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Kein Wille, kein WegNachbar kauft Wege in Kölner Siedlung – jetzt darf sie nicht mal ein Rettungswagen befahren

Lesezeit 6 Minuten
Die Nachbarn  Cornelia Lynen-Meyer, Michael Degen und Jörg Reim stehen auf einem Weg, der jetzt einem Nachbarn gehört. 

Wo früher ein Sandkasten und eine Bank waren, steht jetzt eine Mauer: Anlieger einer Weidener Siedlung streiten mit einem Nachbarn, der die Wege gekauft hat.

Ein Eigentümer hat die Wege einer Siedlung in Köln-Weiden gekauft –dabei dachten die Anwohner, die Wege gehörten ihnen. Jetzt geht es um Geld, Recht und Moral.

Die Wege in der Bungalow-Siedlung zwischen Ostlandstraße, Trierer Straße und Göttinger Straße in Weiden sind breit und wellig, die Vorgärten heckenfrei und einladend. Nur ein Haus ist von hohen Mauern umgeben. An der Fassade sind mehrere Kameras angebracht, die auch das Nachbarhaus im Visier haben. „Dieses Objekt ist videoüberwacht“, steht auf einem Schild am Eingang.

In dem Bungalow gegenüber, in dem Michael Degen und seine Partnerin Bärbel Jerke leben, haben sich Anwohnerinnen und Anwohner versammelt, um von einer „unerträglichen Situation“ zu erzählen, von der sie auch schon Oberbürgermeisterin Henriette Reker berichtet hatten. Und die an einen Schildbürgerstreich erinnert, aber keiner ist.

Ein Luftbild eines Wohngebiets in Köln-Weiden mit dem Schulzentrum des Georg-Büchner-Gymnasiums links im Bild und der Autobahn A1 rechts. An der Ostlandstraße (oben links im Bild) gibt es einen Streit um das Wegerecht.

Ein Luftbild der Siedlung: Links ist das Schulzentrum des Georg-Büchner-Gymnasiums zu sehen, daneben die Siedlung mit 39 Häusern.

Zwischen den Anliegern und dem Mann, der hinter den Mauern lebt, ist ein Streit ums Wegerecht entbrannt, der die eingesessenen Anwohner kalt erwischt hat: Sie wussten nicht, dass ihnen die Wege nicht gehören – und sollen sie nun kaufen. Ein Teil ihrer Grundstücke liegt nämlich auf Boden, der bei der Erschließung der Siedlung als Weg eingetragen wurde – und nun dem Eigentümer hinter der Mauer gehört.

Die Wege gehörten beim Bau den Anliegern – das wurde aber nicht ins Grundbuch eingetragen

Als die Siedlung in den 1970er Jahren gebaut wurde, geriet der Bauträger, der zeitgleich mehrere Siedlungen in Weiden aus dem Boden stampfte, in finanzielle Schwierigkeiten und musste Konkurs anmelden. Die Wege gehörten gemäß damals geschlossenen Kaufverträgen den Anliegern selbst als einer „auf alle Zeiten unauflöslichen Eigentümergemeinschaft“, wie es in einem alten Schriftsatz heißt.

Den Innenbereich der Siedlung gestaltete ein Gartenarchitekt im Auftrag des Bauträgers – hielt sich dabei aber nicht immer an die im Bauplan vorgesehenen Wegmarkierungen. Stattdessen entstanden auf einigen Wegflächen Gärten, Vorgärten oder Garageneinfahren.

Da die Erstbesitzer einverstanden waren und ihnen die Wege laut Kaufverträgen gehörten, hatte niemand etwas dagegen. Das Problem: Der Mitbesitz der Eigentümer an den Wegen wurde nie ins Grundbuch eingetragen. „Weil es nach dem Konkurs des Trägers zu chaotischen Verhältnissen kam und die Eigentümer froh waren, mit viel Eigenleistung ihre Häuser fertigzubauen“, erinnert sich eine Eigentümerin, deren Eltern zu den Erstbesitzern eines der 17 Bungalows des Ensembles gehörten. Ein folgenschweres Versäumnis.

Jetzt gehören die Wege dem neuen Nachbarn – er hat die 1008 Quadratmeter große Wegefläche vor vier Jahren für 18 Euro pro Quadratmeter von einem Nachlassverwalter des pleitegegangenen Bauträgers gekauft – der Stadt Köln sandte er den Vertrag korrekterweise vorab zu, da diese ein Vorkaufsrecht gehabt hätte. Doch die Stadt hatte kein Interesse: Die Wege entsprachen nicht den städtischen Standards und waren schon damals sanierungsbedürftig. Den Anliegern teilte das Liegenschaftsamt mit, es werde den Fall prüfen. Wichtig sei es, eine „einvernehmliche Lösung zu finden“. Die ist nicht in Sicht.

Die Anlieger haben seit dem Kauf der Wege durch den Nachbarn nur mehr ein sogenanntes Notwegerecht – sie dürfen die überbauten Wege nutzen, aber nicht bebauen. Sie argumentieren, der neue Besitzer der Wege habe „den rechtlich mehr als fragwürdigen Eigentumserwerb zum Nachteil der Allgemeinheit ausgenutzt“ – und verstoße damit gegen das Grundgesetz.

Der Wege-Käufer sagt, er habe den Anwohnern ein faires Angebot gemacht – ohne große Resonanz

Das Gegenteil sei richtig, behauptet der Käufer der Wege, er sei auf die Nachbarn zugegangen. Vor drei Jahren habe er allen Anliegern angeboten, Miteigentümer der Wege zu werden, für 25.000 Euro oder 1250 Euro pro Anlieger, lässt der Eigentümer über seinen Anwalt mitteilen. „Die Resonanz auf dieses Schreiben war gleich Null.“

Tatsächlich soll das Angebot seinerzeit Empörung ausgelöst haben: „Es dachten ja alle, die Wege gehören uns. Wir fühlten uns bestohlen“, sagt ein Eigentümer. „Ein Nachbar hat gerufen: Nur über meine Leiche bekommen Sie Geld. Eine andere Nachbarin hat geweint.“

Nachbarschaftsstreit in Köln-Weiden sorgt für Empörung

Michael Degen erinnert sich, dass er sehr wohl an einem Kauf der Anteile interessiert gewesen sei – es aber in der Folge stets geheißen habe, „erst wolle er sein Haus zu Ende bauen. Hätte er uns zu Miteigentümern der Wege gemacht, hätte er zum Beispiel auch seine Mauer nicht bauen und sein Grundstück nicht vergrößern können“. Aller Konjunktive zum Trotz wäre er an dem Angebot weiterhin interessiert, sagt Degen. Ohne eine Einigung könnte es nämlich gerade für ihn teuer werden.

Eine besonders große Wegfläche wurde beim Bau der Siedlung auf dem Grundstück überbaut, das heute Michael Degen gehört. Der neue Wege-Eigentümer hatte Degen angeboten, die mehr als 50 Quadratmeter große Fläche für zwei Drittel des aktuellen Bodenrichtpreises von 1500 Euro pro Quadratmeter zu kaufen – deutlich mehr als 50.000 Euro. Andernfalls könne er auch „den rechtswidrig in Besitz genommenen Grundstücksteil zurückgeben“, wie der Anwalt des Wege-Eigentümers dem „Kölner Stadt-Anzeiger“ schreibt.

„Von rechtswidriger Inbesitznahme kann keine Rede sein“, meint Degen. Für Wege könne auch nicht der Bodenrichtwert geltend gemacht werden, der für Baugrundstücke gelte. Seitdem streiten die Nachbarn vor Gericht. Wenn der Eigentümer Recht erhält, müsste Degen einen Anbau in seinem Garten abreißen lassen und dem Nachbarn einen beträchtlichen Teil seines Grundstücks überlassen.

Es ist wohl rechtlich legal, was der Eigentümer macht. Aber es ist schon ziemlich kühl und dreist, wie hier vorgegangen wird
Anwohner Jörg Reim

Der Nachbarschaftsstreit hat auch eine moralische und eine soziale Seite. Wo heute die Mauer des neuen Eigentümers die Wege verschmälert, waren früher ein Sandkasten für Kinder und Sitzbänke. „Hier trafen sich Anwohner, um zu quatschen und nach der Arbeit ein Kölsch zu trinken – die Siedlung wurde ja offen und ohne Hecken und Mauern gebaut, damit wir hier nicht anonym nebeneinanderherleben“, erzählt Cornelia Lynen-Meyer. „Daran ist nicht mehr zu denken. Die Stimmung ist frostig geworden.“ „Hätte der Mann sonst eine Mauer gezogen und sich verschanzt, ohne uns zu informieren?“, fragt eine andere Anliegerin.

„Bei einem Treffen von Anwohnern erzählte der Mann, dass er mit dem Verkauf des Wegerechts seine angeblich zu teuer gekaufte Immobilie refinanzieren wolle“, erinnert sich Anwohner Jörg Reim. Die anderen in der Runde stimmen zu. „Es ist wohl rechtlich legal, was der Eigentümer macht“, sagt Reim, der den Eingang zu seinem Haus vorsorglich verlegte, nachdem ihm der neue Inhaber der Wege eröffnet hatte, dass auch ein Teil seines Grundstücks überbaut sei. „Aber es ist schon ziemlich kühl und dreist, wie hier vorgegangen wird.“ Michael Degen erinnert sich, dass der Käufer der Wege „in einer Verhandlung vor Gericht über seinen Anwalt verlauten ließ, dass er mit dem Kauf der Wege einen Lottoschein erworben habe, dessen Gewinn er nun einlösen wolle“. Er würde das auch an Eides statt versichern. Ein Ende des Streits: nicht in Sicht.

Stadt Köln bietet sich als Vermittlerin an, bleibt aber zurückhaltend

Die Stadt Köln hofft auf eine Lösung, auf die seit vier Jahren nichts hindeutet: eine Einigung. Dafür müsste geklärt werden, wer die Wege wie unterhält und wie die Kosten aufgeteilt werden. Möglich sei es auch, dass der Eigentümer die Wege „in einen zumindest annähernd städtischem Standard entsprechenden Zustand versetzt und zu einem symbolischen Preis an die Stadt veräußert“, teilt die Stadt mit. Dann würde die Stadt künftig die Wege unterhalten.

Weg mit Grenzsteinen in Weiden

Stein des Anstoßes: Die Steine, die die Wege begrenzen, sind längst mit Moos überwuchert. Der ausführende Architekt hat in den 1970er Jahren mehrere Grundstücke mit den Wegen überbaut – die jetzt einem Nachbarn gehören.

Eine sogenannte jährliche Wegerente oder Miete, die der neue Eigentümer aktuell von den Anwohnern fordert, wäre damit ebenso hinfällig wie die Umlage von Unterhaltungskosten. Der neue Eigentümer schlägt derweil weiterhin vor, „die Wegeflächen in Gemeinschaftseigentum zu überführen“ – wofür eine mehrheitliche Beteiligung der Anlieger notwendig wäre. Diese zeichne sich nicht ab, weil „Stimmung gegen seinen Mandanten gemacht“ werde, schreibt der Anwalt.

Solange der Streit schwelt, gelten die Wege laut Bauordnung als „nicht erschlossen“ – Stand jetzt dürften auch Feuerlösch- und Rettungsdienste rechtlich gesehen nicht in die Siedlung fahren. Dazu bedürfte es einer „befahrbaren, öffentlich-rechtlich gesicherten Zufahrt“, teilt die Stadt Köln mit, die sich als Moderatorin anbietet, aber zurückhaltend bleibt: Entscheidend sei „der Wille des Eigentümers und der Anlieger*innen, eine dauerhafte Lösung zu finden“. Wo allerdings kein Wille ist, ist auch kein Weg.