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„Das Gefühl von allein sein“Kölner Start-up entwickelt App, um Trauernde zu begleiten

Lesezeit 3 Minuten
Zu sehen sind zwei junge Männer und eine junge Frau (Mitte).

Daniel Bachmann (l.), Nele Stadtbäumer und Aenis Chebil (r.) gründen die App „Grievy“.

Die App „Grievy“ nimmt Trauernde an die Hand. Drei junge Kölner, die teilweise selbst einen schweren Verlust erlitten, gründen das Start-up.

Nele Stadtbäumer verlor mit 24 Jahren plötzlich ihren Vater. „Ich bin offen mit dem Thema umgegangen, habe viel mit Freunden und Familie gesprochen. Das hat extrem geholfen“, sagt sie. Sie sucht in ihrem Umkreis nach Trauergruppen, um sich mit anderen Betroffenen auszutauschen, die eine ähnliche Verlusterfahrung erlebten.

Doch vergeblich. Sie findet keine Gruppe, die für ihre Alterszielgruppe geeignet sei. Das nächste passende Angebot hätte in einem halben Jahr gestartet, erzählt Stadtbäumer. „Es kann nicht sein, dass Menschen in Trauer, was sowieso schon ein Tabuthema ist, allein gelassen werden. Da muss ich was ändern“, denkt sich die promovierte Psychologin.

Trauer immer noch ein Tabu

Über die Universität lernt sie andere Betroffene kennen, die ebenfalls einen geliebten Menschen verloren haben. Dabei entdeckt sie Parallelen: „Das Gefühl von Alleinsein hat fast alle beschäftigt. Der Großteil hat gesagt, dass sie sich nach dem Todesfall mehr Austausch und Unterstützung gewünscht hätten“, so Stadtbäumer.

Sie überlegt, wie man Trauernden besser unter die Arme greifen kann. In ihrer Doktorarbeit forscht sie zur digitalen Gesundheit. So kommt sie auf die Idee einer Trauer-App. 2020 lernt sie die Mitgründer Aenis Chebil und Daniel Bachmann kennen. Auch Bachmann erlitt in jungen Jahren einen Verlust. Seine Mutter starb, als er 18 Jahre alt war.

Kölner Start-up aus Sülz entwickelt Trauer-App

Die beiden studieren Wirtschaftsinformatik an der FH Aachen und nehmen an einem praktischen Seminar teil, in dem sie mit Stadtbäumer eine erste Version der App entwickeln. Danach entschließen sich die Drei neben dem Studium und der Promotion das Start-up „Grievy“ gemeinsam zu gründen.

Über zwei Jahre lang entwickeln sie die Anwendung weiter. Die drei sprechen mit Experten aus der Branche und testen die Lösung in einer Pilotphase mit 500 Trauernden. Im Oktober 2022 launchen sie „Grievy“.

Diese stillen Momente alleine zu Hause, da wollen wir ansetzen und unterstützen.
Nele Stadtbäumer, Gründerin von „Grievy“

Die Anwendung für das Handy bietet 150 verschiedene Kurse an. Vom Umgang mit überwältigenden Gefühlen bis hin zu Trauerritualen wie das Gestalten von Grabkerzen. „Jeder trauert anders und jeder braucht etwas anderes“, so die Psychologin. Die Kurse haben sie gemeinsam mit Psychotherapeuten entwickelt. Es gibt Videos, Texte, Audios sowie interaktive Übungen.

In einer Rubrik erzählen Betroffene anonymisiert von ihren Verlusterfahrungen. In dem Trauertagebuch können Angehörige ihre Gedanken festhalten. Impulsfragen regen an, sich mit seinen Gefühlen zu beschäftigen. „Da bekommen wir oft das Feedback, dass man sich gesehen und gehört fühlt jeden Tag, wie jemand denkt an einen“, so Stadtbäumer.

15.000 Angehörige begleitet die App „Grievy“

Über die App kann man auch direkt Termine mit Trauerbegleitern buchen oder sich für Trauergruppen anmelden, die „Grievy“ mittlerweile anbietet. Über Bestattungshäuser, die mit dem Kölner Start-up zusammenarbeiten, erhalten Trauernde einen Code. Damit können Sie die Anwendung kostenlos nutzen. Alternativ kann man die App auch abonnieren.

Eine digitale Lösung bietet Vorteile: Viele Angehörige würden sich nicht trauen, in persönliche Begleitung zu gehen. Die Hemmschwelle sei hoch und es fehle auch an passenden Angeboten. Auch bei Trauergruppen oder Trauercafés gebe es viel Zeit dazwischen, wo die Trauer hochkomme. „Diese stillen Momente alleine zu Hause, da wollen wir ansetzen und unterstützen“ so die Gründerin.

Doch es gibt auch Herausforderungen: Die größte sei es, den Prozess interaktiv zu gestalten, um wirklich das Gefühl zu geben, an die Hand genommen zu werden. „Das andere, dass die App sicher ist, dass wir auf Trigger achten und es psychologisch fachlich fundiert ist. Darauf achten wir immer ganz stark“, so Stadtbäumer. Zum Beispiel verwenden sie eine sanfte Wortwahl und bauen die Kurse langsam auf, um die Betroffenen nicht zu überwältigen.

Seit dem Launch haben sie bereits 15.000 Angehörige in ihrem Trauerprozess begleitet. Die App erweitern sie jeden Monat um neue Inhalte und Funktionalitäten. „Die Community wächst immer mehr. Die langen Nachrichten, die bei uns landen, sind was ganz Tolles. Die Menschen sagen, es hilft ihnen so sehr. Das ist ein schönes Gefühl“, so die Gründerin.