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Radstadion MüngersdorfEin Baum für den Olympiasieger Toni Merkens

Lesezeit 5 Minuten

Köln-Müngersdorf – Der Gedenkstein ist so verwittert wie der Eichenstamm dahinter. Inschrift und Olympische Ringe sind kaum noch zu erkennen. Sie sind verblasst wie die Erinnerung an Toni Merkens, dem zu Ehren die Kölner Stadtverwaltung noch im Jahr 1948 den Steinquader aufstellte – obwohl die nicht gerade ablehnende Haltung des Kölner Radsport-Stars gegenüber dem NS-Regime längst zu kritischer Distanz hätte gemahnen müssen. „Wachse zur Ehre des Sieges – Rufe zu weiterer Tat!“, steht auf dem Stein in unmittelbarer Nähe des Radstadions in Müngersdorf. Und weiter: „Olympiaeiche zur Erinnerung an Toni Merkens Olympiasieger 1936 im 1 KM Malfahren.“

Baum und Gedenkstein erinnern am Radstadion in Müngersdorf an Toni Merkens.

Die Olympia-Eichen waren eine Besonderheit der Olympischen Spiele 1936, die die Nazis geschickt nutzten, um sich international positiv in Szene zu setzen. Jeder Goldmedaillen-Gewinner bekam eine einjährige Stieleiche in einem Tontopf überreicht. Darauf waren die Worte zu lesen: „Wachse zur Ehre des Sieges – Rufe zu weiterer Tat“ – ebenjenem Spruch, der noch heute am Radstadion in Stein gemeißelt ist.

Hinter der Tafel ragt die Eiche empor, die Toni Merkens 1936 in Berlin als kleines Bäumchen in den Händen hielt. Im Sprint – die historische Bezeichnung für diese Disziplin war Malfahren – hatte er sich auf der 1000-Meter-Distanz gegen seinen niederländischen Rivalen Arie van Vliet durchgesetzt. Allerdings schien nicht alles mit rechten Dingen zugegangen zu sein. Van Vliet legte Protest ein, weil er sich von Merkens behindert fühlte. Doch die Jury sprach Merkens trotzdem die Goldmedaille zu, er musste lediglich eine Geldstrafe wegen Verlassens der Fahrlinie zahlen. In Köln wurde ihm ein großer Empfang bereitet und Merkens, genannt „Tünn“, pflanzte 1936 die Eiche neben der Radrennbahn ein.

„Hitler-Eichen“

In 129 sportlichen Disziplinen wurden die Eichen-Setzlinge damals vergeben, hinzu kamen elf Bäume für die Sieger der damals noch üblichen olympischen Kunstwettbewerbe in den Bereichen Architektur, Literatur, Musik, Malerei und Bildhauerei. Die Eichen wuchsen nach den Olympischen Spielen in aller Herren Länder und wurden fälschlicherweise auch „Hitler-Eichen“ genannt. Adolf Hitler hatte weder die Idee für die Beigabe, noch überreichte er sie den Siegern.

Den Anstoß für die „Olympia-Eichen“ soll der Berliner Gärtner Hermann Rothe gegeben haben, der eigentlich damit beauftragt war, die Siegerkränze aus Eichenlaub zu fertigen. Sein Vorschlag, die Goldmedaillen-Gewinner außerdem mit einer jungen Stieleiche zu beglücken, stieß beim Organisationskomitee der Spiele auf fruchtbaren Boden. Vor allem Carl Diem, Generalsekretär des Komitees und späterer Gründer der Kölner Sporthochschule, propagierte die Beigabe, die als „schönes Sinnbild deutschen Wesens, deutscher Kraft, deutscher Stärke und deutscher Gastfreundschaft“ betrachtet wurde.

Wie viele Olympia-Eichen heute weltweit noch stehen, ist nicht bekannt. Viele können nicht mehr lokalisiert werden oder haben nicht überlebt. Einige jedoch sind zu wahren Pilgerstätten geworden. So wie die „Lovelock-Eiche“ in der neuseeländischen Hafenstadt Timaru, die an den Mittelstrecken-Läufer Jack Lovelock erinnert, der 1936 Gold beim 1500-Meter-Rennen gewann. Seine Eiche gilt als „nationales Kulturgut“ in Neuseeland. Schüler kommen jedes Jahr dorthin, um die Eicheln zu sammeln und daraus neue Setzlinge zu ziehen.

Ein zweiter Baum in Poll

Nach Köln brachte nicht nur Toni Merkens eine Olympia-Eiche. Der zweite Setzling ging an die Kölner Kanuten Ludwig Landen und Paul Wevers, die bei den Olympischen Spielen im Zweier-Kajak über 10000 Meter siegten. Doch gilt es als wahrscheinlich, dass es den Baum nicht mehr gibt. Landen und Wevers pflanzten ihre Olympia-Eiche nach ihrer Rückkehr aus Berlin am Rodenkirchener Domizil des „Vereins für Kanusport Cöln“ ein, dem sie angehörten. In den 1940er Jahren übernahm der VKC – mittlerweile ein reiner Tennis-Club – sein jetziges Vereinsheim an der Alfred-Schütte-Allee in Poll. Die Olympia-Eiche sei mit umgezogen, so Vereinsvorsitzender Ingo Sieben: „Aber sie ist wahrscheinlich eingegangen.“ Als Ersatz sei eine Eiche gepflanzt worden, die es noch heute gibt und die nur wenige Jahre jünger sei als die originale Olympia-Eiche. Nur einige wenige Mitglieder behaupteten, dass es sich um das Original handelt, sagt Sieben.

Toni Merkens (Mitte) bei der Siegerehrung im Berliner Olympiastadion. In der Hand hält er den Eichen-Setzling, den er zusätzlich zur Goldmedaille überreicht bekam.

Die Müngersdorfer Eiche hingegen ist mit Sicherheit ein Original. Ihr Ziehvater jedoch ist umstritten. Toni Merkens galt als Mitläufer des NS-Regimes. „Er hat sich ohne Probleme instrumentalisieren lassen“, sagt Jürgen Müller vom NS-Dokumentationszentrum. Trotzdem setzte ihm die Kölner Stadtverwaltung auf Betreiben einiger Radsportfunktionäre noch 1948 den Gedenkstein an der Olympia-Eiche. „Das zeigt die Haltung in der Nachkriegs-Zeit“, sagt Müller: Während Merkens geehrt wurde, wollte sich niemand an einen weiteren großen Radsportler aus Köln erinnern. Zwar arrangierte sich auch Albert Richter zunächst mit dem NS-Regime, machte aber gleichzeitig keinen Hehl aus seiner antifaschistischen Haltung und hielt auch an seinem jüdischen Manager fest. Dafür bezahlte er am Ende mit seinem Leben.

Albert Richter spät rehabilitiert

Kurz nach Ausbruch des Zweiten Weltkriegs entschloss sich Richter, Deutschland zu verlassen. Doch während der Zugfahrt Richtung Schweiz wurde er festgenommen. Offenbar hatte ein Informant der Gestapo gesteckt, dass Richter für einen in der Schweiz lebenden Juden einen hohen Geldbetrag über die Grenze schmuggeln wollte. Das Geld hatte Richter im Reifen seines Fahrrads versteckt. Er kam ins Gefängnis von Lörrach, wo er aller Wahrscheinlichkeit nach im Januar 1940 von der Gestapo ermordet wurde. „Nach seinem gewaltsamen Tod wurde Albert Richter in der NS-Presse als Verräter, Feigling oder Krimineller, der gegen das Gesetz verstoßen habe, denunziert“, so das NS-Dokumentationszentrum in einer Abhandlung über Richter: „Dieses Urteil blieb auch in der Bundesrepublik lange Zeit bestehen. Niemand interessierte sich für die ungeklärten Umstände seines Todes.“ Toni Merkens hingegen wurde ein gefeiertes Sportidol und sogar zum Märtyrer stilisiert. Er kehrte 1944 verwundet von der Ostfront zurück nach Deutschland und starb kurze Zeit später an den Folgen seiner Verletzungen.

Albert Richter wurde erst viel später rehabilitiert: 1996 bekam das neue Radstadion in Müngersdorf seinen Namen – da war die Olympia-Eiche von Toni Merkens schon zu beträchtlicher Größe angewachsen.