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Medienforscher zum Sylt-Skandal„Das Gegröle ist nur ein Symptom eines systemischen Problems“

Lesezeit 3 Minuten
„Sylt oben links. Nicht rechts!“· steht auf einem Plakat, das eine Frau bei einer Mahnwache am Sonntag auf Sylt in der Hand hält. Im Strönwai in Kampen, wo sich auch der Pony-Club befindet, versammelten sich am 26. Mai rund 80 Menschen anlässlich des Rassismus-Eklats um ein Partyvideo auf Sylt zu einer Demo.

„Sylt oben links. Nicht rechts!“ steht auf einem Plakat, das eine Frau bei einer Mahnwache am Sonntag auf Sylt in der Hand hält. Im Strönwai in Kampen, wo sich auch der Pony-Club befindet, versammelten sich am 26. Mai rund 80 Menschen anlässlich des Rassismus-Eklats um ein Partyvideo auf Sylt zu einer Demo.

Der Tübinger Medienwissenschaftler Bernhard Pörksen erklärt die schwierige „Gemengelage“ zwischen der Bedeutung des Dialogs in einer polarisierten Gesellschaft und roten Linien im Diskurs.

Herr Professor Pörksen, Sie haben unsere Gesellschaft vor Jahren als eine „gereizte“ beschrieben. Wie nehmen Sie die Stimmung im Juni 2024 wahr?

Die große Gereiztheit hat noch zugenommen. Als Medientheoretiker sage ich: Wir sehen zu viel, zu schnell, parallel auf zu vielen Kanälen. Es gibt ein neuartiges Zusammenspiel von Wirklichkeit und medialen Vernetzungseffekten. Schreckliche Realitäten wie Corona, Krieg oder Klimakrise drücken so mit einer gesteigerten Härte durch.

Bernhard Pörksen

Bernhard Pörksen

Ist die Kommunikation über die Wirklichkeit schlimmer als die Wirklichkeit selbst?

Keineswegs. Aber die Kommunikation wird im Innenraum der vernetzten Welt schwieriger, wenn große und kleine Ideologien, Perspektiven aller Art permanent aufeinanderprallen, wir einander nicht ausweichen können. Das führt zu einer merkwürdigen Gemengelage: Kommunikation wird einerseits schwieriger, andererseits aber auch immer wichtiger.

Gemeinsames Handeln lässt sich nur über das Aushandeln hinbekommen.
Professor Bernhard Pörksen

Sie halten unverdrossen an Ihrem Plädoyer für das Miteinander reden fest?

Gemeinsames Handeln lässt sich in einer Demokratie nur über das Aushandeln hinbekommen.

Ohne Begrenzung, ohne Limit?

Nein, es gibt rote Linien des Diskurses. Schon Karl Popper, der große Vordenker der offenen Gesellschaft, hat gesagt: Manchmal muss man intolerant gegenüber der Intoleranz sein. Das ist nicht schön, nicht elegant, kann aber notwendig sein. In dieser Situation sind wir heute als Gesellschaft: Manchmal kommt man mit Wertschätzung und Verständnis nicht weiter, manchmal braucht es den Streit, die klare Abgrenzung.

Mir schwebt eine Zukunftstugend der respektvollen Konfrontation vor.
Bernhard Pörksen

Und wie?

Mir schwebt eine Zukunftstugend der respektvollen Konfrontation vor. Sich nicht opportunistisch wegducken, einander nicht ängstlich ausweichen, sich nicht innerlich die Ohren zuhalten, sondern sagen, was zu sagen ist. Das heißt: Es gilt, die Positionen des anderen zu kritisieren, ihn jedoch nicht als Person, als „ganzen“ Menschen abzuwerten.

Es gibt die These, die Grenze des Dialogs werde einseitig von denen definiert, die eine Mehrheitsmacht reklamieren: „Meinungsdiktatur“ lautet dann der Vorwurf – verbunden mit der Klage, dies oder jenes dürfe man ja in unserer nur angeblich liberalen Gesellschaft nicht mehr sagen.

Man darf fast alles sagen - nur nicht unwidersprochen.
Professor Bernhard Pörksen

Diese Behauptung nimmt seit Jahren wachsenden Raum ein. Ganz eindeutig. Leute, die permanent auf Sendung sind, beklagen sich über angebliche Unterdrückung ihrer Stimme. Natürlich, es gibt einzelne Phänomene, die man als „Cancel Culture“ beschreiben kann, aber in der Breite handelt es sich um ein Zerrbild der kommunikativen Realität. Tatsächlich darf man sehr viel sagen – nur eben nicht unwidersprochen. Mich beschwert in den überhitzten öffentlichen Debatten eher eine – vielleicht unbewusste – Verschiebung im Hinblick darauf, was wirklich relevant ist.

Woran machen Sie das fest?

Nehmen Sie aktuell die Debatte über das „Sylt-Video“ mit rassistischen Sprüchen. Das Gegröle ist nur das Symptom eines systemischen Problems, das sich buchstäblich nicht auf eine kleine Insel beschränken lässt. Die relevante Frage zielt auf den Umgang mit Alltagsrassismus. Hier ist der Journalismus, hier sind wir alle gefordert, über den ersten Empörungsreflex hinaus weiter zu denken: Was ließe sich aus diesem Fall grundsätzlich lernen?


Zur Person / Gespräch bei frank&frei

Bernhard Pörksen, geboren 1969, ist Professor für Medienwissenschaft an der Universität Tübingen.

Am Donnerstag, 6. Juni, diskutiert Pörksen in der KStA-Talkreihe „frank&frei“ mit Gastgeber Joachim Frank über die Frage, wie es heute um die Debattenkultur in Deutschland bestellt ist. Glaubt er immer noch unbedingt an das Gelingen von Kommunikation und Dialog? Und wie hat sich angesichts immer hitzigerer Debatten die Rolle der Medien verändert?

Der Abend in der Karl-Rahner-Akademie, Jabachstraße 4-8, 50676 Köln beginnt um 19 Uhr. Eintritt: 10 Euro (ermäßigt und mit KStA-ABOCARD 5 Euro). Tickets gibt es hier. www.karl-rahner-akademie.de/programm

Pörksens Dialogband über „Die Kunst des Miteinander-Redens“, den er zusammen mit dem Psychologen und Kommunikationsberater Friedemann Schulz von Thun geschrieben hat, ist 2020 im Hanser-Verlag erschienen. (jf)