelblumen, Kapuzinerkresse, Malve, Tannen-/Fichtenspitzen, 1 Handvoll Fette Henne, 1 Handvoll Wiesen-Labkraut (Sproßspitzen), 1 Apfel oder 1 Salat, 2 EL Distelöl, 1 EL Obstessig, 2 EL Apfelsaft, Salz.

Wiesen-Labkraut, fette Henne oder Salat waschen und abtropfen lassen. Apfel in kleine Würfel schneiden und den Eisbergsalat zerpflücken. Gelbe Blüten von Löwenzahn oder Ringelblumen aus dem grünen Körbchen zupfen. Blätter mit Blüten und Apfelstückchen vermischen. Eine Marinade aus Essig, Öl und Apfelsaft rühren und mit Salz abschmecken. Alles vorsichtig miteinander vermengen und mit Blüten bestreuen.

Wiesenbärenklau-Quiche

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Der Wiesenbärenklau, den auch viele Insekten ansteuern.

Quicheteig für die Auflaufform, 200 g Wiesenbärenklaublätter und -stiele, 200 g saure Sahne, 150 g geriebener Bergkäse, 1 Ei, Pfeffer, Salz, Muskat.

Teig in die Form legen und etwas hoch ziehen, anschließend kalt stellen. Wiesenbärenklau waschen, kurz blanchieren, in einem Sieb abtropfen lassen, dann grob hacken. Saure Sahne, Käse, Ei und den Wiesenbärenklau gut verrühren und mit Salz, Pfeffer und Muskat abschmecken. Die Masse in die mit dem Teig ausgekleidete Form füllen und bei 200 Grad im vorgeheizten Ofen etwa 30 Minuten backen.