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Letzte Station für AmaliaNeue Pläne für ehemaliges jüdisches Waisenhaus

Lesezeit 4 Minuten

Musizierende Mädchen im Hof des Abraham-Frank-Hauses

  1. Bis zum Jahr 1941 war auf dem Grundstück an der Aachener Straße 443 das jüdische Waisenhaus beheimatet.
  2. In dem Heim sollten Voll- und Halbwaisen aus jüdischen Familien ein neues Zuhause finden. Das NS-Dokumentationszentrum hat genauere Informationen gesammelt, auch Spuren von einer ehemaligen Bewohnerin lassen sich nachverfolgen..
  3. Mittlerweile steht das Haus schon lange leer. Jetzt hat die Stadt neue Pläne für das Gebäude.

Lindenthal – Wenn es stimmt, was auf dem Grabstein von Therese Wallach steht, der sich auf dem jüdischen Friedhof in Lindenthal befindet, dann ist etwas von ihr nicht gestorben. „Stärker als der Tod ist die Liebe“, so lautet die Inschrift. Ein Teil ihrer Zuneigung ist somit vielleicht immer noch an der Aachener Straße 443 zuhause, wo sie sich einst um elternlose Kinder kümmerte. Das Gebäude, das sich heute dort befindet, steht mittlerweile schon lange leer. Bis vor wenigen Jahren war dort das griechische Lyzeum untergebracht. Jetzt hat die Stadt neue Pläne für das Gebäude.

Bis zum Jahr 1941 war auf dem Grundstück an der Aachener Straße das jüdische Waisenhaus beheimatet und Wallach seine Leiterin. Es wurde im Jahr 1876 von dem Rabbiner Abraham Frank gegründet. In dem Heim sollten Voll- und Halbwaisen aus jüdischen Familien ein neues Zuhause finden, die zur Synagogen-Gemeinde in Köln gehörten oder aus der Umgebung kamen. Das NS-Dokumentationszentrum hat genauere Informationen: „Insgesamt waren es im Schnitt wohl so um die 30 Kinder“, so schreibt Birte Klarzyk, Mitarbeiterin des Zentrums, das auch mehr Informationen über Therese Wallach hat: Sie übernahm 1925 im Alter von 30 Jahren die Leitung des Waisenhauses.

Heimauflösung im Frühjahr 1941

„Wallach war nach Meinung von Zeitzeugen eine beliebte Leiterin, streng, aber gütig und aufgeschlossen“, weiß Birte Klarzyk zu berichten. „Und sie vertrat eine liberale Weltanschauung.“ Die offene Frau musste erleben, wie sich die Stimmung in ihrem Heimatland verdüsterte, sich der Horizont vieler Mitmenschen auf dramatische Weise verengte und Mitbürger aufgrund ihrer religiösen Zugehörigkeit zunehmend ausgegrenzt wurden. Dass die Lage ernst war, muss ihr sehr bewusst gewesen sein.

Alles zum Thema Aachener Straße (Köln)

Therese Wallach war bis 1941 die Leiterin. Das Gebäude an der Aachener Straße steht derzeit leer.

Denn während der 30er-Jahre wurden im Abraham-Frank-Haus bereits Kurse angeboten, um Jugendliche und junge Erwachsene auf eine Auswanderung vorzubereiten. Für die elternlosen Kinder, die keine Chance hatten, ins Ausland zu fliehen, gab es kein Entkommen. Das Heim wurde im Frühjahr 1941 aufgelöst und die verbliebenen Kinder und Betreuer in die Ghettohäuser Cäcilienstraße und St.-Apern-Straße gebracht. Wenig ist über das Schicksal der ehemaligen Heimbewohner bekannt.

Briefe aus dem Warschauer Ghetto

Spuren gibt es beispielsweise von Amalia Banner, genannt „Malchen“. Sie wurde 1923 in der Drachenfelsstraße in Klettenberg geboren. Fünf Jahre später verstarb ihre Mutter. Amalias Vater Simon gab sie und ihre Schwester in das jüdische Waisenhaus, da er sich nicht um sie kümmern konnte. Als sich die Lage für die jüdischen Kölner im Jahr 1938 verschärfte, hatte sie bereits einen Schulabschluss in der Tasche und eine Schneiderlehre begonnen. Weil ihr Vater die polnische Staatsangehörigkeit besaß, wurde die Familie Ende Oktober 1938 im Rahmen der sogenannten „Polen-Aktion“ gezwungen, Deutschland zu verlassen.

Im Jahr 1941 schrieb Malchen ihrer ehemaligen Erzieherin Fanny Auerbach, die in die USA ausgewandert war, Briefe aus dem Warschauer Ghetto. Sie befinden sich im Nachlass des United States Holocaust Memorial Museum in Washington (USHMM) und sind dort einsehbar: „Wir bewohnen ein kleines, dunkles und feuchtes Kellerzimmer“, schreibt Amalia. „Es ist so schmal, dass wir uns alle zur gleichen Zeit dort nicht aufhalten können. Wir schlafen auf zusammenstellbaren Feldbetten, Selma und ich in einem, Vater in dem anderen.“

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Weil es keine Verdienstmöglichkeiten gäbe, würden sie ihre Kleider vom Körper verkaufen, um zu überleben. In späteren Briefen berichten sie vom Kampf gegen die Kälte. Die letzte Nachricht von Amalia Banner stammt vom 28. November 1941. Danach gibt es kein Lebenszeichen mehr von ihr. Ein halbes Jahr später, am 20. Juli 1942, wurden die in Köln verbliebenen Kinder des Waisenhauses nach Minsk deportiert und vier Tage nach ihrer Ankunft erschossen. Therese Wallach, die das sukzessive Verschwinden ihrer ehemaligen Schützlinge miterlebt haben muss, nahm sich – vor ihrer eigenen Deportation im Internierungslager Fort V Müngersdorf – am 18. Oktober 1942 das Leben. Überlebende ehemalige Kinder des Waisenhauses machten ihre Grabstätte ausfindig und stifteten den Grabstein, der an Wallach erinnert.

Therese Wallach war bis 1941 die Leiterin. Das Gebäude an der Aachener Straße steht derzeit leer.

An dem Ort, wo sie lange wirkte, wird vielleicht bald wieder Leben einziehen. Das Liegenschaftsamt verhandelt derzeit mit einem Investor über das Gebäude. „Angestrebt wird eine Kombinationsnutzung aus studentischem Wohnen und einer Kultur- beziehungsweise Begegnungsstätte, die an die Historie des Hauses anknüpft“, sagt Simone Winkelhog, Sprecherin der Stadtverwaltung. Und so wird das Gebäude an der Aachener Straße 443 künftig vielleicht wieder den Namen Abraham-Frank-Haus tragen.