Todesangst in FeinkostladenSo erlebte die Kassiererin den Überfall am Großmarkt Köln
- Am Tag vor Heiligabend 2021 raubten drei bewaffnete Täter das Feinkostgeschäft Mare Atlantico am Großmarkt aus.
- Die Kassiererin Melek Özdemir war im Kassenraum, wurde mir der Waffe bedroht und entging nur knapp einem Schuss.
- Hier erzählt sie, wie sie die Tat erlebte und wie sie ihr Leben verändert hat.
Köln – Der 23. Dezember 2021, das weiß ich heute, war mein Schicksalstag. Es war mein zweiter Arbeitstag an der Kasse des Mare Atlantico. Ein Nebenjob. An jenem Tag vor Heiligabend bin ich kurzfristig eingesprungen. Nur für ein paar Stunden. Ich hatte natürlich nicht geahnt, dass in meinem Leben danach nichts mehr sein sollte, wie es einmal war.
Gegen 16.30 Uhr hat meine Schicht begonnen. Das Geschäft war voll, alle kauften ein fürs Fest. Gegen 17.30 Uhr fuhren drei Männer vor den Eingang. Zwei davon stürmten den Laden, einer mit einem langen Gewehr, einer mit einer kleinen Pistole, der dritte wartete draußen mit seinem Gewehr. Die Männer riefen so etwas wie „keine Bewegung!“, „Das ist ein Überfall!“ und „Geld her!“. Ich hätte gewettet, dass es ein Witz war. Dass sich irgendwer einen Spaß erlaubt.
„Der Schuss blieb in der Tischplatte stecken“
Einer der Männer kam mit seiner Pistole direkt in unser enges Kassenhäuschen. Es ist nur ein paar Quadratmeter groß. Eine Kollegin und ich saßen dort. Mir wurde schnell klar, dass es kein Scherz war, sondern bitterer Ernst. Das war der Schock meines Lebens. Wir krabbelten unter den Tisch, auf dem die Kasse mit dem Bargeld stand. Wir kauerten und zusammen, schauten uns in die Augen. Wir hatten Todesangst.
Wahrscheinlich so wie die 40 bis 50 Kollegen und Kunden im Laden. Sie versteckten sich unter der Käsetheke, hinter der Fischtheke. Sie wurden mit einem Maschinengewehr bedroht. Einer Kriegswaffe.
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Meine Kollegin wurde auf einmal kreidebleich, ihre Augen drehten sich, wurden weiß wie die Wand, sie zitterte am ganzen Körper. Ich dachte, dass so eine Frau aussieht, die stirbt. Über uns fuchtelte der Mann mit seiner Waffe herum, als er das Geld einsteckte. Dann fiel ein Schuss, direkt neben unseren Köpfen. Er blieb auf der Tischplatte stecken. Mein Körper, alle Organe zogen sich zusammen.
Eine meiner größten Sorgen war noch, dass sich jetzt jemand von den Leuten im Laden aufspielt. Dann hätte es Tote gegeben. Ich wollte einfach nur, dass es ganz schnell vorbei ist. Ich habe angefangen zu beten. Wenn dies meine letzten Worte gewesen sein sollten, wollte ich sie zu Gott sprechen.
„Eine Zeitlang war ich unerträglich“
Der Mann im Kassenraum wusste genau, wo er hingreifen muss. Die haben bestimmt vorher den Laden ausspioniert. Ein paar Sekunden dauerte es nur noch, dann war es vorbei. Die Täter flüchteten mit an die 100.000 Euro. Ein Kollege rannte den Männern noch mit einer Weinflasche in der Hand hinterher, wollte sie aufhalten. Was für ein Leichtsinn. Die Polizei war ja bestimmt schon auf dem Weg. Wenn die Männer nicht abgehauen wären, hätten sie uns als Geiseln genommen.
Danach habe ich erstmal weiterkassiert. Getan, als ob nichts war. Nicht geweint, niemanden umarmt. Vielleicht aus Selbstschutz, vielleicht, weil ich nicht realisierte, was passiert ist. Warum Menschen so böse sein können, für Geld das Leben anderer aufs Spiel zu setzen. Mitten in Deutschland. Nicht in einem Entwicklungsland, wo man bereit sein muss, alles zu tun, um sich und seine Familie zu ernähren.
Die 50 Sekunden haben mich zu einem anderen Menschen gemacht. Der Schuss, der mich nur knapp verfehlte, hat mein Leben verändert. Leider musste ich feststellen, dass ich rücksichtsloser, aggressiver geworden bin, mich grundlos streite. Zum Glück ist es etwas besser geworden, aber eine Zeitlang war ich unerträglich, habe mich selbst nicht wiedererkannt. Ich leide noch heute unter Kontrollverlust und Schlafstörungen. Wenn etwas knallt, weil jemandem etwas hinfällt, zucke ich zusammen. Ich bekomme Beklemmungen, wenn jemand mit Maske, schwarzer Mütze und Sporttasche in die Bahn kommt.
„Immer wieder Erklärung gesucht“
Wahrscheinlich liegt es daran, dass ich so plötzlich zum Opfer wurde. Jemandem so sehr ausgeliefert war. Als Kampfsportlerin habe ich gelernt, mich aus scheinbar aussichtslosen Situationen zu befreien. Aber in dem Moment hatte jemand die Macht zu entscheiden, ob ich lebe oder sterbe. Ich musste die Kontrolle über mein Leben abgeben. Das war erniedrigend. Ich habe mich klein, schwach und schlecht gefühlt. So nah war ich noch nie dem Tod.
Was ich nicht verstehe ist, dass sich einige Kunden damit immer noch einen Spaß erlauben. Wenn ich frage „zahlen Sie bar oder mit Karte?“, machen sie ihre Witze und sagen „lieber mit Karte, hinterher werden Sie wieder ausgeraubt“. Andere haben so Sprüche gebracht wie „Hände hoch! Das ist ein Überfall!“, als sie in den Laden kamen. Die haben wahrscheinlich nicht verstanden, wie sehr wir hier um unser Leben gefürchtet haben.
Immer wieder habe ich versucht, eine Erklärung dafür zu finden, wie jemand so abgrundtief böse und menschenverachtend sein kann. So viele Leben zu zerstören. Am Tag vor Heiligabend, an dem die Menschen für sich und ihre Familie und Freunde einkaufen, um gemeinsam das Fest der Liebe zu feiern. Zeit zu verbringen mit Menschen, die man liebt. Und dann erleben die Menschen hier den Horror ihres Lebens. Im Laden war eine Frau im Rollstuhl, eine Mutter mit ihrem Säugling im Arm. Selbst die Täter haben doch ein Herz, oder nicht? Wie kann man dann so abartig mit Menschenleben umgehen? Wir leben hier in Sicherheit und Wohlstand, haben keine Berührungspunkte mit Waffen und so einer Gewalt. Wir haben einen Kollegen, der aus Syrien geflohen ist. Er sagte hinterher, dass er sich in den Bürgerkrieg zurückversetzt hatte. Meiner Kollegin geht es gar nicht gut. Sie kann hier gar nicht mehr arbeiten. Für sie ist das alles hier zur Hölle geworden.
Heute spreche ich zum ersten Mal ausführlich über die Tat und ihre Folgen für mein Leben. Ich wünsche mir, dass die Täter eines Tages gefunden werden.
Aufgezeichnet von Alexander Holecek