Köln-KlettenbergMit Ric und seiner Schusterlampe in die Vergangenheit reisen

Ricardo John repariert in seinem Laden Schuhe und liebt jegliche handwerkliche Herausforderung.
Copyright: Thomas Banneyer
Klettenberg – Alle Jahre wieder lässt sich an einer Stelle an der Luxemburger Straße dasselbe Szenario beobachten: Dort, wo Passanten sonst achtlos vorbeigehen, bleiben sie im Dezember stehen. Kinderhände patschen an die Fensterscheibe angesichts eines Winterszenarios, das sie im Leben noch nie gesehen haben. Und manch ein erwachsener Mann hat beim Blick auf die schneebedeckte Eisenbahnlandschaft sein nostalgisches Déjà-vu-Erlebnis.
Die Leute hätten „zwar keine Entzugs- aber durchaus Mangelerscheinungen“, stellt Ricardo John jedes Mal fest, nachdem er seine Fensterdekoration in stundenlanger nächtlicher Friemelsarbeit fertiggestellt hat.
Eine Modelleisenbahn fährt im Schaufenster
Wenn der Schuster gerade eine Hand frei hat, was nicht allzu oft passiert, weil er praktisch immer einen Schuh und ein Werkzeug hält, betätigt er einen Schalter an dem fast unsichtbaren, weil hinter der alten Schneidemaschine verborgenen Lokführerstand, und es ertönt ein Tuten, während die Modelleisenbahn im Fenster ihre Fahrt fortsetzt.
Manchmal greift der 56-Jährige auch zur Spritze, wie sie Ärzte benutzen, und drückt ein paar Tropfen Dampfdestillat in den Rauchgenerator, und schon steigt über der alten Märklin-Lok, einer „H0“, Qualm auf, wie im richtigen Leben halt – damals. Gäbe es in Klettenberg eine Liste von „Veedelsperlen“, müsste „Ric’s Schusterlampe“ ziemlich weit oben stehen.
Eine Zeitreise in die Vergangenheit
Dass durch einen Cowboystiefel an der Fassade auch von außen leicht erkennbare Geschäft ermöglicht jedem Kunden eine zauberhafte kleine Zeitreise in die Vergangenheit: Angefangen von entzückenden Schühchen in der Vitrine, die aus einer Grimms-Märchen-Verfilmung stammen könnten, von den vielen zusammengesammelten Meister- und Gesellenbriefen an der Wand, von den Handwerkzeugen, die man kaum noch kennt, gibt es bei Ric tatsächlich noch eine Schusterlampe; jenes Relikt aus der vorelektrischen Zeit, das im Wesentlichen aus mehreren Glaskugeln besteht, die mit Wasser gefüllt wurden und somit den Schein einer nahestehenden Leuchtquelle – sei es Kerze oder Petroleumlampe – wesentlich verstärkten.

Vor Weihnachten wird das Schaufenster zur Wunderwelt mit einer qualmenden Modellbahn-Lok.
Copyright: Thomas Banneyer
Ricardo John hat seine Kindheit in Paraguay verbracht, nachdem seine deutschen Großeltern 1925 dorthin ausgewandert waren. Im Gegensatz zu manch einem Nachbarskind habe er selber nie eine Spielzeugeisenbahn besessen. „Das war eine nachhaltige Erfahrung“, erzählt Ric. Und schon damals habe er sich gesagt: „Wenn ich groß bin, könnt ihr alle mal gucken kommen.“
„Ich wusste noch nicht, wohin die Reise geht“
Als zwölfjähriger Junge zog John zurück nach Deutschland und machte nach der Schule erstmal eine Ausbildung als Kfz-Mecchaniker, „weil ich noch nicht so recht wusste, wohin die Reise geht“. Was er wollte, war ein Handwerksberuf und irgendwann eine Selbstständigkeit. Nachdem er festgestellt hatte, dass er „lieber die Fußgänger unterstütze“, kam er als Seiteneinsteiger zur Schuhmacherei und wurde nach fünfjähriger Tätigkeit bei Mister Minit ohne einen Gesellenbrief zur Meisterprüfung zugelassen.
Nach einem Geschäft in Leverkusen und anschließend in Ehrenfeld ist er nun den achten Winter an der Stelle der Luxemburger Straße, bei der selbst Anwohner oft nicht sicher sind, ob es sich um Sülz oder Klettenberg handelt.

Schusterlampe als Lichtverstärker
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Ric stellt sich jeder interessanten Herausforderung
Wer spätabends am Laden vorbeikommt, sieht Ric häufig noch immer arbeiten. „Mit acht Stunden komme ich nicht ganz hin“, sagt Ric mit seinem ganz besonderen Lächeln. Das liegt daran, dass er sich neben der Reparatur von Schuhen und Taschen – wie er sagt – jeder interessanten Herausforderung stellt.
„Das ist das Salz in der Suppe.“ Dabei gehe es „nicht immer um Profit, sondern darum, eine gute Arbeit zu machen“, um die Dienstleistung am Kunden. „Da gehe ich auch schon mal in die Breite, was die Lösungspalette angeht.“
Und keine Angst, wenn Ric während des Gesprächs mit einem Kunden unter die Theke greift. Er hat da keine Waffe verborgen, lediglich ein Arsenal an Schokolädchen, von denen man bei jedem Besuch zum Abschied eins in die Hand gedrückt bekommt.
Ric's Schusterlampe, Luxemburger Straße 285a, 50939 Klettenberg, Telefon: 0221-16820023.